"Master of the Universe" auf Arte:Bereit, sein Leben aufzugeben

Marc Bauder wollte eine Doku über die Finanzwelt drehen. Niemand wollte vor die Kamera, Banken verweigerten eine Drehgenehmigung. Dann traf er Rainer Voss - der ehemalige Investmentbanker redet so saftig über die kalte Bankenwelt, dass man auch nach 90 Minuten nicht genug hat.

Von Thorsten Schmitz

Kann das gut gehen? Einen Dokumentarfilm zu drehen über die kalte Bankenwelt mit nur einem Hauptdarsteller, der 90 Minuten lang redet, in einem seit sechs Jahre leer stehenden Bankgebäude in Frankfurt am Main? Es kann.

"Master of the Universe" beginnt mit einem monumentalen Blick auf die Skyline von Frankfurt bei Nacht. Langsam zoomt die Kamera (Börres Weiffenbach) auf die Bankentürme. Man sieht: Menschen vor Computern, am Telefon. Man hört: Rainer Voss. Noch vor fünf Jahren war Voss selbst einer dieser Turm-Menschen. Als Investmentbanker verschob er Milliardenbeträge per Mausklick und verdiente weit über eine Million Euro im Jahr. Wer sind diese Menschen? Nach langer Suche stieß Regisseur Marc Bauder auf Rainer Voss, der so saftig redet, dass man nach 90 Minuten noch weitere 90 Minuten zuhören möchte.

Wer in die Turm-Welt aufgenommen wird, zahlt einen hohen Preis. Das Anforderungsprofil, das Voss beschreibt, klingt, als gebe man seine Persönlichkeit in der Lobby ab: "Angenommen, Sie wollen da rein. Wie muss ich sein? Was erwartet mich da? Auf jeden Fall ohne Murren Schulterklappen sammeln. Die Schulterklappen sammelt man durch One-Nighter oder Two-Nighter. One-Nighter ist, wenn Sie eine Nacht im Büro schlafen, Two-Nighter sind zwei Nächte, das heißt: Durcharbeiten."

Voss steht in einem ausrangierten Bankenturm und erzählt, wie das Belohnungssystem funktioniert. Wer genug Nächte durchgearbeitet habe, werde mit größeren Aufgaben belohnt, "aber nur, wenn Sie nicht den kleinsten Anschein des Zweifels erwecken, dass es vielleicht Sachen gibt, die man anders machen könnte". Politische Äußerungen? "Bloß nicht! Sie müssen bereit sein, Ihr Leben aufzugeben."

Voss kommt aus kleinen Verhältnissen. Sein Vater war Heizungsingenieur, seine Mutter verstand nicht, wenn er sie von Geschäftsbesuchen aus Tokio oder New York anrief. Irgendwann verlor er auch den Anschluss zu seinen Freunden. "Du", haben sie ihm manchmal erzählt, "wir haben unseren Urlaub bei TUI gebucht, da war's 200 Euro billiger." Rainer Voss sagt: "Das interessiert dich einfach nicht, wenn du 100.000 Euro im Monat verdienst."

Bedingungslose Loyalität

Regisseur Bauder wollte einen breit angelegten Film drehen über die Finanzwelt und ihre Akteure. Einige Banker ließen sich zwar auf Vorgespräche ein, aber vor die Kamera wollte niemand. Deutsche Bank und Commerzbank weigerten sich, in ihren Häusern drehen zu lassen. Rainer Voss sagte zu unter der Bedingung, dass weder Namen von Kollegen noch von Kredithäusern genannt würden. Die braucht es auch nicht. Kenntnisreich, anschaulich und authentisch berichtet er aus jener Welt, die für Finanzkrisen und den Ausverkauf Griechenlands mit verantwortlich ist.

Manchmal hat man das Gefühl, Voss ist noch heute erschrocken darüber, dass er dieser Welt angehört hat - einer Welt, in der die Bank-Familie wichtiger geworden war als die eigene. "Wie läuft so ein Two-Nighter ab? Da kommt der Chef zu Ihnen und sagt: Ich habe hier was auf den Tisch gekriegt, wir müssen übermorgen bei Firma XY ein Konzept präsentieren, mit welcher Finanzierung die zehn Prozent ihrer Aktien zurückkaufen können und eine Einschätzung, wie das auf den Markt wirken wird. Tut mir leid, ich weiß, du hast heute Geburtstag und wolltest mit deiner Frau essen gehen."

Voss gehört dieser Welt nicht mehr an. Sein vorletzter Arbeitgeber hatte ihn entlassen, seinem letzten hatte er gekündigt. Er ist "ausgestiegen" und lebt heute, finanziell gut abgesichert, als Privatier. Er könnte leicht denunzieren, aber er tut es nicht. In klaren Sätzen erläutert der 54-Jährige, dass die durchschnittliche Haltedauer einer Aktie von vier Jahren auf 22 Sekunden geschrumpft sei. Die Funktion von Bad Banks erklärt er am Beispiel von vergammelten Äpfeln.

Die Kamera zeigt die imposante (und kalte) Skyline Frankfurts, und Voss schildert den Druck auf Investmentbanker, jedes Jahr zehn Prozent mehr Rendite machen zu müssen. Diese Erwartung verschiebe das Geschäft irgendwann "in Richtung Illegalität". Er spricht auch von dem gigantischen Gewinnpotenzial, das darin stecke, "dass Leute Interesse haben, dass der Euro zerbricht".

Voss beschreibt die Bankenwelt als geschlossenes, bedingungslose Loyalität verlangendes System. Ein System, das seine Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern mit unfassbar hohen Provisionen ausdrückt - und sie so an sich bindet. "Um die Außenwelt musst du dich nicht kümmern, es wird für dich gesorgt. Die Kinder gehen in denselben Kindergarten, man macht Urlaub an denselben Orten, fährt Ski in Gstaad und fliegt auf die Seychellen." Und entfernt sich so immer weiter von der Wirklichkeit. Und die Wirklichkeit heute? Voss prophezeit, dass Frankreich als nächstes EU-Land eine Finanzkrise auslösen werde.

Master of the Universe, Arte, 22.55 Uhr

Dieser Artikel wurde erstmals zum Kinostart von "Master of the Universe" im Herbst 2013 veröffentlicht. Aus Anlass der Fernsehausstrahlung des Films ist er hier noch einmal dargestellt.

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