Diskussionen auf der Berlinale:Im Clinch mit Ken Loach

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Ken Loach bei der Berlinale 2013: Der Meister des britischen Sozialrealismus feierte im Haus der Berliner Festspiele die Premiere seiner Doku "The spirit of '45". (Foto: Paul Katzenberger)

Wieder was gelernt: Ken Loach zeigt auf der Berlinale einen faszinierenden Aspekt aus der Geschichte Großbritanniens auf - die sozialistischen Tendenzen nach dem Zweiten Weltkrieg. Schade nur, dass der große Regisseur eine differenzierte Diskussion verweigert.

Von Paul Katzenberger, Berlin

Die fruchtbaren Diskussionen über Filme, die ich schon oft mit Regisseuren, Schauspielern, Produzenten und Zuschauern führen durfte, sind eines der größten Vergnügen auf Filmfestivals. Insofern freute ich mich sehr auf die neue Doku von Ken Loach, "The spirit of 45". Denn der Cannes-Preisträger von 2006 sollte vor Ort sein und dem Publikum für Fragen zur Verfügung stehen.

In dem Film weist der bekennende Sozialist Loach auf den hierzulande weitgehend unbekannten Umstand hin, dass es in Großbritannien nach dem Krieg einen echten sozialistischen Aufbruch gab, der in der Verstaatlichung etlicher Wirtschaftsunternehmen im Bergbau, in der Gas- und Wasserversorgung, bei der Eisenbahn und im Gesundheitswesen mündete, und der der Bevölkerung viel Gutes brachte. Zumindest sehr viel Besseres als der Raubtierkapitalismus der 1920er und 1930er Jahre, der das Volk in weiten Teilen total verarmen hatte lassen.

Ich fand den Film hochinteressant und verdienstvoll, macht er doch klar, dass die britische Gesellschaft in ihrer Geschichte nicht nur auf den Traditionen der Marktwirtschaft und des Kapitalismus fußt, sondern eben auch sozialistische Tendenzen kennt.

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Nachdem mir Großbritannien in den vergangenen drei Jahrzehnten immer nur in Form von Thatcherismus, New Labour und der aktuellen Torie-Regierung begegnet ist, war mir diese Facette der britischen Geschichte irgendwie nicht mehr geläufig. Wieder mal was gelernt. Danke, Ken Loach!

Allerdings fand ich den Film auch etwas einseitig, stieß er stets doch allein in das Horn des segenreichen Verstaatlichens. Kein Wort davon, dass sich Briten oft im Ausland ärztlich behandeln lassen, weil die Wartelisten des eigenen Gesundheitssystems Behandlungen erst nach Jahren ermöglichen. Wer mal auf einem englischen Provinzbahnhof auf den Zug gewartet und sich dabei ziemlich stark an die untergehende DDR erinnert hat, der muss den Eindruck bekommen, dass die britische Bahn wohl nie ein erfolgreiches Nachkriegsprojekt war, egal ob als Staats- oder als Privatunternehmen (zu dem sie unter den Tories wurde).

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Aber Loach war ja da, ich konnte ihn also konfrontieren. Als das Publikum um Fragen gebeten wurde, streckte ich eifrig die Hand - und zack - wurde mir die Ehre der ersten Frage zuteil. Ich versuchte es ganz diplomatisch mit dem Verweis auf die deutschen Erfahrungen im Fall der Post und der Telekom. Die wurden bei uns in den Neunzigerjahren privatisiert und funktionieren zumindest nicht schlechter als in ihrer Zeit als Staatsunternehmen. Im Fall der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes möchte ich sogar von einer klaren Verbesserung sprechen: Telefonate in die USA kosten seither schließlich kein Vermögen mehr, sondern nur noch so viel wie Ortsgespräche, und auch die sind für den Verbraucher billiger geworden.

Doch kaum äußerte ich diese kaum zu widerlegende Tatsache, schallte mir aus den Zuschauerrängen höhnisches Gelächter entgegen. Man signalisierte mir, dass ein noch so sanftes Rütteln an Loachs Verstaatlichungsthesen in diesem Kreis wohl nicht erwünscht ist - der Sozialismus schien diesem Auditorium die einzig richtige Gesellschaftsform zu sein. Ich kam mir fast schon vor wie der erzkatholische Publizist Martin Lohmann, der vor kurzem bei Günter Jauch manchmal kaum ausreden konnte, ohne spöttische Lacher über sich ergehen lassen zu müssen.

Im Vergleich zu mir als Berlinale-Gast bekam der Jauch-Gast Lohmann aber zumindest das Recht eingeräumt, seine Thesen zu erläutern. Soweit wollte Ken Loach mich mit meinem unschuldigen Pragmatismus gar nicht kommen lassen. Meine konkrete Frage: "Herr Loach, vermittelt Ihr Film zu Recht den Eindruck, dass Sie prinzipiell gegen Privatisierungen sind?" fand der Maestro gar nicht mehr wert, selbst zu beantworten. "Ich denke, das Publikum hat die Antwort gegeben", beschied mir Loach unter Verweis auf die Lacher und erntete noch einmal allgemeine Heiterkeit. Damit war ich abgewürgt.

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Was dann kam, war eine Rednerin der Linkspartei, einer Partei also, für deren Unterstützung ich in Bayern immer gescholten werde, und ein Appell von Loach, dass nur der Sozialismus die Welt retten könne. Fazit dieses Nachmittags: Wir sind uns alle bis auf einen einig, dass der Sozialismus die einzige Lösung der Menschheitsprobleme ist.

Bei aller Wut, die ich durchaus empfand, tröstete ich mich selbst mit der Vorfreude darauf, meinen Freunden von dieser Begegnung mit einem großen trotzkistischen Filmemacher erzählen zu können. Denn wer schon mal 700 Leute gegen sich gehabt hat, nur weil er positive Beispiele von Privatisierungen angeführt hat, der kann politisch gar nicht so links stehen, wie meine Kumpel immer behaupten.

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