Dinosaurier-Künstler:Mit Ruhe und Recherche

Joschua Knüppe ist erst 26 Jahre alt. Aber der Student aus Münster hat sich schon als seriöser Paläo-Künstler einen Namen gemacht.

Von Stephanie Schmidt

Welche Saurier hatten Federn, welche nicht? Wozu war der Doppelkamm am Kopf des Fleischfressers Dilophosaurus gut? Etwa für die Balz? Je älter er werde, desto mehr interessiere er sich für die Details, sagt Joschua Knüppe. Das klingt ungewöhnlich aus dem Mund eines knapp 26-Jährigen. Nun muss man wissen, dass er bereits im Alter von drei oder vier Jahren begann, Saurier zu zeichnen, fasziniert von der Größe und Exotik der Tiere. "Ich hatte Hunger auf mehr, und der hat nicht nachgelassen."

Knüppe ist Student der Freien Kunst an der Kunstakademie Münster. Vor allem aber ist er Paläo-Künstler - er hat sich auf das Zeichnen und Malen von Dinosauriern spezialisiert.

Derzeit arbeitet Knüppe an der Rekonstruktion eines Schädels des Meeresreptils Megacephalosaurus, der zur Gruppe der Plesiosaurier gehört. "Die Zeichnung mache ich für einen Freund, den Paläontologen Sven Sachs", berichtet Knüppe. Der 26-Jährige hat eine klare Vorstellung von seiner Kunst. "Paläo-Art, das bedeutet für mich, die Ambition zu haben, so authentisch wie möglich zu arbeiten." Mit den Illustratoren von Dinosauriern, die in Kinderbüchern zu finden sind, dürfe man Paläo-Künstler nicht verwechseln. Denn diese Illustratoren würden sich nicht in wissenschaftliche Literatur einarbeiten.

Dinosaurier-Künstler: Lichtakzente sind ein wichtiges Thema für Joschua Knüppe. Bei diesem Porträt eines Matheronodon ging es ihm auch darum, die Merkmale des Sauriers herauszuarbeiten. Dabei handelt es sich um eine erst vor Kurzem entdeckte Art. Matheronodon fraß offenbar Palmwedel. Gemälde/Scan: Joschua Knüppe

Lichtakzente sind ein wichtiges Thema für Joschua Knüppe. Bei diesem Porträt eines Matheronodon ging es ihm auch darum, die Merkmale des Sauriers herauszuarbeiten. Dabei handelt es sich um eine erst vor Kurzem entdeckte Art. Matheronodon fraß offenbar Palmwedel. Gemälde/Scan: Joschua Knüppe

Knüppe lebt und arbeitet in der nordrhein-westfälischen Stadt Ibbenbühren, "wo die Fossilien praktisch vor der Haustür im Wald liegen". Täglich feilt er an seinen Zeichnungen oder Gemälden, täglich saugt er Wissen über die urzeitlichen Echsen in sich auf. Er studiert Fachpublikationen - Bücher oder wissenschaftliche Dokumente, die er per E-Mail erhält. Mitglieder seines großen Netzwerks von Paläontologen und Künstlern spielen sie ihm zu. Außerdem ist er Mitglied einer Paläo-Art-Online-Community. Die Kontakte sind auch dadurch entstanden, dass der Saurier-Enthusiast regelmäßig Fachkongresse besucht. "Im Sommer fahre ich nach Portugal, zum Treffen der European Association of Vertebrate Palaeontologists, das sind die europäischen Wirbeltierpaläontologen", erzählt Knüppe.

Forscher merkten bald: Diesem jungen Mann muss man nicht viel erklären. So kam es, dass der Westfale Menschen eine Vorstellung davon gegeben hat, wie das "Monster von Minden" ausgesehen haben könnte: Er schuf vor zwei Jahren im Auftrag von Professor Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München die Erstrekonstruktion eines Wiehenvenators für eine wissenschaftliche Arbeit.

Die Überreste des Wiehenvenators waren vor circa 20 Jahren in einem Steinbruch bei Minden gefunden worden. "Der Wiehenvenator war mit einer Länge von neun Metern der größte Raubsaurier Deutschlands und der zweitgrößte Europas", erklärt Knüppe. Der urzeitlichen Echse verpasste der Künstler ein weißes Maul und einen Hinterkopf mit rötlichen Federn. Den Mittelteil des lang gestreckten Schädels prägt ein breites schwarzes Band. "Federn, wie wir sie heute kennen, hatten Saurier nicht", klärt Knüppe auf, "das waren Filamente, eine Vorform der Federn."

