"Doctor Strange" im Kino:Benedict Cumberbatch spielt Arroganz wie kein Zweiter

Doctor Strange mit Benedict Cumberbatch im Kino

Blut ist am Kopf: Benedict Cumberbatch als Doctor Strange im gleichnamigen Kinofilm.

(Foto: dpa)

Als Gehirnchirurg "Doctor Strange" erkundet Cumberbatch mystische Dimensionen - irgendwo zwischen Drogentrip und hartem Sherlock-Holmes-Rationalismus.

Filmkritik von Tobias Kniebe

Es ist ja keine Gehirnchirurgie, sagen Engländer und Amerikaner gern, wenn sie einem überschwänglichen Lob etwas Realismus entgegensetzen wollen. Als Spruch funktioniert das immer, es sei denn natürlich, man ist wirklich Gehirnchirurg. Wie Dr. Stephen Strange, der neueste Kinoheld aus dem Universum der Marvel-Blockbuster.

Was tut ein Genie der Schulmedizin gegen den Dämon der eigenen Arroganz? Ganz recht, da gibt es jenseits einer gewissen Fallhöhe kein Mittel mehr. Der zähneknirschende Respekt seiner Kollegen ist Strange sicher, da kann er sie noch so sehr demütigen, und sein sensationelles Wolkenkratzer-Apartment in Manhattan hilft bei der Kontrolle seines Egos ebenso wenig wie sein glänzender Lamborghini.

Was allerdings hilft, ist seine Besetzung mit Benedict Cumberbatch. Der kann Arroganz spielen wie kein Zweiter - siehe seine Triumphe als "Sherlock" für die BBC. Besonders vernichtend sind solche Auftritte in Kombination mit Logik, unwiderlegbaren Argumenten und einer mitleidlos wissenschaftlichen Weltanschauung. Jeder andere würde dafür gehasst - Cumberbatch aber wird geliebt. Wie kann das sein? Im Internet kursiert die These, dass die Menschen bei seinem Anblick unweigerlich an einen niedlichen Fischotter denken müssen. Und Fischottern wirft man ihre Arroganz ja auch nicht vor.

Nun stammt aber die Figur des Doctor Strange aus den Comic-Träumen der Vergangenheit, 1963 hat ihn Steve Ditko für Marvel erfunden, und von Anfang an war die Story von jener Sehnsucht nach Mystik und fernöstlicher Weisheit getrieben, die in jener Zeit gerade aufkam. Strange darf also nicht arrogant bleiben. Sehr schnell verliert er die Feinmotorik seiner Hände bei einem schlimmen Unfall, damit auch den Beruf, die Liebe, den Stolz und allen Lebensmut. Aber er will seinen rationalen Zynismus nicht aufgeben, zweifelt hartnäckig an den neuen Möglichkeiten, die sich ihm auftun.

Die endgültige Machtdemonstration der aktuell machbaren Kinobilder

Im finalen Moment seines Widerstands steht Strange mittellos, abgerissen und zottelbärtig in einer Art spirituellem Trainingszentrum in Nepal, vor sich ein kahlköpfiges Wesen von überirdischer Ruhe, das alle nur "die Älteste" nennen und das allein aufgrund seiner inneren Leuchtkraft nur Tilda Swinton sein kann. Doch das Angebot, Dinge jenseits seiner Vorstellungskraft zu erfahren, schlägt er aus: Das alles habe er schon im Andenken-Shop um die Ecke gesehen. Fast wütend spuckt er der Erleuchteten ins Gesicht: "So etwas wie Geist gibt es nicht!"

Mit solchen Figuren macht das Kino natürlich kurzen Prozess, das sagt man, um sofort widerlegt zu werden. Strange macht nun den Fehler, die Älteste zu berühren. Da wird er mit solcher Wucht nach hinten geschleudert, dass es plötzlich zwei von ihm gibt. Einen festen Körper, der wie erstarrt in der Luft hängt, und einen ätherischen, der nun irisierend durch die Luft schwebt und wie ein sehr erstaunter Fischotter schaut. Als die beiden wieder vereint sind, erfährt Strange, dass gerade seine Astralgestalt vom physischen Leib getrennt wurde, aber einsichtig ist er immer noch nicht. Stattdessen verdächtigt er den Tee, der ihm serviert wurde: Psilocybin? LSD?

Zur Strafe wird er gleich noch einmal auf einen Trip geschickt, der nun als endgültige Machtdemonstration anderer Dimensionen gedacht ist - und damit natürlich auch der aktuell machbaren Rauschhaftigkeit der Kinobilder. Die rasenden Lichttunnel und pulsierenden Pilzplaneten, die da plötzlich um ihn herumwirbeln, die surrealen Elemente aus seinen Albträumen und fraktalen Vervielfachungsorgien kosmischer Schönheit lassen sich vielleicht mit dem abgewandelten Zitat aus einem anderen Drogenfilm beschreiben: Nimm den besten Orgasmus, den Stanley Kubrick je hatte - und multipliziere ihn mit tausend.

