Doku über NSU-Opfer aus Köln:"Die Bombe hat ihr Ziel erreicht"

Andreas Maus

Andreas Maus beleuchtet in seiner Dokumentation "Der Kuaför aus der Keupstraße" die Polizeiarbeit rund um das Nagelbombenattentat des NSU in Köln.

(Foto: dpa)

Eine Nagelbombe des NSU erschüttert die Keupstraße in Köln, ermittelt wird gegen die Opfer. Andreas Maus' Film über diese Demütigung läuft nun im Kino.

Interview: Ruth Schneeberger

Erst wurden sie Opfer eines Bombenanschlags, dann als Täter verdächtigt: Die Friseure aus der Kölner Keupstraße, zwei in der Türkei geborene Brüder, mussten sieben Jahre lang durch die Hölle gehen. Der Kölner Filmemacher Andreas Maus hat daraus eine Dokumentation gemacht, die seit Donnerstag im Kino läuft: "Der Kuaför aus der Keupstraße". Anhand der Verhörprotokolle und Interviews mit den Opfern des Nagelbombenattentats von 2004 beleuchtet er, wie die Polizei die Falschen verdächtigte - bis 2011 herauskam, dass der NSU dahintersteckte.

SZ: Wie kamen Sie auf das Thema NSU? Ihr letzter Kinofilm handelte von russischen Ladas.

Andreas Maus: Ich habe als Journalist für das ARD-Polit-Magazin Monitor über den NSU berichtet, nachdem er sich quasi selbst aufgedeckt hatte. Dann hatte ich diese ganzen Dokumente und Verhörprotokolle. Mir wurde klar, dass man die Geschichte über eine TV-Doku hinaus anders erzählen muss, vor allem über die Art, wie die Polizei ermittelt hat. Normalerweise hat man zu Beginn eines Films seine Protagonisten. Wir hatten die Akten. Daraus ergab sich die Frage: Mit welchem Protagonisten kann ich die Geschichte erzählen? Da landete ich schnell bei den beiden Frisören, deren Laden durch die Nagelbombe zerstört wurde und die im Mittelpunkt der Ermittlungen standen.

War es schwierig, die Opfer für den Film zu gewinnen? Manche wirken nachhaltig beschädigt durch diese traumatischen Ereignisse. Einer der beiden Friseure sagt, seine Ehe und sein Geschäft seien kurz vor dem Scheitern gewesen, er habe an Selbstmord gedacht.

Am Anfang war es schwierig, weil unsere Recherchen anfingen, als der erste Hype nach der Aufdeckung des NSU Politiker und Medien durch die Straße getrieben hat. Die Menschen dort waren danach sehr müde und enttäuscht. Sie haben gedacht: Jetzt gibt es endlich eine Chance für Aufklärung oder Gerechtigkeit, aber sie wird nicht genutzt. Ich musste immer wieder erläutern, dass es nicht darum geht, einen kurzen Betroffenheits-O-Ton von ihnen abzuholen, sondern ihre Geschichten viel breiter zu erzählen, aus ihrer Perspektive.

Hat die Auseinandersetzung den Opfern geholfen oder die Verarbeitung noch schwieriger gemacht?

Die Entwicklung während der Dreharbeiten war für sie hilfreich. Sie haben sich geöffnet wie nie zuvor. Sie haben sich selbst ein bisschen von ihrer Geschichte befreit, indem sie sie preisgegeben haben. Vorher hatten sie sich abgekapselt, um bloß nicht über diese Schande reden zu müssen.

Sie inszenieren die Verhöre mit Schauspielern. Sie hätten stattdessen auch die Familien begleiten können, etwa zum NSU-Prozess nach München.

Wenn man die Opfer ihre eigenen Verhöre hätte nachsprechen lassen, hätte das zu einer Emotionalisierung geführt, die von der Nüchternheit und der Brutalität dieser Verhöre weggeführt hätte. Eigentlich war es aber in der Tat so gedacht, dass wir die Opfer noch nach München begleiten. Aber dann hat sich dort im Prozess alles um ein Jahr verzögert und wir waren schon durch mit den Interviews. Uns wurde klar: Wir brauchen die Bilder vom Prozess nicht mehr, wir wollen in der Keupstraße bleiben. Wir hätten sonst noch den Prozess und Beate Zschäpe erklären müssen, dann wären die Täter vielleicht wieder in den Fokus gerückt.

