DJ Bobo im Interview:"Es gibt kein schlechtes Publikum, es gibt nur schlechte Künstler"

DJ Bobo

"Wie zum Henker konnte sich etwas durchsetzen, das keiner wollte?": DJ Bobo über Eurodance.

(Foto: Natalie Burkart)

Seit 25 Jahren steht DJ Bobo auf der Bühne - und hat die eine oder andere Weisheit zu verschenken. Zeit, ihm zuzuhören.

Interview von Juliane Liebert

DJ Bobo hat schon Musik gemacht, als man noch ernsthaft "Disc Jockey" sagte. Er hat über 15 Millionen Tonträger verkauft, und über 150 Gold-, 29 Platin- und zwei Diamantauszeichnungen erhalten. Am Freitag beginnt der 49-Jährige seine neue Tour "Mystorial" in Schwerin - zur Feier des 25. Bühnenjubiläums. Ein Interview über die Kunst, Musik zu schreiben, die alle mögen.

SZ.de: Wie konnte Eurodance eigentlich so groß werden?

DJ Bobo: Ja, wie zum Henker konnte sich etwas durchsetzen, das keiner wollte? Es war eine Weiterentwicklung von Techno. Techno war Clubmusik. Untergrundmusik. Kraftwerk und so, kleine Zielgruppe. Haben wir als DJs aufgelegt. Als wir DJs zu Produzenten wurden, haben wir angefangen, das mit Melodien und Textstücken zu versetzen. Und das hat dann eine Breite erreicht, die aus der Diskothek rausging, ins Radio, in die Charts, in die Häuser, ins Fernsehen. Vier, fünf, sechs Jahre war Eurodance weltbestimmend. Das war für die Amerikaner eine ganz komische Zeit, weil sie plötzlich das Zepter aus der Hand geben mussten. Plötzlich waren es die Deutschen, die Italiener, die Schweden.

Sie haben mal gesagt, Eurodance hätte nie eine Lobby gehabt.

Die amerikanische Musikindustrie fand das gar nicht lustig. Die konnte plötzlich nicht mehr exportieren. Sie konnten das nicht selbst produzieren, weil ihnen die Historie dazu fehlte, und wenn du die Historie nicht hast, klingt du immer nur "wie" irgendetwas. Wir klangen nicht "wie". Wir waren. Aber wir hatten keine Lobby, niemand war stolz auf uns. Tenor: Kann man leider nicht verhindern. Aber das Geld haben sie alle genommen! So ist die Rezeption auch noch heute. Man geht zwar hin, aber immer mit einem Hüsteln: "War das schön früher." Natürlich war es nicht perfekt. Aber es war einzigartig. Ein Stück Zeitgeist.

Sie starten jetzt wieder auf eine große Tour. Wie war die Weltpremiere im Europapark vor ein paar Wochen?

Wir waren bei 75 Prozent von dem, was ich gerne hätte.

Von der Show her oder vom Publikum her?

Das Publikum wird nie juriert. Es gibt kein schlechtes Publikum. Es gibt nur einen schlechten Künstler. Das Publikum kommt immer mit der gleichen Erwartungshaltung, egal, was für ein Event das ist. Die Leute kommen und wollen sich unterhalten lassen. Und wenn der Kollege da vorne es nicht schafft, bis zu ihnen durchzudringen, dann ist es nicht ihr Problem, sondern seins. Es gibt natürlich äußere Einflüsse, aber den Satz "Heute war das Publikum scheiße" würde ich nie tolerieren.

Die Konzerte von Bieber, Beyoncé und Co. werden immer mehr zu Shows, manchmal geht es sogar in erster Linie um die Show, und nur in zweiter um die Musik. Bei Ihnen war der Showaspekt schon immer sehr wichtig.

Wir haben den Trend schon früh erkannt. Die Show wird noch viel wichtiger werden. Das Live-Erlebnis ist für die Menschen die Flucht aus der digitalen Welt. Bei einem Konzert ist der Zuschauer - wie auch der Künstler - auf der Suche nach einem Gefühl der Einheit. Sehr oft ist völlig egal, was der da vorne macht, aber gemeinsam am gleichen Ort zu sein, ist sehr, sehr wichtig. Da spielt Rasse, Geschlecht, Herkunft keine Rolle. Darum ist die Aufgabe von uns Musikschaffenden extrem wichtig. Es wird beides geben.

Beides?

Na, es gibt ja auch die Abteilung Ed Sheeran, reduced to the max. Ich hoffe, dass der so lange wie möglich bei seinem blöden Pedal bleibt und sich ja keine Band besorgt. Er schämt sich ein bisschen, er will sich weiterentwickeln, wir wollen, dass er bleibt, wie er ist. Bitte, Ed, ich will keinen fünften Gitarristen, ich will nur dich. Aber sonst wird es noch mehr in Richtung Entertainment gehen. Noch höher, noch weiter, noch schneller.

Unter Ihren Songs bei Youtube schreiben Menschen aus aller Welt Kommentare. Wie macht man Musik, die alle mögen?

