Dritter Teil der "1Q84"-Reihe von Murakami:Wie man abwesende Frauen schwängert

Haruki Murakami mischt in seinen Büchern meisterhaft Magie und Thriller. Im dritten Teil von "1Q84" nimmt er allerdings das Tempo aus dem Roman-Zyklus. Auch wenn darin ein Auftragsmörder, eine Sekte und eine mysteriöse Schwangerschaft vorkommen.

Burkhard Müller

Der voriges Jahr erschienene, über tausend Seiten umfassende Doppelband "1Q84" von Haruki Murakami hatte einigermaßen als Cliffhanger geendet.

(Service-Bild) Pilzinfektionen: Leichtes Spiel in der Schwangerschaft

In Murakamis drittem Teil seines Buches "1Q84" wird die abwesende Aomame geschwängert.

(Foto: ddp)

Die beiden Protagonisten Tengo (Mathematiker und Verlagslektor) und Aomame (persönliche Trainerin im oberen Preissektor sowie Kontraktkillerin) hatten sich, seit sie einander als Grundschüler in einer kritischen Situation die Hand gehalten hatten, zwanzig Jahre lang nicht gesehen; aber das Buch ließ keinen Zweifel daran, dass sie zum Paar bestimmt waren. Von zwei Seiten her, immer in abwechselnden Kapiteln, waren sie ins selbe Abenteuer hineingeraten, einander immer näher kommend - doch begegnet waren sie sich nie.

"IQ84" war, trotz seiner Länge, ein sehr schnelles Buch gewesen. Immer geschah etwas, schon gleich zu Beginn, als Aomame den "Leader" einer geheimnisvollen Sekte, der sich von ihr massieren ließ, mit einem haarfeinen Nadelstich tötete.

Tengo hingegen bekam es mit der siebzehnjährigen, leicht autistischen Fukaeri und deren Romanmanuskript "Die Puppe aus Luft" zu tun, das er in publizierbare Form umschrieb, sodass es zum Bestseller werden konnte; Fukaeri erwies sich als die Tochter des Leaders, und was sie unter dem dünnen Firnis der Fiktion mitzuteilen hatte, passte der Sekte überhaupt nicht in den Kram.

Die Mitwirkenden, hart und kompetent in ihrem Job, aber sämtlich ohne Liebe großgewordene Kinder, spendeten einander Trost so gut sie es konnten, linkisch und anrührend. Mit Spannung erwartete man, wie es wohl weiterginge mit "1Q84" (das im Japanischen genauso klingen soll wie Orwells 1984), jener Sonderwelt, die sich darin beglaubigt, dass auf einmal zwei Monde am Nachthimmel stehen.

Nun, im dritten Buch, hängen die beiden Monde noch immer am Himmel, ohne dass sie jedoch etwas spektakulär Neues beleuchteten. Die Dynamik des Geschehens ist, wie es oft im Mittelstück dickleibiger Mehrteiler geschieht, sehr herabgemindert; der Stoffwechsel des Plots hält sozusagen Winterschlaf.

Die Hauptakteure haben vor den Nachstellungen der Sekte in Deckung gehen müssen, wo sie auch bleiben. Tengo versteckt bei sich Fukaeri, er selbst nimmt Urlaub, um seinen Vater im Krankenhaus einer Provinzstadt zu besuchen. Der Vater liegt im Koma - auch dies nicht gerade ein fetziger Vorgang.

Aomame hat eine sichere Wohnung bezogen, wo ihre Auftraggeberin, "Madame", und deren treuer Handlanger Tamaru sie wöchentlich mit Lebensmitteln versorgen lassen; sie darf weder ausgehen noch die Türe öffnen, auch nicht und ganz besonders nicht, wenn ein durchgeknallter Gebühreneintreiber der GEZ (japanisch: NHK) Einlass erheischt. Sich versteckt halten ist eine Aktion von niedriger Intensität; der Roman beginnt sich sehr zu dehnen.

Aufatmend nimmt man zur Kenntnis, dass wenigstens Ushikawa sich bewegt, der missgestalte Privatdetektiv, den die Sekte auf die Spur der drei gesetzt hat und der zur weiteren Hauptfigur aufsteigt. Aber auch er mietet eine Wohnung als Beobachtungsposten an und spioniert tagein tagaus hinter dem Vorhang mit seiner Kamera . . .

Leidenschaftsloser Geschlechtsakt

Die sich dem Stillstand annähernde Handlung bewirkt, dass an Tengo, Aomame, Fukaeri kaum mehr Neues und Überraschendes hervorzutreten vermag. Man kennt sie hinlänglich vom letzten Mal. Immerhin tauchen ein paar Nebenfiguren auf, wie sie Murakami so lebendig zu gestalten weiß, unscheinbar, aber eigenwillig und von einer tiefen Humanität, die sich erst auf den zweiten Blick offenbart: die drei Krankenschwestern, die für Tengos Vater zuständig sind und den einsamen jungen Mann zu einem übermütigen Abend mit Whiskey und Karaoke mitnehmen; Tengos alte Lehrerin, unter deren Strenge sich die mütterliche Neigung zu ihrem einstigen Schüler verbirgt.

Man ist dankbar für diese Nebenschauplätze, da sich am Hauptschauplatz so wenig tut.

Vor allem zersetzt sich bei solcher Verlangsamung das Amalgam aus Thriller und Magie, das in Teil 1 und 2 so bezaubert hatte. Die magischen Elemente waren solche der kindlichen Sehnsucht und Angst gewesen: Die Puppe aus Luft glich einem gläsernen Mutterschoß, und die mysteriöse Sekte hatte Teil am Waldbösen des Märchens.

Nunmehr gerät die Sekte in die Bredouille und muss sich zu einem nüchternen Kompromissvorschlag an Tengo und Aomame bequemen, während die Puppe zu einem bloß umständlichen Konstrukt herabsinkt. (Nur die "Little People", die am Rande herumgeistern, bewahren sich schaurigschöne Restbestände.) In dieser weitgehend entzauberten Atmosphäre mag man es dem Buch auch nicht mehr so recht abnehmen, dass Tengo, während er einen leidenschaftslosen Geschlechtsakt mit Fukaeri vollzieht, in Wahrheit die abwesende Aomame schwängert.

Zum Schluss kriegen sich Tengo und Aomame, die die ganze Zeit nur zehn Gehminuten entfernt voneinander verbarrikadiert waren, doch noch. Wie bei den meisten Wünschen, die sich allzu lang haben gedulden müssen, haftet auch diesem, nach zwanzig Jahren und mehr als tausend Seiten, in der endlichen Erfüllung etwas Ranziges an.

Die Sekte scheint es nunmehr auf das ungeborene Kind der beiden abgesehen zu haben. Dass es mit diesem Riesenwerk noch nicht vorbei ist, lässt sich absehen - hoffentlich wird es wieder so rasant und von solcher emotionalen Kraft erfüllt wie am Anfang.

HARUKI MURAKAMI: 1Q84 - 3. Teil. Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Literaturverlag, Köln 2011. 571 Seiten, 24 Euro.

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