Dinosaurier-Künstler: Mit seiner Zeichnung gibt Joschua Knüppe den Menschen eine Vorstellung, wie der Wiehenvenator ausgesehen haben könnte. Von dem Raubsaurier waren vor circa 20 Jahren Überreste gefunden worden. Gemälde/Scan: Joschua Knüppe

Mit seiner Zeichnung gibt Joschua Knüppe den Menschen eine Vorstellung, wie der Wiehenvenator ausgesehen haben könnte. Von dem Raubsaurier waren vor circa 20 Jahren Überreste gefunden worden. Gemälde/Scan: Joschua Knüppe

Doch wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Forschung und Kunst? Von Wissenschaftlern erhält er bislang unveröffentlichte paläontologische Forschungsergebnisse mit zahlreichen Daten und Fotos von Knochenfunden. Anhand dieser Informationen vergleicht Knüppe das Wesen, das er zeichnen soll, mit "den engsten Verwandten, die zu seiner Zeit gelebt haben". Und er bezieht Wissen über Botanik und Nahrungsquellen mit ein. "Die Recherche ist Teil des künstlerischen Prozesses." Dann fertigt er Bleistiftskizzen, die mit den Auftraggebern diskutiert und danach überarbeitet werden. Dieser Prozess erstreckt sich über mehrere Runden. "Ich muss rechtfertigen können, warum ich das Tier so zeichne und nicht anders."

Findet eine Skizze breite Zustimmung, lässt Knüppe mit Aquarellfarben eine urzeitliche Lebenswelt wiederauferstehen. Er wählt bevorzugt Formate von A 4 bis A 2. "Bei der Technik lässt man mir viel Freiheit", sagt der Künstler. Gerne zeichnet und malt der Autodidakt nachts, "da ist es so schön ruhig". Viele seiner Kollegen seien "rein digital unterwegs", das habe den Vorteil, dass es leichter sei, ein Update zu machen. Knüppe arbeitet trotzdem lieber auf Papier. "Ich mag das Handwerkliche und das Haptische. Und du hast nachher ein Original, das du an die Wand hängen und in Mappen legen kannst."

Dinosaurier-Künstler: Joschua Knüppe malt Saurier so authentisch wie möglich.

Joschua Knüppe malt Saurier so authentisch wie möglich.

(Foto: privat)

Neuerdings arbeitet er auch mit Gouache und Acrylfarben. Letztere eigneten sich gut, um Korrekturen zu machen. Aktualisierungen seien immer wieder notwendig, denn fast wöchentlich würden neue Erkenntnisse zu Dinosauriern publiziert. Noch immer gibt es ungelöste Rätsel in Hülle und Fülle, was etwa das Aussehen von männlichen im Vergleich zu weiblichen Tieren angeht. Auch über die Farbe der Haut ist wenig bekannt. "Allerdings sind Saurier in knalligen Farben unrealistisch", sagt Knüppe, der auf manche seiner Echsen bunte Flecken in dezenten Farben tupft. Seit 2014 sind die Aufträge von Wissenschaftlern und Museen zahlreicher und umfangreicher geworden: Für die Dauerausstellung des Nationalmuseums für Naturgeschichte in Luxemburg fertigte Knüppe eine ganze Reihe von Exponaten an; für eine Sonderausstellung des Dinoparks Münchehagen in Niedersachsen gestaltete er Bilder von Dinosaurier-Jungen, -Eiern und -Nestern.

Friedlich schwimmen Plesiosaurier, Haie und Wasserschildkröten auf seinem Bild "Turonian Germany" im Meer - kein Tier macht Anstalten, das andere zu fressen. Das Bild zeigt eine Unterwasserszene aus der Zeit der Kreide, angesiedelt im heutigen Sachsen. Es handelt sich um eine Illustration für eine wissenschaftliche Arbeit. "Ich mag klare Linien. Vor allem bin ich ein Freund von unaufgeregten Darstellungen", sagt Knüppe. Aber die Lichtsetzungen auf seinen Bildern - die dürften schon dramatisch sein.

In den Medien oder in Ausstellungen wird der T. rex häufig in Angriffshaltung mit gefletschten Zähnen gezeigt. "Wenn ich das sehe, muss ich lachen", sagt Knüppe. "Der Tyrannosaurier, der mit aufgerissenem Maul in die Landschaft brüllt - es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass er das so gemacht hat. Er hatte dichtes Gewebe am Maul. Das deutet darauf hin, dass seine Zähne nicht so ohne Weiteres zu sehen waren", begründet er seine Einschätzung. Deshalb seien solche Darstellungen unter Fachleuten verpönt.

Seinem nächsten Projekt fiebert der Zeichner schon entgegen. Mit dem auf Wirbeltiere spezialisierten Paläontologen Oliver Wings von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat Knüppe schon einige Projekte realisiert, ein weiteres ist geplant. Viel darf er nicht verraten, aber doch, dass es sich um "ein paläo-künstlerisches Gesamtkunstwerk" handelt, bei dem es um die Lebenswelt im Harz zur späten Jurazeit geht. Wings und Knüppe wollen es nicht für einen elitären Zirkel gestalten, sondern für die breite Öffentlichkeit.

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