Die Frage ist zu groß, um sie zu beantworten. Wenn ich DAS raus hätte... Ich denke, das hat weniger mit den Melodien als mit der Weltoffenheit der Person zu tun, die musiziert. Wenn ich ein wenig gereister Mensch wäre, der sich immer nur in einem kleinen Kulturkreis aufhält, wäre ich nicht so offen für Einflüsse aus anderen musikalischen Kulturen. Denen ist ja auch egal, woher ich komme. Die Schweiz ist kein gutes Land, um musikalisch zu starten. Schweden ist gut. Amerika ist das beste, England das zweitbeste, aber wenn du aus Georgien kommst oder aus der Schweiz, sind das keine guten Startmöglichkeiten. Deine Herkunft macht dich unwichtig und klein.

Aber es gibt ja immer wieder Ausnahmen.

Zum Glück! Denn auf den Menschen kommt es an. Doch der wird inzwischen oft von seiner Show erschlagen. Ist nicht Herr des Events. Ich nehme an, dass es mit Justin Bieber ein böses Ende nehmen wird. Mit Ansage.

"Heute bestimmen die Lastwagen, wo gespielt wird"

Die Tochter von Michael Jackson hat sich gegen den Konzertveranstalter ihres Vaters, bei dem jetzt auch Bieber ist, ausgesprochen, und hat ihm die Mitschuld am Tod ihres Vaters gegeben.

Das ist zu einfach gedacht. Du als Künstler, du bestimmst. Für mich war damals, als wir mit Michael auf Tour waren, aber auch klar: Er war nicht Herr der Lage. Auf der einen Seite ist da dieses überragende Talent. Und gleichzeitig sieht man, wie unsicher, schüchtern dieser Typ ist. Null Selbstbewusstsein, nur darauf bedacht, geliebt zu werden. Die frenetische Suche nach einem Ministückchen Anerkennung. Der hatte eine Entourage direkt um sich herum, 20 Leute, und diese Entourage waren keine schlechten Menschen, das waren Profis. Die haben gekuckt, dass das Ding funktioniert. Michael musste funktionieren. Dass die Leute dann wegsterben, naja, die Gründe sind offensichtlich.

Sie haben also immer die Kontrolle behalten?

Immer. Jederzeit. Ich lasse mich gern beraten, ohne Team geht es nicht. Aber die Hierarchie ist klar. Ich spreche mit vielen Künstlern, die mir ihr Leid klagen. Jeder hat seinen Rucksack. Als ich in der Pubertät war, da gab es bei mir auf dem Dorf die Gruppe Jugendlicher, die Motorräder hatte, Alkohol trank, geraucht hat. Die Mädchen hatte. Zu denen hätte ich auch gern gehört. Wegen der Mädchen. Und dann gab's die Abteilung "langweilig". Fußballspielen. Verantwortung übernehmen. Ich war hin und hergerissen und hab mich am Ende entschieden, langweilig zu sein. Rückblickend: SO GUT. Denn dann kam Breakdance. New Wave. Punk. Hip-Hop. Das alles ging parallel los, und ich hab mich für eins entschieden und war glücklich.

Ist das moderne Konzert eine Art Gottesdienst-Ersatz?

Die Menschen suchen immer Vorbilder und Helden. Aber ich würde Musik und Glauben nicht zusammenstecken, Glaube hat für mich immer mit Angst zu tun. Die Menschen, die zu uns kommen, sind aus allen Altersschichten. Aus allen kulturellen Schichten. Mir ist aber ein bisschen die Romantik verloren gegangen. Heute bestimmen die Lastwagen, wo gespielt werden kann.

Aus logistischen Gründen?

Ja. Bruce Springsteen sollte vergangenes Jahr in München spielen. Und da sagte seine Frau: Oh, das ist super, das ist gar nicht so weit weg von Mailand, dann können wir ja einen Tag oder zwei nach Mailand und zusammen shoppen gehen! Also wurde noch Zürich als Tourstop eingeplant, weil das auf dem Weg nach Mailand zum Shoppen liegt.

Und die Züricher haben sich gefreut.

Damals, 1996 bei der Michael-Jackson-Tour, wurden die Tourdaten so gelegt: Er hatte zwei Flugzeuge, wo die Technik drin war. Diese russischen Antonov-Transportmaschinen. Die Kosten für diese Maschinen waren so hoch, dass sie am Ende immer da Konzerte gespielt haben, wo sie zum Tanken landen mussten. Da waren dann plötzlich Städte dabei wie Casablanca, wo man sich dachte: Wie kommt der denn da hin? Lag an der Reichweite seiner Maschinen, 3000 Kilometer waren das. Es war für mich toll zu sehen, dass auch da nur mit Wasser gekocht wird.

Es geht also nicht allein um Talent.

Für mich war krass, zu merken, dass du mit Willen und Kraft und Leidenschaft fast genauso weit kommen kannst wie mit Talent. Dafür respektieren mich meine Fans. Der fleißige Arbeiter, wie Springsteen und so, den mögen wir und respektieren wir. Deswegen versteh ich auch nicht, wenn jemand wie Bieber Playback singt. Leute wie ich oder Madonna, die viel viel schlechter sind... Wir können beide nicht soviel! Und die setzt sich mit ihrer Ukulele da hin - vom Spiel und Gesang her schwerstes Mittelmaß - und scheißt drauf. Und jemand, der so gut ist wie Bieber, hat nicht mal die Disziplin, sich das Mikro beim Playback vor den Mund zu halten. Ich habe auch Stellen, die ich Vollplayback mache, weil ich sie live einfach nicht bringe. Es sind nicht viele. Ich würde mich dem Zuschauer gegenüber schämen, wenn es zu falsch klingt. Aber wenn ich kann, spiele ich immer live.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: