Digitales Kino:Wie künstliche Darsteller das Kino verändern

Robin Wright

Mein Ich und ich: Im Science-Fiction-Drama "The Congress" verkauft eine Schauspielerin (Robin Wright) die Rechte an ihrer Digitalkopie einem Filmstudio.

(Foto: AP)

Carrie Fisher wurde schon vor ihrem Tod digital kopiert, Robert De Niro soll per Computer verjüngt werden. Wo liegen die Grenzen der digitalen Wiederkehr?

Von Philipp Bovermann

Gouverneur Tarkin lächelt diabolisch, während der Laserstrahl, den er gerade hat abfeuern lassen, einen ganzen Planeten zerstört. Der Todesstern funktioniert! Eine Szene aus dem "Star Wars"-Ableger "Rogue One", der gerade sehr erfolgreich in den Kinos läuft. In dem Actionfilm kommt neben dem Todesstern aber noch eine ganz andere Superwaffe zum Einsatz, ohne die der fiese Gouverneur Tarkin nicht so diabolisch lächeln könnte.

Die Figur kam schon im ersten "Star Wars"-Film von 1977 vor, sie wurde damals vom britischen Kultschauspieler Peter Cushing gespielt, der allerdings am 11. August 1994 mit 81 Jahren an Prostatakrebs gestorben ist. Trotzdem ist er in "Rogue One" wieder in seiner alten Rolle zu sehen, zumindest eine digitale Version von ihm. Dass es nicht der echte Cushing ist, sieht man ihm nur an, wenn man ganz genau hinschaut. Sein hageres Raubvogelgesicht sieht ein winziges bisschen zu glatt aus, fast ein bisschen gespenstisch.

Bisher galten digitale Menschenimitationen als schlechte Bastellösung für den Notfall

Seine Rückkehr verdankt er der amerikanischen Trickfirma "Industrial Light & Magic", die für ihre visuellen Spezialeffekte berühmt ist. George Lucas hatte das Unternehmen 1975 extra für seinen ersten "Star Wars" gegründet, seitdem gewinnt es regelmäßig Oscars und setzt auch im digitalen Zeitalter Maßstäbe in der Filmnachbearbeitung. War es bis vor ein paar Jahren noch die Natur, die Effektkünstler am Computer nachahmten - schäumende Wellen und lodernde Flammen -, trauen sie sich nun auch an Menschenimitationen heran.

Bislang galt das eher als schlechte Bastellösung für den Notfall, zum Beispiel wenn Schauspieler während der Produktion überraschend sterben, sie aber noch nicht alle Szenen abgedreht haben. Als etwa Paul Walker vor Drehschluss von "Fast & Furious 7" tödlich mit dem Auto verunglückte, musste dessen Bruder seine fehlenden Szenen abdrehen. Die Computerspezialisten pflanzten anschließend den digitalen Kopf des Verstorbenen auf seinen Hals. Auch der Werbespot eines Schokoladenherstellers hatte einen digital reanimierten Star als Attraktion, Audrey Hepburn, die 1993 gestorben ist. Aber in dem Spot aus dem Jahr 2013 saß sie jung und schön und schlank auf dem Rücksitz eines Cabrios und knabberte Schokolade.

Warum die Technologie gerade im Zeitalter des zunehmenden "Franchisings" so wichtig ist, in dem die Studios bestimmten Markenuniversen immer weitere Auskopplungen und Fortsetzungen entlocken, lässt sich aber am besten an der Präsenz des besagten Gouverneurs Tarkin festmachen. Schon in "Star Wars: Episode III - Die Rache der Sith" hatte er vor zehn Jahren einen kurzen Auftritt. Da stand er, gespielt vom australischen Schauspieler Wayne Pygram, der als Cushing-Double einspringen musste, ein paar Sekunden lang aus einiger Entfernung zu sehen, vor dem Fenster seines Raumschiffs und betrachtete zusammen mit Darth Vader und dem Imperator den Bau des Todessterns. Aber die Technik war noch nicht einsatzbereit, Pygram sah Cushing nur aus der Ferne ähnlich. Sobald die Kamera näher heranfuhr, musste er aus dem Bild marschieren, um die dürftigen, damals noch analogen Gesichtsprothesen zu kaschieren.

In "Rogue One" muss der imperiale Befehlshaber nun nicht mehr vor dem Blick der Zuschauer flüchten. Dadurch schließt sich die erzählerische Lücke zu "Star Wars: Episode IV - Eine neue Hoffnung" nicht nur abstrakt auf der Handlungsebene, sondern auch personell. Ein vertrautes Gesicht an prominenter Stelle ist pures Gold für das Identifikationspotential der Fans mit der Filmreihe, und somit für deren Markenwert. Das gilt natürlich noch mehr für Carrie Fisher. Die Schauspielerin hat ebenfalls einen Gastauftritt in ihrer Rolle als junge Prinzessin Leia und nach ihrem Tod Ende Dezember 2016 könnte aus dieser spielerischen Digitalstilübung jetzt eine bittere Notwendigkeit entstehen: Carrie Fisher hat zwar den kommenden "Star Wars"-Film, "Episode VIII", abgedreht, war aber auch für weitere Fortsetzungen schon fest eingeplant. Könnte eine digitale Hauptrolle für Prinzessin Leia funktionieren? Auf jeden Fall sind die Kopien von den Originalen selbst für Branchenprofis wie Jeffrey Okun kaum noch zu unterscheiden. Der 63-Jährige ist einer der Vorsitzenden der "Visual Effects Society" in Hollywood und hat selbst schon einige Schauspieler von den Toten zurückgeholt. Aber den Trick mit Cushing hat auch er erst auf den zweiten Blick bemerkt, wie er von seinem Schreibtisch in Los Angeles aus beim Skype-Gespräch erzählt.

