Diskussion:Gemeinsam statt einsam

Didier Eribon und Édouard Louis im Gespräch

Von Antje Weber

In München herrscht kein gesundes Klima für Didier Eribon. Zu diesem Eindruck muss zumindest gelangen, wer ihn erst in diesem April im Literaturhaus erlebte (fröstelnd, im Mantel) und nun erneut in den Kammerspielen: mit Schal, Wollpulli und einem Bierglas mit - Grippetee. Dabei war der Empfang auch diesmal wieder ein warmherziger, und überhaupt ist gleich festzuhalten: Selbst mit starkem Fieber ist der französische Soziologe, wenn er das Wort ergreift, nicht so schnell wieder zu stoppen.

Er hat ja auch eine Menge zu sagen, ebenso wie der nicht minder eloquente zweite Podiumsgast Édouard Louis. Für den Verlauf des Gesprächs unter Moderator Alex Rühle war das erfreulich, für den versierten Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel sicher keine leichte Aufgabe.

"Die Rechte setzt die Themen - die Linke reagiert nur", sagt der französische Autor Édouard Louis

Warum man die beiden französischen Intellektuellen überhaupt auf einem Podium zusammengespannt hatte? Weil es, kurz gesagt, wirklich sehr naheliegend ist. Beide beschäftigen sich mit denselben Themen, sie haben ähnliche Meinungen, und befreundet sind sie auch noch. Der 1953 geborene Soziologe Didier Eribon hat in seinem Bestseller "Rückkehr nach Reims" 2009 aufgegriffen, was den heute 24-jährigen Édouard Louis vor zwei Jahren in seinem erfolgreichen Debütroman "Das Ende von Eddy" umtrieb: eine Jugend als Homosexueller in der Provinz, in einer Unterschichts-Familie, die Front National wählt; die Flucht vor der eigenen Herkunft bis hin in die Pariser Intellektuellenszene, begleitet von Gefühlen der Scham, des Verrats.

Zwei Tage nach der Bundestagswahl ging es, natürlich, zunächst um das Thema Rechtspopulismus. Eribon legte einmal mehr dar, dass für ihn der Aufstieg der Rechten eng mit dem "Verrat der Prinzipien" der regierenden Linken seit den Achtzigerjahren zusammenhängt, von Gerhard Schröder bis François Mitterrand. Menschen in sozial prekären Situationen, ergänzte Louis, fühlten sich einfach nicht mehr wahrgenommen. Für seine Eltern zum Beispiel sei klar: "Der Front National, das sind die Einzigen, die sich um uns kümmern." Bei allem Aufstieg der Rechten dürften jedoch, darin waren sich beide einig, die Medien nicht in eine Falle tappen: "Man sollte sie nicht jeden Tag in die Schlagzeilen bringen", sagte Eribon unter Applaus. In der Politik selbst, so Louis, sei das Problem ähnlich: "Die Rechte setzt die Themen - die Linke reagiert nur."

Was tun? Die Linke müsse sich stets weiterentwickeln, forderte Eribon. Sie müsse zum einen, so Louis, diejenigen wiederfinden, "die von ihrem eigenen Diskurs ausgeschlossen wurden". Und sie müsse, so erläuterte Eribon zum anderen am Beispiel der spanischen Bewegung Podemos, neue Allianzen eingehen. Der Zusammenschluss in Gruppen erscheint ohnehin wichtig: Sie beide seien mitsamt Geoffroy de Lagasnerie nicht zufällig in Paris als "intellektuelles, literarisches, politisches Trio" sichtbar, so Eribon. Angesichts ihrer radikalen Kritik ernteten sie immer wieder "heftige Beschimpfungen". Um eine Melancholie zu überwinden, die schon Vorgänger wie Pierre Bourdieu ergriff, brauche es da eine stärkende Gemeinschaft. Zusammen ist man eben weniger allein.

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