Warum passiert das so oft, dass nach Gewalt- und Attentaten die Opfer vergessen werden und alle sich nur noch mit den Tätern beschäftigen?

Das wüsste ich auch gerne. Vielleicht sind wir alle kleine Sozialarbeiter, die das Böse begreifen und analysieren wollen. Während die Sache mit den Opfern schnell klar ist: Die sind einfach nur zu bedauern.

Warum hat Ihrer Meinung nach die Polizei so lange in die falsche Richtung ermittelt?

Es war wohl eine Mischung: Zum einen gibt es definitiv ein strukturelles Problem bei den Ermittlungsbehörden, einen institutionalisierten Rassismus. Die Polizei hat ihre Erfahrungen mit der Keupstraße als einem Ort, wo es Kriminalität und auch Drogen gibt, als Maßstab genommen. Das ist genau das, was sachkundige Ermittler nicht tun sollten. Profis legen ihre Erfahrungen beiseite und ermitteln mit einem offenen Blick in verschiedene Richtungen. Was in Köln passiert ist, haben alle NSU-Opfer in identischer Weise erlebt. Das ist also kein Versagen eines einzelnen Beamten. Zum anderen wollte man wohl schnelle Erfolge. Und zum dritten gab es das Signal durch den damaligen Innenminister Otto Schily, dass man die Täter im kriminellen Milieu zu suchen habe.

"Demütigungen über sieben Jahre hinweg"

Viele glauben, dass die Polizei sowieso auf dem rechten Auge blind ist, dass dort eine rechtsgerichtete Gesinnung herrscht und man deshalb lieber links oder bei Migranten ermittelt. Denken Sie das auch?

Man darf nicht glauben, dass man rechtsgerichtete Beamte braucht, um rassistisch zu ermitteln. Diese Form von Rassismus hat nicht unbedingt mit Parteipolitik zu tun, sondern eher damit, dass jemand seinem eigenen Klischee aufsitzt und seine vorgefassten Meinungen nicht in Frage stellt. Dass der eine oder andere Beamte vielleicht eine Nähe hat nach rechts hat, will ich nicht bestreiten, aber ich würde das in diesem Fall gar nicht beschwören wollen.

Hat die Polizei in Ermittlungstätigkeiten grundsätzlich ein strukturelles Problem? Opfer werden ja immer wieder zu Tätern gemacht - auch ohne Rassismus.

Das würde ich so sehen. Wenn ein Beamter eine vorgefasste Meinung hat und nicht in der Lage ist, sich davon zu befreien, ist das keine professionelle Polizeiarbeit. Ich sage nicht, dass sie nicht in der Keupstraße hätten ermitteln sollen. Was ich ihnen aber vorwerfe, ist, dass sie immer wieder mit den gleichen Vorwürfen kamen. Ohne konkreten Anlass und mit Vorhaltungen, die erfunden waren. Das ist kein Versehen. Die Opfer hatten vorher großes Vertrauen in den Rechtsstaat. Das wurde komplett erschüttert durch die Sicherheitsbehörden, die sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt haben.

Welche Vorhaltungen der Polizei waren erfunden?

Dass man die Türsteher verdächtigt hat, die in dem Friseurladen verkehrten, dass man von Mafia und Schutzgeldern sprach, ohne irgendeine Beweislage. Es ist für mich Ausdruck von Hilflosigkeit, dass man nach zwei Jahren die gleichen Menschen wieder ins Verhör schleift und sie mit ausgedachten Delikten konfrontiert, um einen Keil in die Familie und zwischen die Brüder zu treiben und irgendwann vielleicht ein Geständnis herauszupressen.

Vor allen Dingen ohne in die rechte Richtung zu ermitteln.

Es wurde auch nach rechts ermittelt, aber nur kurz. Man hat überlegt: Es gäbe da einen Rechten. Aber der war zu dem Zeitpunkt nicht da. Also wurde die Akte geschlossen. Die haben gar nicht darüber nachgedacht, dass an dieser Straftat Menschen beteiligt sein können, ohne am Tatort gewesen sein zu müssen, weil sie Teil eines Netzwerkes sind. Das hat man komplett vernachlässigt, während man innerhalb der türkischen Community nach genau diesen Strukturen gesucht hat.

Auch die Szene im Film, in der der ermittelnde Beamte verhört wird, wirkt wahnsinnig hilflos.

