DLD-Konferenz in München:Was die Welt verändern wird

DLD Konferenz München

Ist das das "next next", das nächste nächste große Ding? Ahti Heinla präsentiert einen Roboter, der Einkäufe und Pakete zur Haustüre liefern soll.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Die DLD-Konferenz in München endet mit der Gewissheit, dass die Technik gesiegt hat. Sie ergreift Besitz von den alten Wissenschaften und unserem gesamten Alltag.

Von Johannes Boie

Ein noch junger Mann fläzt sich in einem Sessel, er trägt ein T-Shirt des Traktorherstellers John Deere, und alles an ihm sagt: Ich bin unprätentiös. Es ist Jan Koum, der Gründer der kleinen grünen Whatsapp-App, die die meisten Menschen auf ihren Handys nutzen, um Kurznachrichten zu verschicken. Koum besitzt dank dieser Erfindung privat etwa acht Milliarden Dollar. Auf seinem Sessel kündigt er an, dass seine Software künftig nicht einmal mehr den einen Euro im Jahr kosten soll, den Whatsapp-Kunden bisher zahlen müssen. Es ist die Logik der digitalen Welt: Je weniger die Nutzer bezahlen, umso besser für den Anbieter. Ehe sie es noch begreifen, sind sie nicht mehr Konsumenten, sondern Teil des Produktes.

Es ist selten, dass ein Schwergewicht wie Jan Koum sich nach Bayern verirrt. Für die Konferenz "Digital Life Design" (DLD) des Münchner Medienkonzerns Burda macht er, wie andere Superstars aus dem Silicon Valley, eine Ausnahme.

DLD, das war in den vergangenen Jahren eine Konferenz, die sich mit der Zukunft befasste. Was wurde nicht alles von berühmten Wissenschaftlern, Erfindern, Forschern, Finanziers und eben Silicon-Valley-Stars im Futur beschworen: Wie wir kommunizieren werden, wie wir konsumieren werden, kurz: wie wir leben werden.

"Klassentreffen"

Dieses Jahr, das lässt sich am Ende der zweieinhalb Tage andauernden Veranstaltung sagen, befasste sich die DLD mit der Gegenwart, wenn nicht der Vergangenheit. Das lag keinesfalls an der Konferenz, die souverän, gleichzeitig münchnerisch und trotzdem irgendwie polyglott über die Bühne ging. Es liegt daran, dass wir in der Zukunft angekommen sind. Auf der Konferenz war das schon deshalb besonders deutlich zu spüren, weil Jahr für Jahr dieselben Menschen zu Besuch kommen, viele von ihnen fahren im Anschluss weiter nach Davos zum Weltwirtschaftsform. Selbst die Burda-Pressestelle schreibt von einem "Klassentreffen". Ein spezielles, allerdings. Jedes Jahr sind die Stars ein bisschen älter und noch reicher als im Vorjahr, und jedes Jahr sind die Produkte, über die sie reden, stärker in den Alltag ihrer Zuhörer integriert.

Gerade ist in Korea das erste autonome Taxi gestartet. Es fährt nicht, es fliegt, ohne Piloten. Die Weltbank untersucht weniger das Potenzial, sondern mehr die Auswirkungen der Digitalisierung, wie sie es zeitgleich mit der Münchner Konferenz veröffentlicht hat. Das Ergebnis ist erschütternd: Kaum mehr Gerechtigkeit, weniger Armut oder mehr Zugang zu Bildung für die Ärmsten durch das Netz.

Reicht es da, sich auf die Metaebene zu verabschieden und die Frage nach dem next "next" zu stellen, also dem, was als nächstes die Welt verändern wird? So war das Motto der DLD und in vielen Panels wurde gegrübelt, überlegt, diskutiert.

Konzerne geben den Ton an

Philipp Schindler, der Deutsche, der in Googles Führungsriege global auf Platz zwei steht, sagte, das nächste, was die Welt verändern werde, sei künstliche Intelligenz. Dabei wandelt er jedoch auf einem schmalen Grat: Einerseits bewirbt er die eigenen Produkte, die mit den Daten seiner Kunden immer mehr anzustellen wissen, andererseits betont er - als Deutscher zu Gast in Deutschland - dass ihm wenig mehr am Herzen liege als Transparenz und Datenschutz.

Es sind die Vertreter großer Konzerne wie Schindler und Geldgeber, die auf der DLD mehr und mehr den Ton angeben. Allianz-Chef Oliver Bäte erzählte von Apps, die das Verhalten seiner Kunden überwachen sollen: Wer langsamer Auto fährt und gesünder isst, zahlt weniger Versicherung.

