Digitalkonferenz:"Wir schaffen es einfach nicht, diesen Gender Gap zu schließen"

Start der Internetkonferenz re:publica 2018

Wird die digitale Zukunft weiblich? Bisher sieht es nicht danach aus. In den USA gehen nur zwei Prozent des Risikokapitals für Tech-Startups an Gründerinnen.

(Foto: dpa)

Die Republica will was für die Frauen tun. Doch auch hier wird die Technologie immer noch als Jungsspielzeug behandelt.

Von Philipp Bovermann

Die Digitalisierung ist immer noch ein überwiegend von weißen Männern betriebenes Projekt. Die Republica in Berlin, Europas größte Digitalkonferenz, unternahm letzte Woche wieder einmal den Versuch, dafür Bewusstsein zu schaffen. Eine traurige Veranstaltung war das.

Die Reihe "Fe:male Digital Footprint" wurde im Programmheft von der Beobachtung eingeleitet, das Thema "Gender und Coding" stecke "noch in den Kinderschuhen". Genauer hätte es wohl heißen müssen: Es ist darüber nie hinausgekommen. Die Zuhörer bekamen dazu viele Zahlen geboten. Das Programmierteam bei Facebook: 81 Prozent Männer. Frauenanteil in der Führungsriege: Unter einem Drittel. Im Management von Zalando, dem Shopping-Portal, das in seinen Werbespots lange Zeit Frauen vor Konsumglück schreien ließ, sitzt keine einzige Frau.

Das ist nicht nur ein Problem alter Seilschaften in der "Old Economy". Besonders fest in Männerhand sind die Start-ups. In den USA gehen nur zwei Prozent des Risikokapitals an Gründerinnen. Wer sich fragt, wie das möglich ist, muss sich nur mal das Management und den Aufsichtsrat von Rocket IT anschauen, des hierzulande wichtigsten "Inkubators" für Start-ups. Frauenanteil: Sportliche null Prozent.

Frauen sollten daher aufpassen, "dass sie nicht irgendwann in einer Welt aufwachen, die nicht für sie gemacht ist", warnte die Moderatorin der Veranstaltung "The Female Effect - Technology Through A Gender Lense", so als sei das nicht längst der Fall. Nur die wenigsten Start-ups würden von Frauen gegründet. Die Veranstaltung nahm sich daher vor, denjenigen eine Bühne zu bieten, "die Technologie nutzen, um Frauen zu stärken".

"Ich liebe es zu reden", sagt ein Start-up-Gründer, und reißt der Kollegin das Mikro aus der Hand

Das klang schon verdächtig nach noch mehr Männern, und tatsächlich betrat als Erstes ein Mann aus Uganda die Bühne. Er warb für sein Start-up Breast IT, das Brustkrebsdiagnostik vereinfachen möchte. Auf die Idee sei er gekommen, als sein Großvater an Brustkrebs gestorben sei. Auch eine junge Frau aus Pakistan hielt einen Vortrag. Kaum war der vorbei, hüpfte ihr männlicher Mitgründer auf die Bühne, schnappte sich das Mikrofon und bat um Fragen. "Ich liebe es zu reden!", rief er.

Die Reihe lud auch zum gemeinsamen Filmdreh, um das Thema "Heimwerkervideos auf Youtube" endlich mal in weibliche Hände zu bekommen. Im "Makerspace" durften die Frauen die Köpfe zusammenstecken und aus Stoff und LED-Lämpchen leuchtende Buttons für den Feminismus nähen, auf denen zum Beispiel "GRL PWR" stehen sollte.

Ein anderer Workshop beschäftigte sich mit der Frage: "Wie können Frauen im Web sichtbarer werden?" Er fand im hinteren Teil der Networking-Area statt. Sichtbar waren sie, die Frauen, nur hören konnten sie sich gegenseitig nicht. Sie wurden von der Geräuschkulisse netzwerkender Digitalisierungsversteher verschluckt. Es tue ihr leid, rief irgendwann die Moderatorin gegen den Umgebungslärm an, aber sie habe von der Stage Managerin kein Mikrofon bekommen.

Unter männlicher Regie hat sich das Netz zu einem hierarchischen, von Leistungsdenken und Pöbeleien bestimmten Raum entwickelt

Das klingt eventuell alles sehr nach "Pinkwashing". So als handle es sich bei der Republica um eine dieser Chauvi-IT-Messen, auf denen Anzugträger ihre Kärtchen verteilen und die Hintern der Hostessen diskutieren. Das ist sie mitnichten, ganz im Gegenteil - und vielleicht liegt sogar dort das Problem. Ihre Wurzeln hat sie im linken Cyberaktivismus. Die pflegt sie auch heute noch, während sie im Lauf der Jahre zu einer Art Disneyland für Netzthemen geworden ist.

Drinnen wird zum Beispiel diskutiert, ob die neuartige Blockchain-Technologie die Regenwälder retten wird und wo das alles hinführen soll mit der künstlichen Intelligenz, während im Outdoor-Bereich die Berliner DJ-Legende Dr. Motte für die Sparkasse auflegt. Als zum Schluss am Freitagabend bekannt gegeben wurde, sowohl bei den Besuchern als auch bei den Vortragenden habe der Frauenanteil knapp über 50 Prozent gelegen, brandete Jubel auf. Offenbar also alles in Butter.

Wer ein bisschen genauer hinhörte, dem verging die gute Laune schnell. "Wir schaffen es einfach nicht, diesen Gender Gap zu schließen", sagte Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der gemeinnützigen "Initiative D21". Ihr pflichtete Constanze Buchheim bei, Unternehmerin und Recruiting-Expertin. Die Digitalisierung sei eine Chance, Gleichberechtigung und Diversität in der Gesellschaft zu verankern, sagte sie. Man könne sie nutzen oder verstreichen lassen. "Im Augenblick arbeiten wir daran, sie verstreichen zu lassen."

Die Teilung in Pink und Blau besteht auch auf der Republica

In den USA lag der Frauenanteil in Informatik-Studiengängen im Jahr 1985 noch bei 37 Prozent. Doch als Computer ins Geschäftsleben einzogen, wurden sie plötzlich als Jungsspielzeug verkauft. Apple warb mit dem Slogan "The computer system that gets straight down to business" und nannte das Modell fürs Büro Lisa, als handle es sich um eine Sekretärin. Auch Computerspiele waren nicht von Anfang an Jungssache. Es dauerte, bis Produkte wie der Game Boy der Technologie eine fiktive Geschlechtlichkeit einpflanzten. Wer in der letzten Zeit mal durch die in Pink und Blau sortierte Spielzeugabteilung eines Kaufhauses gegangen ist, ahnt, dass sich daran so schnell nichts ändern wird.

Das Problem daran ist, dass digitale Technologien bekanntlich immer stärker in unseren Alltag hineinwirken. Sie bestimmen über unsere Aufmerksamkeit, unsere Beziehungen, unser Wissen. Sogar unsere Körper erscheinen uns zunehmend als die Summen von Messwerten, wie sie Fitnesstracker ausspucken. Wer verwaltet diese Daten, wer entscheidet, was mit ihnen geschieht? Techniker. Männer.

Die feministische Technikphilosophie warnt davor seit vielen Jahren. Bis auf die Republica - und damit in den netzdiskursiven Mainstream - scheint das aber immer noch nicht weit vorgedrungen zu sein. Stattdessen wurde bei einer "analytischen Sexismus-Lesung" mal wieder das gute, alte Wittgenstein-Zitat aufgewärmt, demzufolge die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt seien.

Auch Sprache ist eine wirklichkeitsbildende "Technologie", sie sich gleichberechtigt anzueignen ein wichtiges feministisches Projekt. Aber man fühlte sich doch an die Teilung in Pink und Blau erinnert, als hier, auf Bühne 4, nun Bukowski und Nietzsche zitiert wurden, während gleichzeitig auf der Hauptbühne Sascha Lobo den Vortrag "Wie das Internet uns zu kämpfen lehrte" hielt, "eine Kraftrede", so hieß es im Untertitel. Das Schöne an Tech-Konferenzen ist, dass man Zukunftstechnologien, die ihr utopisches Potenzial erschöpft haben, sofort erkennt: Kraftreden, zum Beispiel, Wittgenstein, aber auch die Angst vor Algorithmen gehören endlich mal zu den Akten gelegt. Die Kräfte, die hinter den Kulissen des Internets wirken, sind keine künstlichen Intelligenzen. Sie haben Vornamen. Viel zu oft die weißer Männer. Unter ihrer Regie hat sich das Netz zu einem hierarchischen, von Leistungsdenken und Pöbeleien bestimmten Raum entwickelt. Höchste Zeit, es umzuprogrammieren.

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