Recht wirkungsvoll ist auch der Satz, den die Älteste bei Stranges Rückkehr in die Wirklichkeit sagt: "Also, haben Sie DAS schon mal in einem Andenken-Shop gesehen?" Das klingt wie eine Programmansage des Kraftmeier-Überwältigungskinos, das sich seiner Sache in lässiger Ironie ganz sicher ist - und zudem eben Kaliber wie Cumberbatch und Chiwetel Ejiofor anlockt, dazu Mads Mikkelsen als dunklen Gegenspieler, und Rachel McAdams. Wirklich erleuchtet ist die Besetzung von Tilda Swinton. Vorab gab es dafür Kritik, weil eine ursprünglich asiatische Figur nun nicht mehr asiatisch ist - aber mal ehrlich: Brauchte das Kino einen weiteren weißbärtigen Kung-Fu-Lehrer?

Marvel - wie im alten Hollywood-Studiosystem

Wo diese Selbstsicherheit bei den Marvel-Filmen oft herkommt, ist nicht ganz leicht zu erklären. Der Regisseur Scott Derrickson etwa ist bisher in keiner Weise als Schöpfer bildgewaltiger Paralleluniversen in Erscheinung getreten, er kommt aus dem Horrorgenre, und typische Derrickson-Filme wie "Sinister" zeigen eher eine von bösen Geistern geplagte Kleinfamilie in einem durchgehend viel zu schummrig beleuchteten Reihenhaus.

Ist es das eingespielte Marvel-Team, das ihm zur Seite gestellt wurde, in dem alle Spartenchefs praktisch durchgehend mit der Manufaktur von Superhelden-Blockbustern beschäftigt sind, vom Kameramann über die Kostümdesignerin bis zu den Spezialeffekt-Zauberern? Dann wäre es ein weiterer Beweis für die segensreiche Wirkung von Festanstellung und Jobsicherheit, ganz wie im alten Hollywood-Studiosystem.

Die Wonnen der Planbarkeit spiegeln sich auch in dem folgenden Satz aus dem Werbematerial: ",Doctor Strange' ist der zweite von insgesamt neun Filmen der Phase III von Marvel's Cinematic Universe." Man liest das zunächst wie eine absolute Schreckensmeldung, denn auch die Phasen V bis X sind mit Sicherheit längst durchgeplant. Aber waren viele heute unsterbliche Klassiker nicht auch nur Film vier in Phase VII von - sagen wir - Jack Warners Cinematic Universe?

Sobald Strange jedenfalls bereit ist, in den Künsten der Magie unterwiesen und selbst ein mächtiger Zauberer zu werden, tun sich ihm neue Dimensionen auf, von denen er bisher nichts ahnte. Da ist zum Beispiel die schon erwähnte Astraldimension, in der körperlose Figuren selbst dann erbittert weiterkämpfen können, wenn sie eigentlich gerade mit Herzstillstand auf dem Operationstisch liegen.

Der digitale Realitäts-Verformungswillen knüpft an "The Matrix" oder "Inception" an

Sodann gibt es die Spiegeldimension, die an den digitalen Realitäts-Verformungswillen von Filmen wie "The Matrix" oder "Inception" anknüpft, das Spiel aber noch wesentlich weitertreibt. War es vor fünf Jahren noch der neueste Kick, die Stadtlandschaften von Paris oder New York zu falten und auf den Kopf zu stellen, wird dieses Bildmaterial nun gewissermaßen in ein ständig rotierendes Kaleidoskop geworfen, in dem selbst dem großen Perspektiven-Verdreher M. C. Escher schwindlig geworden wäre.

Die "dunkle Dimension" wiederum erinnert am ehesten an echte LSD-Träume und ist natürlich der Sitz für das Hauptquartier des Bösen. Am originellsten spielt "Doctor Strange" aber mit der Dimension der Zeit. So gibt es zum Finale eine Zerstörungsorgie in Hongkong, die rückwärts abläuft - eigentlich einer der simpelsten und ältesten Kinotricks. Nur werden hier Figuren eingebaut, die innerhalb dieser Rückspulschlaufe noch einen freien Willen haben und sich vorwärts bewegen - auch das ein erstaunlicher Effekt.

Hinter diesen faszinierenden Bilderwelten lauert natürlich die Gefahr, dass die Filmemacher ihrem New-Age-Geraune von Paralleluniversen, Energieströmen und Bewusstseinserweiterung schließlich selbst verfallen - siehe das unrühmliche Ende der "Matrix"-Trilogie, die in absolute Verblödung mündete. Und so ist es dann überraschenderweise der harte Sherlock-Holmes-Rationalismus, der Benedict Cumberbatch unlöschbar anhaftet, der die "Doctor Strange"-Saga in ihrem Fortschreiten vielleicht retten wird.

Auch mit dem Zugriff auf die tiefsten Geheimnisse der Existenz bleibt dieser Doktor jedenfalls ein Forscher, ein Trickser und Manipulator. Strikte Regeln gelten vielleicht für alle, aber nicht für ihn. Für einen Großmagier aber, der immer noch solche Arroganz zeigt, hält das Universum sicher noch manche Überraschung bereit.

Doctor Strange, USA 2016 - Regie: Scott Derrickson. Buch: Derrickson, Jon Spaihts, C. Robert Cargill. Kamera: Ben Davis. Musik: Michael Giacchino. Mit Benedict Cumberbatch, Chiwetel Ejiofor, Tilda Swinton, Mads Mikkelsen, Rachel McAdams. Disney, 115 Minuten.

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