Diskurstheater:Blick durchs Schlüsselloch

Diskurstheater: Hardcore-Diskurstheater aus München: Lisa Fertner, Isabelle Cohn und Arthur Romanowski (von links) im Stück "Konsul Bernick muss nochmal ran".

Hardcore-Diskurstheater aus München: Lisa Fertner, Isabelle Cohn und Arthur Romanowski (von links) im Stück "Konsul Bernick muss nochmal ran".

(Foto: Peter Cohn)

Die Gruppe Kommando Pninim zeigt "Konsul Bernick muss nochmal ran"

Von Sabine Leucht

Es passiert nicht alle Tage, dass in München eine neue Theatergruppe gegründet wird. Erst recht nicht von einem Politikwissenschaftler. Andreas W. Kohn hat am LMU-Lehrstuhl für internationale Beziehungen studiert, hatte sechs Jahre lang eine Zeitschrift für Gleitschirm- und Drachenfliegen - und als sein erstes Theaterstück fertig war, hat er einen ehemaligen Maschinenbau-Kommilitonen angerufen. Jan Lau hieß der, arbeitet schon länger in der Münchner Tanzszene zum Beispiel mit Micha Purucker zusammen und stellte den Kontakt zum Theater Undsofort her, wo Kohns "Holilend" im September 2016 zur Uraufführung kam: In der Regie des Verfassers, mit Lau als Choreografen und dem Undsofort-Hausherrn Heiko Dietz und der Schauspielerin und Klangkünstlerin Isabelle Cohn auf der Bühne.

Nach dieser Tragödie über Nationalismus, Besitz, Besessenheit und Klimaerwärmung ging es erst richtig los: Kohn und Cohn, der "von verschiedenen Formen des Erzählerischen" faszinierte Politologe und die Performerin, gründeten die Gruppe "Kommando Pninim" und bekamen die Debütförderung der Stadt für "Konsul Bernick muss nochmal ran", das nun im Theater Hoch X Premiere hat und die moralisch zwiespältige Hauptfigur aus Henrik Ibsens 1877 in München verfasstem Stück "Stützen der Gesellschaft" aufs Korn nimmt - sowie das gesamte metaphorische Gespinst, das der Titel heute evoziert. "Pninim" heißt auf Hebräisch "Perlen". Diesen schönen Begriff hat Isabelle Cohn aus Israel mitgebracht, wo die Deutsch-Israelin bis 2015 auf einigen Bühnen stand. Das den "Perlen" vorauseilende "Kommando" dagegen weckt gänzlich andere Assoziationen. Und dass das junge Kollektiv Dissonanzen liebt, wird auch bei "Bernick" deutlich, wo sich die Sehnsucht nach den Zukunftsverkäufern der Vergangenheit an den katastrophalen Versprechen reibt, die allein unter dem Buchstaben P im Lexikon (von "Pandemie" über "Pestizid" und von "Pjöngjang" bis "Präzisionswaffen" und "Protestwähler") lauern.

Bei der Vorpremiere sah man eine noch weitgehend ungekürzte Stoffsammlung für ein Hardcore-Diskurstheater à la René Pollesch, das sich klar vom eher spielerischen "100 Tage Great Again" unterscheidet, mit dem das "Kommando" im April 2017 im Pathos-Theater ungewohnt spontan und ungewohnt pfiffig auf die ersten 100 Tage der Amtszeit Donald Trumps reagierte. Damals wurde entlang der Chronologie ganz realer und dennoch unglaublicher Ereignisse zwischen Interview-Einspielungen, Polit-Vortrag und persönlichen Reflektionen rappender, seilspringengender und tanzender Akteure gezappt. Bei "Bernick" interessiert sich das "Kommando" ebenfalls weniger für Ibsens Stück als für den grassierenden Generalverdacht gegen Eliten, der laut Kohn längst nicht mehr nur "ein skeptischer, sondern ein zynischer Verdacht ist, der nicht mehr zuhören muss, weil er das Urteil schon hat". Dazu kommt das "Gefühl, dass die Zukunft heute schon geschrieben ist" und gar nicht mehr gut werden kann. Und eine bei diesen Überlegungen aufkeimende Frage: "Vielleicht haben das die Leute im Theater gelernt?"

"Das" meint das Misstrauen und das Angsthaben. Und vielleicht auch das Lügen. Denn dort, im Theater, trifft sich ja die Gesellschaft, um nicht nur bei Ibsen drei Akte lang korrupten Eliten zuzusehen, die am Ende verkünden, dass man wahrhaftig und aufrecht sein soll. Dass sich das 140 Jahre später noch immer nicht durchgesetzt hat, stellen auch die drei Performer wiederholt fest, die in einem gar nicht so irrealen "Museum für gesellschaftlichen Zusammenhalt" (für ein Institut gleichen Namens hat der Bundestag erst im November Mittel bereitgestellt) den fehlenden Exponaten nachsinnen und zwischen quietschbunten Planschbecken wenig Angst vor Redundanzen haben, oder davor, zu nerven. Arthur Romanowski, mit dem Kohn den Text geschrieben hat, prescht darin weiter vor als seine Kolleginnen Isabelle Cohn und Lisa Fertner und verrät damit die Gießener Schule, aus der er stammt: mit Mut zur locker fallenden Plautze und nie nachlassendem Hunger aufs Fragen.

Mit einigen aus diesem Team spielt Kohn in der Band Bronsky Eleven, wo Thomas Riegl (Musik) in die Gitarrensaiten haut, und Markus Kink (Video) an den Percussions sitzt. Mit allen plant er drei neue Projekte für 2018, die vielleicht nicht alle in München herauskommen werden, aber in den Worten von Kohns akademischem Kollegen Sebastian Schindler aus "100 Tage ..." dabei helfen wollen, "das Schlüsselloch zu verstehen, durch das wir die Welt betrachten". Eine Welt, die irgendwie im Eimer zu sein scheint. Was wir aber nicht hinnehmen sollten.

Konsul Bernick muss nochmal ran, Donnerstag bis Sonntag, 11. bis 14. Januar, jeweils 20 Uhr, Theater Hoch X, Entenbachstraße 37

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