Dokumentarfilm von Laura Poitras:Snowden reloaded

Citizenfour

Snowden lebt bei Moskau mit seiner Freundin.

(Foto: Radius TWC)

Der Film "Citizenfour" wird bei seiner Premiere in New York umjubelt. Das Spannendste daran ist die Behauptung, dass es außer Snowden noch einen zweiten Whistleblower in der NSA geben könnte.

Von Peter Richter, New York

Die Neuigkeiten, die dann selbst Edward Snowden den Mund offen stehen lassen, kommen ganz zum Schluss: Es gibt angeblich noch einen Whistleblower außer Snowden bei der NSA, behauptet da der Journalist Glenn Greenwald. Einen, der noch höherrangiger ist. Diesem neuen Whistleblower zufolge stünden inzwischen schon 1,2 Millionen Menschen auf einer geheimen "Watchlist" der US-Regierung - mit Wissen und auf Befehl von Präsident Obama.

Dagegen wird geradezu irrelevant, dass man nur ein paar Filmminuten vorher noch darüber gestaunt hat, Edward Snowden mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Lindsay Mills in einem recht neuen Bungalow, offenbar irgendwo im Moskauer Umland, gemeinsam kochen zu sehen. Mills, erfährt man, lebt seit Juli 2014 bei Snowden.

Held oder Verräter? Beides

Als "Citizenfour" beim New Yorker Filmfestival seine Weltpremiere hatte, da erwies sich Laura Poitras' Dokumentarfilm über Flucht und Enthüllungen des Edward Snowden nicht nur als die Sensation, die so lange erwartet worden war, sondern als eine noch größere. Denn sensationell, und zwar ganz im Sinne des Wortes, wäre der Film seiner ganzen Anlage nach selbst ohne die an seinem Ende platzierten Offenbarungen.

Das hier ist nicht die kühle, analytische Betrachtung eines Falles von Geheimnisverrat, der die USA und die Welt seit anderthalb Jahren beschäftigt - und man muss sich bei alldem immer wieder bewusst machen, dass Teile der amerikanischen Öffentlichkeit anders als viele Europäer keinen Helden in Snowden sehen, sondern einen Verräter an den Sicherheitsinteressen der USA; die aktuelle Furcht vor Terroranschlägen durch den Islamischen Staat tut da ein Übriges.

Der Film von Laura Poitras nimmt stattdessen aktiv Anteil an der Tat von Edward Snowden und an seinem Schicksal. Das ist die Bedingung seines Zustandekommens, davon lebt er, und das ist gleichzeitig sein unauflösbares Problem: Laura Poitras beobachtet nicht oder nicht nur, Laura Poitras wird in und durch ihren eigenen Film zur Aktivistin. Sie und der Journalist Glenn Greenwald waren Beteiligte an Snowdens Coup, und sie waren seine Helfer.

Bevor Snowden selbst das erste Mal zu sehen ist, sieht man nur die Texte der anonymen E-Mails, die Poitras im Frühjahr 2013 von ihm erhielt, immer nur gezeichnet mit "citizen four". Falls sie sich wundere, warum er sie ausgesucht habe, erklärt er ihr da: Sie habe sich selbst ausgesucht. Poitras hatte sich mit einem Dokumentarfilm über den Krieg der Amerikaner im Irak und mit einem über die Gefangenen von Guantanamo in das Visier der Sicherheitsdienste gebracht. Sie war eine von denen, die am Flughafen immer nach hinten gebeten wurden. Snowden wusste das. Er saß damals ja noch auf der anderen Seite.

Citizenfour

Abhöranlagen in Großbritannien, wie diese im Film gezeigte, überwachten Millionen unbescholtene Bürger, sagt Whistleblower Edward Snowden.

(Foto: Radius TWC)

Nach dem 11. September 2001 fiel die Entscheidung: Jeder wird ausspioniert

Dann sehen wir Glenn Greenwald, Journalist, Kommentator, Blogger, auch Menschenrechtsanwalt, der sich offensichtlich aus ähnlichen Gründen für Snowden empfohlen hat. Wir hören William Binney, der schon 2002, kurz nach seinem Ausscheiden aus der NSA auf die digitalen Überwachungsaktivitäten der Behörde hingewiesen hatte, den Satz sagen: Schon in der Woche nach dem 11. September 2001 fiel die Entscheidung, jeden in diesem Land aktiv auszuspionieren.

Tag des Schleierlüftens

Wir werden Zeuge, wie der Hacker Jacob Applebaum bei einem Occupy Trainingscamp erklärt, wie sich aus der Kombination von Kreditkarten- und U-Bahn-Ticket-Daten Metadaten generieren lassen, die den Behörden Erkenntnisse über einen suggerieren können, die nicht richtig sein müssen, aber trotzdem Konsequenzen haben können. Und wir sehen Geheimdienstchef James Clapper mit zuckendem Gesicht noch einmal unter Eid beteuern, dass keine Daten von Millionen Amerikanern gesammelt werden, "jedenfalls nicht wissentlich".

Das ist sozusagen die Rampe für diesen Film: Das, was man vor Snowden so alles schon befürchtete, ahnte, sich denken konnte. Denn dann kam dieser 3. Juni 2013, der die Geschichte für immer in eine Zeit vor und eine seit Snowden teilt, in eine des Hätte-man-wissen-können und in eine des Wissens - ein essentieller Unterschied, der auf allen Seiten Handlungsnotwendigkeiten nach sich zog, die die meisten, Regierungen wie Überwachte, vermutlich lieber vermieden hätten.

An diesem Tag des Schleierlüftens kommt nun Snowden erstmals ins Bild. Er sitzt auf dem Bett eines Hotelzimmers in Hongkong, wohin er Poitras und Greenwald bestellt hat. Der blasse, junge Brillenträger im T-Shirt, dessen Bild kurz darauf um die Welt gehen sollte. Die Stimme zu diesem Bild ist allerdings fester, männlicher und selbstbewusster, als man damals dachte. Die Stimme also macht gleich zum Beginn das Statement, amerikanische Medien seien immer zu sehr auf die Figuren fixiert. Und fügt dann hinzu: "I'm not the story here."

In diesem Moment wird der Film unheimlich

Und das, dieser tragische Satz, dieser von vornherein sichtbare Irrtum, ist der Moment, in dem einem dieser Film als Film geradezu unheimlich wird. Ab dem Moment, in dem Snowden den Mund aufmacht, wirkt es wie in Hollywood gescriptet und von Snowden selbst gespielt: wie die Nachverfilmung eines historischen Geschehens - nur in Echtzeit, während des Geschehens, mit der Verfilmung als Teil der Handlung.

Aber manche Menschen, vor allem aus den USA, haben offenbar nun einmal die Gabe so zu sprechen: in druckreifen, oft regelrecht pathetischen Drehbuchsätzen. Snowden hatte allerdings auch genug Zeit, im Stillen die Begründungen für sein Handeln zu formulieren. Als es dann passiert ist, als Greenwald die Sache im Londoner Guardian öffentlich gemacht hat und die Echos CNN in das Hotelzimmer in Hongkong zurückspiegeln, da sagt er: "Nicht zu wissen, was in den nächsten Stunden und Tagen passiert, ist beängstigend. Aber auch befreiend."

Er sitzt da in diesem engen Zimmerchen, immer auf dem Bett, das Fernsehen zeigt die NSA-Zentrale, und seine Reiselektüre ist, wie von der Requisite rausgelegt, Cory Doctorows "Homeland" (jugendliche Hacker kämpfen darin gegen einen allwissenden Überwachungsstaat).

Ein Spielfilmregisseur hätte sich vermutlich kein beklemmenderes Setting einfallen lassen können, um zu zeigen, dass hier das Gefängnis von Snowdens einsamen Vorausplanungen endet, und eine Art von Gefängnis und Einsamkeit beginnt, in der die anderen am Ball sind. "Ich habe schon früh gewusst", wird Glenn Greenwald nach der Filmpremiere sagen, "das Stärkste sind nicht die Dokumente, sondern das ist die Story von Snowden."

Man muss Snowden ins Herz schließen

Ab hier hat man den Eindruck, dass Poitras im Interesse dieser Dokumente und in Parteinahme für ihre Veröffentlichung nun den Fokus ganz auf eine dramatische Heldenfigur richtet, die gerade den Rubikon überschritten hat (Snowden: "What happens, happens."), und ihr ihm Bad beim Kampf gegen widerborstige Haarzipfel zuschaut (Snowden: "Shit!") und bei der paranoiden Behandlung des Telefons. Es ist tatsächlich schwer, Snowden nicht ins Herz zu schließen, er hat im Übrigen auch einen ganz guten Humor.

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Die Kamera bleibt bei alldem zwar cool, aber die Frau dahinter wird parteiisch: Als Snowdens Zimmer vor den Nachstellungen der Medien nicht mehr sicher ist, bietet sie ihm ihres an. Der Branchenzeitschrift Hollywood Reporter gab das Anlass zu Erwägungen, ob diese Rollenvermischung die Oscar-Chancen des Films mindert oder eher noch erhöht. Auch eine mögliche Perspektive.

Poitras und Greenwald sind jedenfalls nicht nur die Überbringer von Snowdens Botschaft, sie sind auch seine Fluchthelfer und müssen als seine Apostel selber sehen, dass sie sich bei ihrer Arbeit vom Boden der USA fernhalten. Wir lernen, dass Greenwald, der mit einem Brasilianer zusammen ist, fast genauso maschinengewehrartig Portugiesisch sprechen kann wie Englisch. Und dass Poitras ihre Basis in Berlin hatte.

"Citizenfour" ist mindestens so sehr ein deutscher Film wie ein amerikanischer. Der Abspann nennt, bevor er im Übrigen dem TOR Project und anderen Verschlüsselungstechniken dankt, unter anderem den BR, den NDR, die Deutsche Filmförderung, die Berliner Postproduktionsfirma DieBasis.

Der Film ist absolut parteiisch - gerade das wird bejubelt

Nach diesem Abspann bejubelte das Publikum in New York den Film in einer Weise, die auch nicht nur mit dem Film an sich zu tun hatte, sondern mit seiner und damit Snowdens Mission. Dieser Jubel galt Snowdens Eltern, die nach dem Film auf die Bühne kamen. Und er galt natürlich Laura Poitras, die davon erzählte, wie das ist, auf einer Watchlist zu stehen, die offiziell gar nicht existiert, gegen die es daher auch keine Rechtsmittel gibt.

Über die Qualität ihres Films sagte das aus, dass er nicht nur parteiisch ist, sondern sein Publikum auch effektiv parteiisch macht. Jedenfalls war das in New York so, und das ist immerhin "Homeland", wie nicht nur Doctorow sagen würde, sondern auch die NSA.

"Citizenfour" hat seine Deutschlandpremiere am 27.10. beim Dokumentarfilmfestival in Leipzig.

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