Drama:Der wilde Osten

Valeska Grisebach erzählt in ihrem Spielfilm "Western" von modernen deutschen Cowboys im bulgarischen Grenzland. Eine Hommage an das Genre und seine melancholischen Protagonisten.

Von Martina Knoben

Western" hat Valeska Grisebach ihren Film genannt, wie das Genre. Da erwartet man Pferde und Cowboys in staubigen Landschaften, die sich Duelle liefern. Vieles davon lässt sich tatsächlich finden in diesem Western, der dann aber doch auch ganz anders ist. Grisebach transformiert die Zutaten des Genres in einen realistischen, heutigen Erzählzusammenhang.

Die Frontier, also die Zivilisationsgrenze des Westerns, verläuft hier im Osten, in Bulgarien. Was nur zeitgemäß ist: Im Westen liegen heute Hollywood und Silicon Valley. Im bulgarischen Hinterland aber gibt es noch Aufgaben für Pioniere. Hier soll ein Trupp deutscher Bauarbeiter ein Wasserkraftwerk errichten. Die Männer sprechen kein Bulgarisch, die Gegend aber, in die man sie auf Montage geschickt hat, gefällt ihnen. Die Landschaft ist wild und schön, kaum ein Mensch ist zu sehen. Die Männer trinken Bier und planschen im Fluss. Von den Bäumen pflücken sie Nüsse und Pflaumen. Einer nähert sich einem weidenden Pferd, einem Schimmel, schwingt sich auf seinen Rücken.

Drama: Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies: Meinhard (Meinhard Neumann) probiert sich im Reiten.

Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies: Meinhard (Meinhard Neumann) probiert sich im Reiten.

(Foto: Piffl/Komplizen Film)

Die paradiesische Ferne, die das andere Leben, ja die Erlösung verspricht, ist ein romantisches Motiv und natürlich auch ein Motiv des Westernfilms. Wobei das mit der unberührten Natur schon im Western nicht gestimmt hat, aber in Bulgarien ist das Missverständnis offensichtlich. Die vermeintliche Wildnis ist Acker- und Weideland der Einwohner eines nahegelegenen Dorfs. Wenn die Deutschen Nüsse und Pflaumen "finden", ärgern sich die Bulgaren über den Diebstahl.

Im Western geht es immer auch darum, wie sich die Menschen in der Fremde benehmen. Und welche Regeln gelten sollen, wenn sich eine Gruppe, eine Gesellschaft neu formiert. Die Fragen, die das Genre an seine Akteure stellt, stellt Valeska Grisebach auch ihren Helden. Wie gehen die Arbeiter miteinander um? Wie viel Verständigung mit den Bulgaren ist möglich?

Valeska Grisebach ist 49, "Western" ist nach "Mein Stern" (2001) und "Sehnsucht" (2006) erst ihr dritter Film. Das ist schade, weil ihre Filme so schön eigen sind. Andererseits ist es genau diese entspannte Langsamkeit, die ihre Filme werden lässt, wie sie sind. Sie scheint den Bauarbeitern mehr zuzusehen, als dass sie die Handlung mit ihrem Drehbuch forciert. Sie studiert die Männer regelrecht. Ihre Darsteller sind Laien. Das gelebte Leben, das sich auf ihren Körpern und Gesichtern abzeichnet, verankert den Film in der Wirklichkeit.

Im Zentrum der Erzählung steht Meinhard (Meinhard Neumann), ein hagerer Typ jenseits der fünfzig. Er ist neu im Team, sagt wenig, beobachtet lieber. Mit den anderen Bauarbeitern hat er wenig gemeinsam, er sucht lieber im Dorf nach Anschluss, freundet sich mit dem örtlichen "Paten" Adrian (Syuleyman Alilov Letifov) und dessen Familie an. Der echte Meinhard Neumann hat Straßenbau gelernt, arbeitete lang auf dem Rummel, dann als Trödelhändler, mittlerweile in der Automobilindustrie. Als schweigsamer Cowboy ist er verblüffend überzeugend.

Die Spielchen der Männer: Wer darf das Pferd reiten, wer verführt die Frauen?

Mit Vincent (Reinhardt Wetrek), dem Vorarbeiter, gerät er bald aneinander. Vincent trägt Käppi und eine schwarze Zimmermannsweste über dem bulligen, nackten Oberkörper. Alles an ihm signalisiert seinen Anspruch auf Dominanz. Immer wieder fordert er Meinhard heraus, wie im Western. Wer hat den besseren Spruch auf den Lippen? Wer darf das Pferd reiten? Wer verführt die Frau? Valeska Grisebach beobachtet die Männerrituale fasziniert, aber auch distanziert. Aus der Frauenperspektive eben.

Im Grunde ist "Western" ein Film über Verständigung über Geschlechtergrenzen oder sonstige Hindernisse hinweg. Das kann gelingen wie bei Meinhard und Adrian, die sich einander langsam annähern. Es kann aber auch krachend schiefgehen, wie am Fluss, wo zwei Frauen aus dem Dorf baden wollen und Vincent sie blöd anmacht. Eigentlich will er nur Spaß machen, aber er überzieht gewaltig, gibt den Macho. Im Dorf hat man danach ein Problem mit den Deutschen.

Inszeniert hat Valeska Grisebach das alles sommerlich luftig. Das passt zum Quasi-Urlaub, den die Arbeiter genießen, weil Kies und Wasser knapp werden, kommen sie nicht mehr zum Bauen. Die Kamera bleibt bei den Männern, findet aber auch immer wieder zu Totalen. So ist etwa die Behelfsunterkunft der Arbeiter in einer ruhigen Einstellung bei Nacht zu sehen - darüber die flatternde Deutschlandfahne. Auf ihre sanfte, beiläufige Weise nähert sich die Regisseurin auch dem Thema Fremdenfeindlichkeit, bemerkt den latenten Nationalismus der Männer, ihr Gefühl den "eingeborenen" Bulgaren überlegen zu sein.

Mit ihren derben Sprüchen, ihrer Einstellung gegenüber Frauen und Fremden verkörpern die Bauarbeiter einen altmodischen Männertypus. Man darf vermuten, dass sie daheim nicht zu den Gewinnern gehören, dass die Dienstleistungsgesellschaft, der globale Kapitalismus und die Emanzipation sie zu gesellschaftlichen Randfiguren gemacht haben. Wäre es anders, hätten Männer wie Vincent und Meinhard immer noch das Sagen, wäre ein Frauenfilm wie "Western" vermutlich undenkbar. Grisebachs Blick merkt man aber an, dass sie das Verschwinden der Cowboys und ihrer Habitate auch bedauert.

Western, D 2017 - Regie, Buch: Valeska Grisebach. Kamera: Bernhard Keller. Mit: Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek, Syuleyman Alilov Letifov, Veneta Frangova, Vyara Borisova. Piffl, 119 Minuten.

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