"Playing God" im Kino:Gott ist auch ein armes Schwein

"Playing God" im Kino: Master of Disaster: Ken Feinberg ist Amerikas berühmtester Entschädigungsexperte.

Master of Disaster: Ken Feinberg ist Amerikas berühmtester Entschädigungsexperte.

(Foto: Real Fiction)

Wie viel ist ein Menschenleben wert? Das fragt der Dokumentarfilm "Playing God" über Amerikas nationalen Problemlöser: den Entschädigungsspezialisten Ken Feinberg.

Von Martina Knoben

Was ist das Leben eines Feuerwehrmannes wert, der am 11. September in den Twin Towers starb? Und warum ist das Leben eines Börsenmaklers, der in den Türmen ums Leben kam, deutlich "teurer"? Der Mann für diese seltsamen Fragen heißt Ken Feinberg - Amerikas berühmtester Entschädigungsspezialist. Zuletzt hat ihn Volkswagen engagiert, die Schadenersatzansprüche nach der Diesel-Affäre zu regulieren. Die Währung, in der körperlicher Schaden oder auch ein Menschenleben aufgewogen werden, ist der Dollar. "Es ist nicht fair, Menschen Geld zu geben, die ihre Liebsten verloren haben", sagt Feinberg in dem neuen Dokumentarfilm "Playing God", der seiner Arbeit gewidmet ist. "Aber es ist nun mal das amerikanische System."

Das US-amerikanische Entschädigungswesen mit seinen teilweise horrend hohen Summen ist berühmt-berüchtigt - und Feinberg einer seiner bedeutendsten Köpfe. Als jungem Rechtsanwalt wurde ihm 1984 der Agent-Orange-Fall anvertraut. Zigtausende Veteranen des Vietnamkriegs litten unter den Spätfolgen des Einsatzes und klagten gegen die Chemiefirmen, die das Gift produziert hatten; Feinberg erreichte eine außergerichtliche Einigung. Es war der Beginn einer beispiellosen Karriere - Feinberg gilt mittlerweile als nationaler Problemlöser. "Master of Disaster" wird der Mediator und Anwalt gern genannt, weil er die ganz großen Fälle reguliert. So arbeitete er für die Opfer der Ölkatastrophe nach der Explosion auf der Plattform "Deepwater Horizon" die Entschädigungsregelungen aus oder verwaltet die Fonds nach tödlichen Amokläufen. Berühmt wurde er als Manager der Entschädigungen für die Hinterbliebenen des Anschlags vom 11. September.

Der Tausch ist an die Stelle des Opfers für die Gemeinschaft getreten

Es sind die Spielregeln des Kapitalismus, die die Regisseurin Karin Jurschick in ihrem Filmporträt studiert, und grundsätzlicher noch die Mechanismen einer Gesellschaft, die Leid und Tod anonymisiert und auf Distanz halten will. "Playing God" wirkt wie eine Fortsetzung von Jurschicks letztem Film "Krieg und Spiele" (2016), in dem sie sich mit Drohnen beschäftigt hat. Darin kam der Politikwissenschaftler Herfried Münkler zu Wort, der die westlichen Gesellschaften als "postheroisch" beschreibt: Immer weniger Menschen seien bereit, für ihr Gemeinwesen zu sterben, weshalb die Drohne die Waffe unserer Zeit sei - und der Tausch, die Entschädigung, an die Stelle des Opfers getreten ist.

Feinberg ist ein idealer Protagonist, diese Tendenz zu illustrieren. Er ist als Hauptfigur eines Dokumentarfilms überhaupt ein Glücksfall. Jurschicks Kamera nähert sich ihm sehr behutsam, als schleiche sie sich an - vorsichtig und respektvoll. Es ist mitten in der Nacht. Feinberg kann, wie so häufig, nicht schlafen. Er hört klassische Musik und sieht sich gleichzeitig einen alten Schwarz-Weiß-Film an. "Tagsüber sehe ich das Schlimmste der Zivilisation - Tod, Zorn, Frustration, Tragödie", sagt Feinberg, "in der Nacht höre ich ein Konzert, Oper, den Höhepunkt der Zivilisation: Wagner, Verdi, Beethoven, Brahms, Mahler." Feinberg ist ein kluger und skrupulöser Mann, der sich der Defizite des Entschädigungsprinzips nur zu bewusst ist. Aber er wirkt auch abgehoben: Immer wieder zeigt ihn der Film, wie er in Limousinen oder Privatflugzeugen verschwindet, gern zu Opernklängen. Und er ist ein Showman - der 72-Jährige wollte in seiner Jugend Schauspieler werden -, der die Menschen mit seinem Charisma manipuliert.

Jurschick aber lässt sich nicht einwickeln. Sie ist schon mit ganz anderen Protagonisten klar gekommen - allen voran ihrem eigenen Vater. Ihr Langfilmdebüt "Danach hätte es schön sein können" (2000) ist die zutiefst persönliche und doch auch distanzierte Betrachtung eines kalten Technokraten, der die Mutter in den Selbstmord getrieben hatte, dabei selbst als Produkt von Nazi- und Wirtschaftswunderzeit erscheint. "Ich liebe es, im Kleinen, Menschlichen, in den persönlichen Geschichten und Gesten das ,Große' zu suchen und umgekehrt", sagt Jurschick; seit diesem Herbst ist sie Professorin für Dokumentarfilm an der Münchner Filmhochschule.

Feinbergs Formel, um den Wert eines Lebens zu bemessen, wirkt einfach: Wie hoch ist der wirtschaftliche Schaden, der durch den Tod eines Menschen entsteht? Wie hoch war sein Einkommen? Wie lange hätte er noch gearbeitet? Angehörige macht diese Formel regelmäßig wütend. Der Filmtitel spielt auf ein Plakat an, das man ihm bei einer Demo entgegenhielt: "Spielen Sie nicht Gott". Wenn man Feinberg sieht, wie er immer wieder dem Schlimmsten ins Auge sieht, erscheint diese Form der Allmacht ohnehin wenig erstrebenswert: Gott ist auch ein armes Schwein.

In einer Filmszene ist das Fotos eines in den Twin Towers gestorbenen Feuerwehrmannes an einer Laterne zu sehen. Seine Frau erzählt stolz, ein Passant hätte im Vorbeigehen salutiert.

Playing God, D 2017 - Regie: Karin Jurschick. Buch: K. Jurschick, Birgit Schulz. Kamera: Timm Lange. Schnitt: Anika Simon. Verleih: Realfiction, 90 Min.

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