Dritte Biennale für junge Kunst in Moskau:Wut auf das Gesichtete

Harmlosigkeit als Statement: Selten hat eine Kuratorin auf das eigene Projekt so eingedroschen wie Elena Selina bei bei der dritten Moskauer Biennale für junge Kunst. Die Teilnehmer geben sich politisch, doch ihre Freiheit ist in einem Land beschränkt, in dem Punkerinnen für harmlose Protestaktionen eingesperrt werden.

Astrid Mania

In Moskau staunt man immer wieder. Über altbekannte Kuriosa wie Lenin in der Stufenpyramide oder eine U-Bahn mit sakraler Pracht. Oder über die krasse Diskrepanz zwischen Arm und Reich, das Gebaren eines angeblich demokratischen Präsidenten, die immer höheren Absätze davon unbeeindruckter junger Frauen im Designerkleidchen. Und die neue Dialektik innerhalb von Moskaus Kunstwelt.

Dritte Biennale für junge Kunst in Moskau: In dem Video von Filippo Berta "Homo Homini Lupus" aus dem Jahr 2011 machen sich Wölfe über eine Flagge er.

In dem Video von Filippo Berta "Homo Homini Lupus" aus dem Jahr 2011 machen sich Wölfe über eine Flagge er.

Der Markt für Zeitgenossen taumelt. Die Verhaftung der Mitglieder von Pussy Riot, die in Moskaus Christ-Erlöser-Kathedrale Punk gegen Putin machten, ist nur ein Signal dafür. Und die Politik zieht, sekundiert von der orthodoxen Kirche, die Daumenschrauben an.

Im Frühjahr gaben mit Aidan und Guelman zwei renommierte Galerien auf. Die Messe Art Moscow steht auf wackeligen Beinen, zumal deren Direktorin zur Viennafair gewechselt ist. Und doch leistet sich Moskau künstlerische Großereignisse, mit kulturministeriellem Geld und Segen. Hierzu gehören zwei Biennalen, die im Jahresrhythmus wechseln: die Moskauer Biennale für zeitgenössische Kunst und die Moskauer internationale Biennale für junge Kunst.

Die zeitgenössische Biennale, 2004 ins Leben gerufen und letzten Herbst mit viel Gefunkel von Peter Weibel ausgestattet, ist Moskaus Prestigeprojekt. Von hier ist wenig Aufruhr zu erwarten.

Die Biennale für junge Kunst, mit deutlich kleinerem Budget, ist aus einem Festival hervorgegangen und sollte ein Ort für das Experimentelle, das Provokative sein. Doch die Trotzphase scheint vorbei. In ihrer dritten Ausgabe präsentiert sich die Biennale ohne rebellische Allüren.

Kakofonisches Lamento

Verantwortlich hierfür zeichnet Kathrin Becker, die mit dem Titel "Under a Tinsel Sun" weniger ein Thema, als ein globales Lebensgefühl benennen will. Die junge Generation, so ihr Befund, agiere in einer Welt aus vielen, virtuellen, Realitäten und erlebe die Auflösung von "Wir-Einheiten". Das klingt nach privater Konzeptverrätselung - doch das Gros der Künstler erweist sich als aufmerksame Beobachter sozialer und politischer Umwelten.

Schon im Eingangsbereich des klotzigen Zentralen Hauses der Künstler beklagt Edgardo Aragons Videoinstallation "Tinieblas (Darkness)" (2009) die Zerrissenheit Mexikos: Musiker, auf Grenzsteinen postiert, blasen zum Trauermarsch. So kakofonisch ist das Lamento über die bestehenden Verhältnisse aber selten.

Aktivistische Gesten, lautstarken Protest, partizipative Gesellschaftsspiele - das findet man in Moskau nicht. Becker setzt auf Repräsentation, auf Werke, die ihre Anliegen innerhalb konventioneller Gattungsgrenzen vortragen. Anastasia Khoroshilova etwa fotografiert Moskaus illegale Wanderarbeiter ("People Without a Territory", 2011); in Marina Naprushkinas Video "Belarus Today" (2008) lesen Bauarbeiter die offiziellen Verlautbarungen weißrussischer Zeitungen vor; Ohm Phanphiroj dokumentiert reportagehaft das Schicksal thailändischer Kinderprostituierter ("Underage", 2010).

Queerness und Genderfragen

Vereinzelt erscheinen die Vertreter dieser internationalen Biennale-Gemeinde dabei nicht. Immer wieder finden sich Berührungspunkte. Die Künstler aus einstigen Kolonien etwa mahnen und erinnern: Jompet Kuswidananto hängt eine geisterhafte Pferdestaffel aus Zaumzeug in die Luft und beschwört die indonesische Geschichte als Abfolge von Kriegen ("Long March to Java", 2010).

Nandipha Mntambo legt in ihrem Video "Ukungenisa" (2008) Kostüm und Habitus eines Toreros an und tritt in die Arena von Maputo, wo einst die einheimischen Mosambikaner zur Belustigung ihrer portugiesischen Kolonialherren kämpfen mussten. Und vor dem Hintergrund der in Russland geschürten Homophobie fallen diverse Werke auf, die sich mit Queerness und Genderfragen auseinandersetzen.

Auch wenn der Hauptteil dieser Biennale trotz vieler emphatischer und anklagender Bilder seltsam distanziert wirkt - was mit daran liegt, dass Werke und Hängung den Rahmen des Musealen nie verlassen - ängstlich oder positionslos ist er nicht.

Globaler Einheitsbrei

Becker hat sich für die kühle Betrachtung und gegen die heiße Agitation entschieden, während ihre Ko-Kuratorin Elena Selina, Gründerin und Direktorin der XL Galerie, Ausstellung und Katalog zu einem Rundumschlag nutzt. Selina verantwortet das "Strategische Projekt" der Biennale im Moskau Museum für Moderne Kunst und im Nationalen Zentrum für Zeitgenössische Kunst.

Da die Biennale ihre Teilnehmer aus einem öffentlichen Bewerbungsverfahren rekrutiert, musste Selina mit dem arbeiten, was der Hauptteil übrig ließ. Hemmungslos wettert sie gegen das Gesichtete, das sie in ihrem kuratorischen Statement als qualitätsarmen, politikfreien, globalen Einheitsbrei bezeichnet. Doch - im Gegensatz zur zentralen Schau - sind ausgerechnet viele Werk in dem von Selina verantworteten Teil, harmlos. Dass eine Kuratorin derart auf das eigene Projekt einschlägt, ist bemerkenswert. Umso mehr in einem - gerade für die Kunst - bedrückenden ökonomischen und politischen Klima.

III Moscow International Biennale for Young Art, Zentrales Haus der Künstler, National Centre for Contemporary Arts (NCCA), Moscow Museum of Modern Art, bis 12. August 2012.

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