Drehbericht:Wespennest in 3-D

Lesezeit: 4 min

Der Regisseur Dani Levy dreht in Jerusalem und den Palästinensergebieten vier Kurzfilme - mit Schauspielern von beiden Seiten und einer selbstgebauten 360-Grad-Kamera.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Ich habe es mir einfacher vorgestellt, hier zu filmen. Wir haben in ein Wespennest gestochen." Der Regisseur Dani Levy dreht nicht nur zum ersten Mal mit einer 360-Grad-Kamera in 3 D, sondern er tut dies in Israel und in den palästinensischen Gebieten: Mit einem Team, das sowohl aus Israelis als auch aus Palästinensern besteht, arbeitet er an vier Kurzfilmen von fünf bis acht Minuten Länge - zwei aus israelischer, zwei aus palästinensischer Perspektive: "Glaube", "Liebe", "Hoffnung" und "Angst" sind die Titel.

Dass hier, am Brennpunkt des Nahost-Konflikts die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen, war Teil von Levy Konzept. Doch dass es so schwierig werden würde, hatte er sich nicht vorgestellt. Schauspielern in Uniform stehen plötzlich echte Uniformierte an der fünf Kilometer hohen Mauer Beit Hanina gegenüber. Der palästinensische Line-Producer Tony Copti, der für die Organisation vor Ort zuständig ist, wird von den israelischen Grenzpolizisten mitgenommen. Die Drehgenehmigungen werden geprüft, dann darf weiter gearbeitet werden.

Jassir Arafats Geist, gespielt von Ali Al Azhari. (Foto: Alexandra Föderl-Schmid)

Immerhin gab es für diesen Dreh in Ost-Jerusalem überhaupt eine Erlaubnis. Die palästinensische Seite hat die Drehgenehmigung für Abu Dis verweigert. Levy hat noch am Vorabend versucht, von dem Verantwortlichen der Al-Quds-Universität den Schlüssel zu bekommen - vergeblich. In Abu Dis stehen die Ruinen jenes Hauses, das einmal das palästinensische Parlament werden sollte. In der kurzen Euphorie nach den Oslo-Abkommen begann man Ende der Neunzigerjahre mit dem Bau, doch mit dem Friedensprozess kam auch das Projekt zum Ende.

Die Arafat-Rolle sei eine Ehre, sagt Ali Al Azhari, aber Cäsar zu spielen wäre leichter

Abu Dis sei ein für Palästinenser sensibler Ort, und das Drehbuch habe den Palästinensern nicht wirklich gefallen, erzählt Copti. Schließlich erscheine Jassir Arafat im Film als Geist. Die Angst, dass die Ikone der Palästinenser lächerlich gemacht werden würde, war wohl zu groß. Dass mit Levy ein in Deutschland arbeitender Jude mit Schweizer Pass dieses Projekt realisiert, war ebenfalls vielen suspekt - auf beiden Seiten.

Copti musste in wenigen Stunden einen neuen Drehort auftreiben. Einige Kilometer außerhalb Jerusalems wurde er fündig. Ein aufgegebener Hotelrohbau dient im Film nun als Parlament: Die Ruine hat keine Fenster; Böden und Isolierungen sind herausgerissen, die Wände sind voller Graffiti. Dass während des Drehs in der Kulisse des Palästinenserparlaments orthodoxe Jugendliche auftauchen und zuschauen wollen, mutete fast irreal an.

Auch wenn viel improvisiert wird am Set, der Bart muss sitzen, vor allem wenn es der von Arafat ist. "Das sieht ja wie im Fasching aus!", schimpft Levi, als er den Schauspieler Ali Al Azhari mit angeklebter Haarpracht sieht. Die israelische Maskenbildnerin war nicht erschienen - weil Sabbat ist, vermutet Levy. So wird per Handy eine Videoschalte zu ihr hergestellt. Mit den Ratschlägen, die sie durchgibt, klappt es dann irgendwie: Aus Ali Al Azhari wird Arafat.

Vier Kurzfilme im Dreh: Dani Levys Klappe. (Foto: Alexandra Föderl-Schmid)

Für ihn sei diese Rolle eine Ehre, meint er. "Aber es wäre leichter, Cäsar zu spielen". Er war selbst in der PLO und hat Arafat mehrfach getroffen. Dass Arafat in dem Film als Geist erscheint, findet er gut. Aber der Mittsechziger weiß auch, dass das nicht allen gefallen wird. Doch so oft hat der Palästinenser aus Jaffa nicht die Gelegenheit, in seinem Beruf als Schauspieler zu arbeiten. Sein Geld verdient er mit Arabisch-Unterricht - unter anderem für Angehörige der deutschen Botschaft. Auch Hilal Kabob und Anastasyos Arbid, die die beiden Wächter im Parlamentsgebäude spielen, haben andere Jobs.