Albert Wenger, höchst erfolgreicher Risikokapitalgeber mit fränkischen Wurzeln, warb für seine Version des bedingungslosen Grundeinkommens. Was wie ein Widerspruch klingt, löste sich auf, als Wenger sagte, er glaube an Märkte. Warum solle man also den Menschen nicht zum Beispiel alleine dafür bezahlen, dass er sich an Gesetze hält? Es ist eine fragwürdige, nicht unbedingt unsympathische Vision großer Marktradikalität.

Dazwischen: wirklich neue, verrückte, begeisternde Ideen wie jene des MIT-Wissenschaftlers Kevin Slevin, Dreck von U-Bahnstationen mit Methoden der Genanalyse zu sequenzieren, um eine Art mikrobiologische Karte der Welt um uns herum zu erstellen. Erste Erkenntnis: Wir wissen fast nichts über das Leben auf kleinstem Level.

Die Amerikaner halten die deutsche Angst vor der Technik für Unsinn

Trotz aller Bemühungen der Organisatoren, gingen manche Panels ein wenig unter, die sich eher den Fragen als den Möglichkeiten widmeten. Eine Runde unter Philosophen, mit dem Oxford-Philosophen Luciano Floridi, Peter Sloterdijk und Peter Weibel ausgezeichnet besetzt, fand erst am frühen Abend statt. Ein Vortrag über autonome Waffen ließ die Konferenz am dritten Tag nach einer Partynacht fast schon ausklingen. Der eindrückliche Vortrag der Nobelpreisträgerin Jody Williams über die Schrecken des Krieges blieb hängen, schlug aber nicht den Bogen zur Digitalisierung. Der amerikanische Professor Jeremy Rifkin hingegen lieferte einen Höhepunkt der Konferenz mit seiner These, dass die Kosten bei Massenproduktion im digitalen Zeitalter gegen null tendieren und daraus eine neue Wirtschaftsordnung entstehen würde.

Für die amerikanischen Gäste und auch andere Branchenkenner ist die deutsche Angst, die in Totalverweigerung der Technik mündet, purer Unsinn. Das führt auf der Konferenz zu pointierten Zwischenrufen aus dem Publikum. Einmal meldet sich eine Deutsche zu Wort, die bei Facebook arbeitet, und bescheinigt einer herumlavierenden Rednerrunde knapp, dass klassische deutsche Führungskräfte im Hinblick auf die Digitalisierung nun mal zögerlich, unkreativ und langsam seien.

Es sind kleine Zufälle wie dieser, die der Konferenz unerwartete Höhepunkte bescheren. Beispielsweise als der Netflix-Chef Reed Hastings im Gespräch mit dem ZDF-Moderator Claus Kleber nicht mehr über sein erfolgreiches Unternehmen spricht, sondern über seine eigentliche Leidenschaft, Künstliche Intelligenz. Auch er sagt, dass die Maschinen nun beginnen, die Welt fundamental zu verändern.

Oder die Situation, als mit Norman Pearlstine (Time), Zanny Minton-Beddoes (Economist) und dem großen, eleganten Ken Auletta vom New Yorker drei große Medienmarken eine große Kritik an der neuen Welt anstimmen, auch an Native Advertising, einer neuen, umstrittenen Werbeform im Netz. Daraufhin meldet sich aus dem Publikum ein Redaktionsmitglied von Buzzfeed, dem Portal, das mit eben dieser Werbeform berühmt wurde, und sagt: Freunde, wir haben nur kopiert, was eure Magazine gedruckt schon lange machen.

Was also ist "the next next"? Mag schon sein, dass es eine Technologie ist. Die Blockchain, Herzstück der Währung Bitcoin, die künftig Versicherungen, Banken, ganze Branchen wie die Musikbranche revolutionieren wird. Autonome Technik, wie der Roboter, der die Lieferung von Essen, Paketen, Einkäufen auf der letzten Meile kosteneffizient und komfortabel machen soll, und der über die DLD-Konferenz fuhr. Oder, wie viele hier prophezeien: Lernende Maschinen, Künstliche Intelligenz.

Vielleicht aber ist die Quintessenz dieser Konferenz, dass es kein klar definiertes Next mehr geben wird. Alle digitalen Erfindungen greifen ineinander, und sie ergreifen Besitz von den alten wissenschaftlichen Disziplinen, den politischen Institutionen, den Geschäftsmodellen der Konzerne und von der gesamten Gesellschaft: die Zukunft, von der wir lange sprachen, hat angefangen.

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