"Die Schauspieler fragen mich, wie lange es noch dauert, bis sie ersetzt werden"

Okun war als VFX-Berater unter anderem bei "Fast & Furious 7" tätig, die Wiederbelebung des verstorbenen Hauptdarstellers Paul Walker beschreibt er als "einigermaßen problemlos". Walker wurde nämlich vorab gescannt. "Das können Sie sich ziemlich exakt so vorstellen, wie es der Regisseur Ari Folman in seinem Science-Fiction-Film "The Congress" detailliert schildert".

Darin steigt die Schauspielerin Robin Wright, die sich selbst spielt, in eine Art Kugel aus Kameras, die ihren Körper aus allen Blickwinkeln aufzeichnen. Dabei absolviert sie eine Reihe von Standard-Performances: lachen, weinen, böse schauen, überrascht schauen, und so weiter. "Wir machen das inzwischen bei so gut wieder jeder Produktion", sagt Okun. Zur Sicherheit, falls wie bei Walker etwas passiert. Und um die Gesichter der Schauspieler auf die Körper von Stuntmen zu kopieren.

Robin Williams überschrieb kurz vor seinem Tod die Rechte an seinem Äußeren einer Stiftung

"The Congress" warf neben den praktischen Fragen der Reproduktion aber auch noch ein paar moralische auf. Die Schauspielerin im Film verkauft die Rechte an ihrem Bild an ein Filmstudio, bevor sie selbst zu alt fürs jugendfixierte Hollywood wird, womit sie sich quasi selbst ausmustert. Sie verliert die Kontrolle darüber, was ihr digitales Ich künftig auf der Leinwand tun wird, und das sind Sorgen, die mittlerweile ganz real geworden sind. Jeffrey Okun sagt: "Die Schauspieler fragen mich, wie lange es noch dauert, bis sie ersetzt werden. Sie sollten sich jetzt gut um ihre Verträge kümmern."

Robin Williams zum Beispiel, der 2014 starb, überschrieb kurz vor seinem Tod die Rechte an seinem Äußeren einer Stiftung. Damit verhinderte er, wogegen sich Peter Cushing und Audrey Hepburn nicht wehren können, weil die heutige Technik zu ihren Lebzeiten noch nicht absehbar war. Solange deren Erben ihr Einverständnis geben, steht einer digitalen Wiederkehr nichts im Weg. Aber wo liegen die Grenzen? Theoretisch könnte ja irgendwann ein Erbe auf die Idee kommen, einen Porno mit einer digitalen Marilyn-Monroe-Kopie zu gestatten. Und wann erlöschen eigentlich solche Bildrechte? Werden Schauspieler wie Kunstwerke nach 70 Jahren lizenzfrei? Können wir sie dann runterladen und mit ihnen machen, was wir wollen?

Auch Robert De Niro soll bald digital verjüngt werden

Schon jetzt gehören die Rechte an manchen Digitalkopien oft nicht mehr den Schauspielern, sondern den Filmstudios. Ein Beispiel aus der Praxis des Effektexperten Okun. 2005 arbeitete er bei der Comicverfilmung "Fantastic Four" mit. Das Filmteam kam auf die Idee, dass sich einer der Helden zum Spaß in Tom Cruise verwandeln sollte. Der echte Cruise hatte nichts dagegen und wollte extra die Scans freigeben, die von ihm 2003 für den Film "Last Samurai" gemacht wurden. Aber das Studio weigerte sich, sein digitales Äußeres gehört ihm nicht mehr. Cruise musste der "Fantastic Four"-Produktion absagen.

Die Anekdote wäre vielleicht ein guter Warnhinweis für Robert De Niro, der zwar noch quicklebendig ist, aber bald digital verjüngt werden soll. Nächstes Jahr will er gemeinsam mit seinem alten Weggefährten Martin Scorsese den Mafiathriller "The Irishman" drehen. Ein klassischer Gangsterfilm im Stil von "GoodFellas" und "Casino". Das einzige Problem: Es ist 2016 und dem altgedienten Bad Boy würde man seinen Platz im Bus anbieten. Zur Hilfe naht also das Digitallabor. In einem Interview mit Cinema Blend gab der Produzent Gastón Pavlovich bekannt, man experimentiere mit verschiedenen Techniken, De Niros Gesicht so realistisch zu verjüngen, dass er wieder aussehen werde wie 1974 im zweiten Teil von "Der Pate".

Schauspieler können also künftig wieder die Rollen spielen, für die sie berühmt wurden, auch wenn sie nicht mehr Anfang 30, sondern Mitte 70 sind. Und wenn sie nicht aufpassen, spielt ihre digitale Kopie nach ihrem Tod einfach ohne sie weiter.

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels war zu lesen, die "Star-Wars"-Figur Gouverneur Tarkin wurde bereits in "Star Wars: Episode III - Die Rache der Sith" digital hergestellt. Das war falsch, die Tarkin-Figur wurde in dem Film vom Schauspieler Wayne Prygram verkörpert.

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