Drama:Hormonstau vor Holocaust-Kulisse

Der Film "Unser letzter Sommer" will vom Krieg erzählen, verkommt aber zum kitschigen Fotoroman.

Von Philipp Stadelmaier

Irgendwann fängt es an zu nerven, das ständige Sommerlicht, das so verträumt durch die Bäume bricht. Oder die Spinnweben, die im Morgennebel in den Feldern hängen, verträumte Spinnen inklusive.

Wir sind in Ostpolen, Sommer 1943. Die Züge nach Auschwitz rollen durch eine perfekt digital retuschierte Welt. An der Desinfektionsrampe für die leeren Güterzüge liegen zwischen dezenten Blutlachen zwar auch ein paar Koffer und Kleidungsstücke herum, aber Regisseur Michal Rogalski hat darauf geachtet, dass der Naturkitsch seiner künstlichen Bilder davon unberührt bleibt. Auch seine vier jugendlichen Hauptfiguren bewegen sich mehr vor als in ihnen: ein Wehrmachtssoldat, ein polnischer Heizer, eine polnische Küchenhilfe und eine geflohene Jüdin. Was passiert zwischen ihnen? Nicht viel, außer etwas Annäherung und Trennung. Guido, der junge Deutsche, muss morden, der Pole Züge fahren lassen, die Polin ist einfach nur jung, die Jüdin auf der Flucht. Alle wollen leben. Leider ist Krieg. The End.

Man könnte nun sagen, dass "Unser letzter Sommer" einfach unglaublich schlecht erzählt ist. Rogalski, der sich von alten Familienalben hat inspirieren lassen, hat keinen Film, sondern einen Fotoroman gemacht: Eine Aneinanderreihung aus Klischees. Als würde er sich für den historischen Kontext, in den er seine Geschichte gepackt hat, genieren. Er spart nicht mit Hinweisen auf den Holocaust, interessiert sich auf der anderen Seite aber nur für eine völlig zeitlose, ahistorische Jugend: Die Polin steht zwischen dem deutschen Soldaten und dem polnischen Heizer, der wiederum irgendwann die entflohene Jüdin im Wald trifft und etwas mit ihr anfängt. Der Film wird von dem schizophrenen Wunsch getrieben, so zu tun, als gäbe es das alles nicht: den Krieg, die Rampen - und all das doch permanent anzudeuten.

Film

Urszula Bogucka und Filip Piotrowicz in "Unser letzter Sommer".

(Foto: Robert Palka/Farbfilm)

Am schlimmsten steht es um die Figur von Guido, dem jungen Wehrmachtssoldaten (Jonas Nay). Ein braver Junge mit großen Augen, der das alles nicht will und nur hier ist, weil er zu Hause entartete Musik gehört hat und strafversetzt wurde. Wie lieb er mit dem Kompaniehündchen spielt! Guido ist ein Guter, der zum Bösen gezwungen wird und sich seinem fiesen Oberleutnant unterwerfen muss. So arbeitet "Unser letzter Sommer" mit Hochdruck am Bild des guten Deutschen, der das Pech hatte, damals zu leben und von den anderen, gewissen "Nazis", verführt worden zu sein. Spätestens seit Nico Hofmanns TV-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" ist diese Geschichtslackierung, welche die heutige "freundliche" Vormachtstellung Deutschlands in Europa begleitet, absolut hoffähiger Filmstoff.

Die Schauspieler geben sich Mühe, sind aber alle hundsmiserabel

Das TV-Werk und diesen Kinofilm eint auch die Spielweise der Darsteller. Stets adrett frisiert, erinnern sie an Teilnehmer der Aufführung einer Schultheater-AG, und die platten Bilder spiegeln ständig ihre Kulissenhaftigkeit. Guido ist weniger ein Soldat als der coole Teenie im Wehrmachtskostüm, der genauso spricht, als würde er heutzutage ein Mädel aus der Parallelklasse abschleppen wollen: "Hey, wo is'n dein Freund?"

Wie bei Hofmann soll sich eine junge Generation von heute in die Rollen von damals hineinfühlen. Kreischend, schreiend, übertrieben, als würden sie sagen: Schaut her, wie wir Deutschen von 2015 uns zwingen müssen, uns heute noch mit diesen Gräueltaten zu identifizieren! Mit anderen Worten: Alle spielen hundsmiserabel. Aber alle geben sich Mühe. Und am Ende wird gelobt. Zum Beispiel von der deutschen Filmbewertungsstelle, die "Unser letzter Sommer" mit ihrem "Prädikat: Besonders wertvoll" ausgezeichnet hat. Am schlechtesten spielt übrigens der Obernazi. Wenn er einen Satz anfängt, hat man stets Angst, dass er währenddessen das Ende vergisst. Immerhin darf er am Schluss darauf hinweisen, worum es eigentlich ging: "Ach, hier gibt's auch noch Gefühle?" Na klar, und wie!

Unser letzter Sommer, Deutschland/Polen 2015 - Regie und Buch: Michal Rogalski, Kamera: Jerzy Zieliński. Mit Jonas Nay, Filip Piotrowicz. Farbfilm, 100 Minuten.

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