Die Pause nutzen Levy und Kameramann Filip Zumbrunn, um sich noch einmal intensiv mit der Kamera auseinanderzusetzen. "Wir haben im Vorfeld viel experimentiert", sagt Levy. Und erklärt, man müsse mit dieser Technik ganz anders arbeiten: "Man kann nicht einfach einen Schwenk machen. Da wird den Leuten beim Zuschauen schlecht."

Die Kamera mit sechs Objektiven ist ein neuer Prototyp aus China. Die kleine weiße Linse ganz oben ermöglicht es dem Regisseur, die Szenen auf seinem Handy mitzuverfolgen. Die ganze Konstruktion ist selbstgebaut: Auf einen Reithelm vom Flohmarkt hat Kameramann Zumbrunn die Kamera montiert, die Mikrofone sind an einer Kuchenbackform befestigt. "Marke Eigenbau in der Schweiz."

Levy im Gespräch mit zwei Schauspielern und Filip Zumbrunn, der die 360-Grad-Kamera auf dem Kopf trägt. (Foto: Alexandra Föderl-Schmid)

Das Gestell muss er auf seinem Kopf balancieren, die Dreharbeiten gehen aber auch in die Beine. Weil auf Augenhöhe der Zuschauer gefilmt wird, um später ein besonderes Seherlebnis zu ermöglichen, muss der Kameramann in die Knie gehen. Deshalb hat er sich eine Art einbeinigen Melkschemel gebastelt, den er sich um die Hüften schnallt. So kann er sich zwischendurch hinsetzen und kann auch leichter ruhigere Kamerafahrten hinbekommen. Die Szenen werden mehrfach geprobt, denn es gibt nur eine Einstellung und keinen Schnitt. Am Ende des Drehtages hat Levy elf Takes im Kasten, von denen drei gut sind, so hofft er.

Seit Trumps Jerusalem-Erklärung ist die Spannung in der Stadt noch weiter gestiegen

Die Erschöpfung ist Levy am Abend anzumerken, als er in seiner angemieteten Wohnung in Jerusalem den Tag Revue passieren lässt. "Es ist einfach alles wahnsinnig intensiv." Zwei Tage davor wurde am Zionsplatz gedreht mit einem israelischen Stand-up-Comedian, der von zwei Schauspielern, die aggressive Israelis mimten, angepöbelt wird. Aber als sich Passanten einmischten verschwammen auch hier Fiktion und Realität wieder.

Am Tag zuvor wurde in der Altstadt gedreht. Für die Kamera wurde extra eine Seilkonstruktion vom Dach eines Hauses zu einem Laden im Basar gebastelt. Von oben nimmt ein Scharfschütze das Geschehen in den Gassen ins Visier. Doch es sind nicht Menschen, die er verfolgt, er sucht ein Schmuckstück für seine Freundin.

Die Filme sollen im Februar bei der Berlinale gezeigt werden und ab Mai 2018 in der Ausstellung "Welcome to Jerusalem", die ab kommendem Montag im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen sein wird und durch die aktuellen Ereignisse natürlich an Brisanz gewonnen hat. Die Zuschauer müssen dafür Virtual-Reality-Brillen tragen. Levy ist extra nach Amsterdam gefahren, um sich dort in einem 3-D-Kino mit dem Filmerlebnis aus Zuschauerperspektive auseinanderzusetzen. "Ich hoffe nur, die Leute reißen sich nicht die Brille vom Kopf, weil alles so intensiv ist."

In seinem Konzept für das Filmprojekt schrieb er: "Entscheidend für die Findung der Geschichten ist die Tatsache, dass Jerusalem aus einem israelischen und einem palästinensischen Teil besteht. Nichts ist einfach, nichts ist heute so wie morgen."

Das galt für die Dreharbeiten, das gilt aber auch für Jerusalem, wo alles noch spannungsgeladener geworden ist seit der Erklärung von Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Der Text, den Arafat im Film spricht, klingt alles andere als fiktional: "Nur die Angst, die ist real. Die Angst vor dem Gelingen, vor Lösungen." Er warte hier, sagt Arafat, dass die Parlamentarier endlich zur Staatsgründung kommen und brüllt: "Wo seid ihr, ihr Schisser?"

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: