Dokumentarfilm: The other Chelsea:Unter der Knute des Oligarchen

Multimilliardär Rinat Achmetow herrscht in Donezk wie ein Patron: Millionen für den Fußballklub, nichts für die Kohle-Mine. Trotzdem ist er in der Stadt beliebt. Ein deutscher Dokumentarfilm, der an diesem Freitag die Doku-Days in Kiew eröffnet, erklärt warum.

Johannes Aumüller

Der Kohle-Mine Putilowskaja geht es dreckig. Alles ist heruntergekommen, die Sicherheit mangelhaft, die Zukunft ungewiss. Ihre Lichter müssen die Arbeiter selbst kaufen, in Zukunft vielleicht sogar die ganzen Maschinen, scherzen sie. Sie schwärmen von den guten alten Sowjetzeiten. Und es ist keine Rettung in Sicht, kein Investor, der mal ein bisschen Geld locker macht.

Rinat Achmetow Viktor Juschtschenko

Dass der Donezker Patron Rinat Achmetow und der frühere Staatspräsident Viktor Juschtschenko so einträchtig nebeneinander stehen, ist ein eher seltenes Bild - immerhin eint sie die Farbe Orange.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Dem Fußballverein Schachtjor geht es glänzend. Er hat genug Geld, um sich eine Handvoll brasilianischer Spitzenspieler und sonstige ausländische Akteure zu leisten, er legt eine rasante Entwicklung hin, gewinnt die Meisterschaft, die Europa League, und spielt künftig im einzigen Fünf-Sterne-Stadion Osteuropas. Und das alles dank der Millionen und Abermillionen eines einzigen Gönners - Rinat Achmetow, einer der reichsten Männer Europas und ein Hauptfinanzier der "Partei der Regionen" von Staatspräsident Viktor Janukowitsch.

Beide, die Mine Putilowskaja wie der Fußballklub Schachtjor, sind in der ostukrainischen Eine-Million-Einwohner-Stadt Donezk beheimatet. Und über 85 Minuten skizziert Jakob Preuss in seinem mit dem Max-Ophüls-Preis 2011 ausgezeichneten Dokumentarfilm The other Chelsea. A story from Donetsk diesen ebenso unübersehbaren wie unverständlichen Gegensatz, um ihn dann in der zentralen Frage münden zu lassen: Warum in Herrgotts Namen steckt dieser Achmetow eigentlich Hunderte Millionen Euro in den Fußball und hat nicht mal ein paar Hunderttausend Euro übrig, um den Menschen im Schacht zu helfen?

Zugegeben: Preuss' Frage ist etwas zugespitzt. Denn Achmetow, um dessen Aufstieg in der Donezker Geschäftswelt sich üble, aber nie bewiesene Gerüchte ranken, investiert viel. Nicht nur in den Fußball, sondern auch in die Bildung, in die Wirtschaft und in manche Kohle-Mine.

Das ist wichtig, um auch den Titel des Films zu verstehen. Denn Donezk ist keineswegs ein anderes Chelsea im Sinne eines zweiten Chelsea, wo der Russe Roman Abramowitsch unglaubliche Summen in den englischen Traditionsverein steckt, um im Oligarchen-Spiel "Meine Villa, mein Flugzeug, mein Fußballverein" vorne zu liegen. Der Donezker Patron Achmetow hingegen wohnt noch in der Stadt, gibt sich als versöhnlicher Lokalpatriot und versteht den Klub als eines von vielen Mitteln, eine ganze Region politisch und ökonomisch zu prägen.

Der Oligarch verweigert sich

Die Antwort auf die zugespitzte Frage gibt übrigens nicht der Oligarch selbst. Achmetow kommt in dem kompletten Film nicht zu Wort. Das ist einerseits natürlich ein Malus, weil ein Film über Donezk ohne Achmetow-Aussage zunächst wie eine München-Stadtführung ohne Besuch des Marienplatzes erscheint. Doch andererseits gleicht Preuss dieses Problem geschickt aus. Denn in gewissem Sinne spricht Achmetow doch - nämlich durch den Mund eines Mannes, der ihn über alle Maßen bewundert: Nikolaj Lewtschenko, Spitzname Kolja.

Kolja ist noch keine 30, aber in Donezk schon einer der wichtigsten Politiker der "Partei der Regionen"; und wo Achmetow seine Meinung vielleicht in wohlüberlegten Formulierung kundgetan hätte, gibt sich Kolja auf eine heftige, direkte, bisweilen fast schon naive Art. Er ist eine Rampensau, ein Provokateur und ein gnadenloser Populist. Er hasst die Westukrainer, die Orangenen und deren obersten Vertreter Viktor Juschtschenko. Er lehnt Vergleiche zwischen Stalin und Hitler ab, aber vergleicht gerne mal Hitler und Juschtschenko. Er gibt offen zu, auch als Politiker noch sein Business zu betreiben, zunächst ganz ohne Bedenken, später mit dem Hinweis, es nur außerhalb von Donezk zu tun.

Der großkotzige Kolja

Und, natürlich: Kolja ist Fußball- und Schachtjor-Donezk-Fan. Wobei ihn sein Fantum gehörig von dem des Minen-Arbeiters Sascha, der zweiten Hauptperson des Filmes, unterscheidet. Er kommt per Charterflug zum Europa-League-Finale nach Istanbul - und nicht per 40-stündiger Busfahrt, wie der gemeine Schachtjor-Anhänger. Er erfreut sich an VIP-Tribüne, Sektempfang und den Blicken auf Achmetow, der ein paar Meter von ihm entfernt die Spiele des Klubs verfolgt.

Dass Preuss, der viele Länder des ehemaligen Ostblocks kennt und dort unter anderem schon als Wahlbeobachter gearbeitet hat, diesen Nikolaj Lewtschenko für den Film gewonnen hat, ist eines seiner größten Verdienste. Die Leute aus der Mine, den Fußball-Fan Sascha, den Arbeiter Stepanowitsch oder dessen lebenslustige neue Partnerin Walja, die trotz all ihrer Schwierigkeiten immer noch die "Partei der Regionen" wählen, Achmetow schätzen und sich in die Sowjetunion zurücksehnen, für solch ein Projekt zu gewinnen - okay. Aber dass ein Protagonist wie Lewtschenko so offen Einblicke in dieses dekadente, intransparente und die Sowjetunion verklärende Denken gibt, ist selten.

Kritisches Porträt einer auseinanderdriftenden Stadt

Wobei Kolja seine eigene großkotzige Art selbst nicht ganz geheuer ist. "Als der Film fertig war und er ihn gesehen hat, wollte er einige Szenen gerne rausschneiden lassen", sagt Preuss. Lewtschenko kam sogar extra von Donezk nach Berlin geflogen, um über Veränderungen zu verhandeln, doch lediglich bei manchen kleineren Sequenzen hat ihm Preuss den Gefallen auch getan. Nun würde Lewtschenko gerne die Rechte an dem Film für den russischen, weißrussischen und ukrainischen Markt haben.

Doch der selbstbewusste Claquer hat nach Preuss' Einschätzung nicht etwa Angst vor dem Zorn der Öffentlichkeit, weil er vielleicht zu arrogant, großspurig oder zu herablassend rüberkommen könnte. Er fürchtet sich vielmehr vor dem Urteil seiner Gönner und der Frage, ob er nicht vielleicht ein bisschen viel preisgegeben habe.

Preuss hat keinen Fußballfilm gedreht, sondern ein kritisches Porträt einer Stadt, in der die Gesellschaft immens und immer weiter auseinanderdriftet. Und doch ist es auch einer glücklichen Fügung des internationalen Fußballs zu verdanken, dass The other Chelsea so gelungen ist.

Denn ausgerechnet im Jahr 2008, als Preuss seine Recherchen abgeschlossen hatte und sich an die Umsetzung und Finanzierung des Projekts machte, startete Schachtjor in der Europa League seine starke Phase, die mit dem Sieg des Wettbewerbs im Frühjahr 2009 endete - was Preuss als roten Faden seines Filmes nutzt. Und ausgerechnet jetzt, wo Preuss den Film auf diversen Festivals präsentiert und unter anderem am 26. März die Kiewer DocuDays eröffnet, übertrifft sich der Klub noch einmal selbst: Er steht erstmals im Viertelfinale der Champions League und trifft dort auf den FC Barcelona.

Der Kohle-Mine Putilowskaja dagegen geht es immer noch dreckig.

Weitere Informationen, unter anderem die aktuellen Aufführungstermine, zum Film: www.theotherchelsea.com und www.facebook.com/theotherchelseafilm.

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