"Doktor Schiwago" und die CIA:Irrungen und Waschungen

Der gewaschene Roman und die große Politik: Hätte Boris Pasternak den Nobelpreis für Literatur bekommen, wenn die CIA sich nicht eingemischt hätte?

Thomas Steinfeld

Fünfzig Jahre werden die Akten der Schwedischen Akademie im Geheimen aufbewahrt. Seit wenigen Tagen kann sie also Einsicht nehmen in die Unterlagen des Jahres 1958, in dem Boris Pasternak den Nobelpreis für Literatur erhielt: für den Roman "Doktor Schiwago", der erst im Jahr zuvor erschienen war. Einsicht in die Akten nahm nun Kaj Schueler, Feuilletonredakteur der schwedischen Tageszeitung Svenska Dagbladet, und was er herausfand, ist eine abenteuerliche Geschichte.

szene aus dr. schiwago dpa

Irrungen der Liebe: Szene aus "Doktor Schiwago" mit Omar Sharif und Julie Christie, dem Film zur Romanvorlage von Boris Pasternak.

(Foto: Foto: dpa)

Die entscheidende Sitzung fand offenbar am 25. September statt. An diesem Tag beschloss das Auswahlkomitee, den anderen Mitgliedern der Schwedischen Akademie weder Karen Blixen noch Alberto Moravia vorzuschlagen, die beide den Preis dann nie erhielten, sondern den Russen Boris Pasternak. Der Journalist und Schriftsteller Anders Österling, damals Ständiger Sekretär der Akademie, notierte in seiner Stellungnahme: "Das Studium, wenn auch in zweiter Hand, hat mich für meinen Teil in der Überzeugung gestärkt, dass Pasternak einer der bedeutendsten Dichter der Gegenwart ist, kraft seiner verwegenen Dynamik und seines künstlerischen Raffinements."

Dabei hatte er noch ein Jahr zuvor behauptet, Pasternak - der in der Sowjetunion nicht mehr publiziert werden durfte - gehöre nicht zu den Dichtern, deren Auszeichnung auf "Widerhall beim Volk" stoßen könne. Dieses Urteil bestätigt frühere Ansichten der Akademie, die zum ersten Mal 1946 gemeint hatte, es gebe nicht viele Schriftsteller, die "so viel geschrieben, was so wenige verstanden" hätten, wie Boris Pasternak.

Anlass für den Meinungswandel war also das Erscheinen von "Doktor Schiwago", die Geschichte eines Arztes und seiner Geliebten zur Zeit der russischen Revolution und des Bürgerkriegs. Anders Österling hatte ihn aus "zweiter Hand" wahrgenommen, weil das Buch 1957 zuerst auf Italienisch erschienen war, im Mailänder Verlag Feltrinelli.

Verzückt und verwirrt

Nun erscheint in Moskau ein Buch, das die Vorgeschichte der Entscheidung erzählt: Iwan Tolstoi, früher Journalist bei Radio Liberty in Prag, berichtet in "Der gewaschene Roman" (Wremja Verlag), wie es zur Publikation des russischen Originals kam, das die Schwedische Akademie für ihre Entscheidung benötigte:

Die CIA habe das Manuskript im Geheimen fotografieren lassen und es dann russischen Emigranten in Paris zur Verfügung gestellt, die es unter dem Namen Feltrinelli veröffentlichten, ohne dass der Verlag davon wusste.

Wie viel Spekulation in dieser Geschichte ist, wird sich erst durch Prüfung der Quellen ermitteln lassen. Dass die CIA bei der russischen Ausgabe im Herbst 1957 ihre Hände im Spiel gehabt habe, hatte indessen schon der Verleger Giancomo Feltrinelli vermutet, so wird die Geschichte in der Biographie erzählt, die der Sohn Carlo Feltrinelli dem Vater widmete.

Als Pasternak die Nachricht vom Nobelpreis erhielt, reagierte er zunächst enthusiastisch. Er sei "unendlich dankbar, bewegt, stolz, verzückt und verwirrt", schrieb er in einem Telegramm nach Stockholm. Wenige Tage später lehnte er den Preis ab und wurde aus dem russischen Schriftstellerverband ausgeschlossen.

"Wenn die Akademie als politische Instanz auftritt", notierte der schwedische Ministerpräsident Tage Erlander, der die Folgen für den Schriftsteller absah, "führt sie ein erbärmliches Schauspiel auf." Pasternak starb zwei Jahre nach diesen Ereignissen. Eine legale Fassung von "Doktor Schiwago" erschien in Russland erst 1988.

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