Das ist eine Szene aus dem NSU-Untersuchungsausschuss. Dieses Muster gab es überall, auch jetzt wieder in NRW nach Silvester: das Zurückziehen auf Wissens- und Gedächtnislückenlücken. Für mich ist das eine zweite Demütigung der Opfer. Die Sicherheitsbehörden weigern sich bis heute, Aufklärung zu liefern, während sich die Opfer des NSU bis aufs Unterhemd haben entblößen müssen.

In ihrem Film berichten die Protagonisten von schlimmen Nachwirkungen auch seelischer Art. Wie sollte Unterstützung aussehen?

Die Opfer sagen ganz klar: Wir brauchen professionelle Unterstützung psychologischer Art. Sie sind Opfer von Terror geworden und haben Symptome, die man aus Kriegen kennt, posttraumatische Belastungsstörungen. Eine kontinuierliche Unterstützung vor Ort mit geschulten Kräften, die Verständnis haben für die Schwierigkeiten der Menschen, sich zu öffnen, und wo sie auch in ihrer eigenen Sprache sprechen können.

Warum passiert das nicht?

Ich glaube, es fehlte die Sensibilität. Bis zum Auffliegen des NSU gab es gar nichts an Unterstützung. Wenn das in einer von Deutschen bewohnten Straße passiert wäre, hätte das ganz anders ausgesehen. Später war man sich immer noch nicht bewusst, wie stark die Menschen geblutet haben. Und zwar nicht nur, weil da eine Bombe explodiert ist, und sie verletzt wurden und ihre Laden zerstört, sondern durch die Demütigungen über sieben Jahre hinweg. Das hat nochmal zu einer Traumatisierung geführt, die die Verantwortlichen seitens Politik und Stadt gar nicht realisiert haben. 90 Prozent der Opfer haben sich aus dieser Gesellschaft zurückgezogen. Die muss man abholen.

Ein bisschen wurde gemacht: Es gab ein großes Unterstützungskonzert und der Bundespräsident kam zum Händeschütteln vorbei, wie im Film zu sehen ist. Mein Eindruck von diesen Bildern ist, dass das eine reine PR-Aktion war. Wie sehen Sie das?

Die Bilder sprechen für sich. Ich will dem Bundespräsidenten keine unlauteren Absichten unterstellen, aber diese Aufmerksamkeit ist wie eine große Welle über die Keupstraße gezogen und hat für viele Diskussionen unter den Opfern gesorgt. Weil plötzlich Leute auf der Bühne standen, die mit der Sache nichts zu tun hatten - und die Betroffenen saßen wieder am Katzentisch.

Sie leben selbst in Köln, die Kölner gelten eigentlich als weltoffen. Wie hat sich das Zusammenleben mit den muslimischen Communities geändert seit dem Anschlag, den Verdächtigungen und auch seit der Silvesternacht?

Bis zum Auffliegen des NSU war die Keupstraße ein Ort, der für die Kölner keine Rolle gespielt hat. Die Menschen blieben da unter sich. Aber das Vertrauen in der Straße ist zerrüttet worden. Jeder dachte: Es muss einer von uns gewesen sein, sonst würden die Sicherheitsbehörden nicht so lange in diese Richtung ermitteln. Insofern hat die Bombe ihr Ziel erreicht. Sie hat eine aufstrebende funktionierende Community und türkisch geprägte Gesellschaft mitten in Köln zerstört. Nach dem Auffliegen des NSU gab es die Erleichterung: Seht her, wir waren es nicht, wir haben es euch immer gesagt. Trotzdem blieb eine Grunderschütterung, weil keine echte Aufklärung geliefert wurde.

Heute versucht man einerseits, die Straße wieder zu beleben. Und gleichzeitig ist durch die Silvesterereignisse eine Angst zurückgekehrt: Können wir wieder in den Fokus geraten von Anschlägen? Auch das Attentat in der Türkei hat Auswirkungen auf eine türkische Community wie in Köln. Da herrscht große Unsicherheit. Einige merken, dass sie plötzlich wieder als Muslime schief angesehen werden. Obwohl sie schon als Kind in dieser Straße gespielt haben, werden sie als potenzieller Feind für die Gesellschaft wahrgenommen.

Kinostart - 'Der Kuaför aus der Keupstraße'

Nachgestellte Szene aus dem Kinofilm: Am Nachmittag des 9. Juni 2004 explodierte vor dem Friseurgeschäft von Özcan Yildirim in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe - ein rechter Terrorakt des NSU.

(Foto: dpa)
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