Digitale Debatte:Warum ein Datenpopulismus sinnvoll wäre

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Mit dem Geschäftsfeld Cloud Computing generieren Tech-Firmen wie Amazon mittlerweile eine Menge Profit. (Symbolbild)

(Foto: dpa)

Die Linke hätte in den digitalen Debatten die Chance, sich als relevante Stimme zu profilieren. Denn zu Technologie haben Rechtspopulisten wie Trump, Ukip und AfD nichts zu sagen.

Von Evgeny Morozov

Von allen großen Firmen im Silicon Valley hat Amazon nach Trumps Sieg am meisten zu verlieren. Kurzfristig hatte die Firma ja auch schon ganz konkret verloren. Nach der Wahl sackte der Aktienkurs um fünf Prozent ab. Während seines Wahlkampfes hatte Trump gewarnt, Amazon hätte ein "massives Kartellproblem". Für einen Populisten wie ihn ist das ein geradezu vernünftiger Standpunkt. Obwohl seine Feindseligkeit wohl mehr damit zu tun hat, dass Amazongründer Jeff Bezos die Washington Post gehört, die früh deutlich gemacht hat, dass sie Trump nicht ausstehen kann.

Als Amazon dann Ende November seine gewaltige Cloud-Computing-Konferenz in Las Vegas eröffnete, schienen die Feindseligkeiten schon vergessen zu sein. Amazon präsentierte lieber beeindruckende Spielereien. Es gibt jetzt zum Beispiel einen ganz realen Lastwagen namens Snowmobile, der große Datenmengen buchstäblich zur Cloud fährt, weil das sehr viel schneller geht als über Netzwerkleitungen.

Bei der Gelegenheit stellte Amazon auch seine Cloud-basierten Dienste für künstliche Intelligenz (KI) vor, die Objekte in Bildern erkennen, Sprache verarbeiten und Chatbot-Anwendungen unterhalten. In der Zwischenzeit müsste die Firma mit all den Nutzerdaten ja auch schon eine ziemlich robuste KI-Anwendung gebaut haben. Und es sind genau solche Datenschätze, welche die jüngsten Durchbrüche bei der Entwicklung der am weitesten entwickelten KI erklären, dem "deep learning", dem eigenständigen Maschinenlernen.

Mehr Profit als der Versandhandel

Jetzt will Amazon eben damit Geld verdienen, dass es Andere seine schon existierende KI-Infrastruktur nutzen lässt. Vor ungefähr einem Jahrzehnt hat die Firma schon mal so etwas Ähnliches gemacht, als sie herausfand, dass es auf ihren Servern viel ungenutzten Speicherplatz gibt, den sie vermieten könnte. In Amerika generieren Amazons Cloud-Dienste inzwischen oft mehr Profit als der Versandhandel.

Das KI-Geschäft wird ähnlich funktionieren. Kunden werden Amazon dafür bezahlen, Bilder oder Stimmen zu erkennen, und das dann in ihre eigenen Apps und Anwendungen integrieren. Damit gehört Amazon neben Google, Microsoft, Facebook und IBM zum jetzt schon recht dichten Feld der Hochleistungs-KI.

Die anderen vier KI-Giganten sind auch keine Wohltätigkeitsvereine. Wenn sie ihre KI-Produkte in das Gesundheits- und Bildungswesen, in die Energieversorgung, den Nahverkehr und den Gütertransport integrieren, werden sie die Kosten auf die Bürger abwälzen. Entweder direkt mit Nutzergebühren oder in Form von lukrativen Regierungsaufträgen für Behörden wie den Nationalen Gesundheitsdienst NHS in Großbritannien.

Als gehörte die gesamte Landmasse der Erde fünf großen Banken

Die politischen Folgen sind irre. Fünf amerikanische Firmen (Chinas Baidu wäre der einzige nennenswerte nicht-amerikanische Konkurrent) haben jetzt schon einen Großteil der Daten auf dieser Welt geerntet und verarbeitet. So haben sie eine so weit fortgeschrittene KI-Leistungsfähigkeit geschaffen, dass sie sich damit die Kontrolle über eine entscheidende globale Infrastruktur gesichert haben.

Das ist so, als ob die gesamte Landmasse des Planeten plötzlich fünf großen Banken oder Immobilienfirmen gehören würde und jeder Mensch eine Gebühr bezahlen müsste, wenn sein Fuß die Erde berührt. Es ist ja nicht so, als ob das noch nie da gewesen wäre. Solche Anstrengungen der Adels- oder Finanzeliten, Land zusammenzuraffen und damit zu verdienen, hat Wirtschaftsphilosophien wie den Georgismus hervorgebracht, der davon ausgeht, dass alle natürlichen Ressourcen der gesamten Menschheit gehören. Aber was, wenn es nicht um Land, sondern um Daten geht?

Es gibt zwei besonders beliebte Ansätze. Einer propagiert alternative Modelle wirtschaftlicher Organisation, wie zum Beispiel Genossenschaften. Solche Versuche eines digitalen Genossenschaftswesens sind durchaus sinnvoll. Hin und wieder entstehen dabei beeindruckende und ethisch einwandfreie lokale Projekte. Warum soll die Fahrer-Genossenschaft in einer Kleinstadt keine App konstruieren können, die ihr hilft, Uber zumindest lokal zu schlagen? So eine lokale Genossenschaft könnte natürlich kein selbstfahrendes Auto konstruieren. Dafür braucht man riesige Investitionen und eine Infrastruktur, die all die nötigen Daten erheben und verarbeiten kann. Man könnte natürlich auch Daten-Kooperativen gründen. Allerdings ist zu bezweifeln, dass die jemals eine solche Größe erreichen würden, dass sie mit Google oder Amazon konkurrieren könnten.

Der andere Ansatz, dass man Technologiekonzerne einfach zerschlägt und schrumpft, ist ebenso problematisch. Er geht davon aus, dass Daten einfach nur eine Handelsware sind, wie zum Beispiel Öl oder irgendein Ding. Öl wird allerdings nicht besser oder wertvoller, je mehr man davon lagert. Daten schon. Je mehr man erhebt, desto größer sind die Erkenntnisse und desto billiger kann man sie an die Bürger verkaufen. Die Entwicklungssprünge der KI waren bisher nur möglich, weil eine Handvoll Firmen so etwas wie ein Monopol errichten konnten. Linke Populisten wie Bernie Sanders und Elizabeth Warren scheinen nicht zu verstehen, dass Daten diese ganz besonderen Eigenschaften haben. Stattdessen versteifen sie sich auf das Argument, dass die Tech-Giganten Konkurrenz unmöglich machen. Das könne man nur bekämpfen, wenn man dafür sorgt, dass diese Firmen ihre Tentakeln nicht in zu viele Bereiche und Technologien ausstrecken. Das Ziel müsse sein, den Markt wettbewerbsfähig zu machen. Ohne eine aktive KI-Politik der Regierung wird dieser Markt aber nie sein Potenzial ausschöpfen können, weil er zu zersplittert ist, um aus all den Daten Wert zu schöpfen. Und er wird auch nicht die billigen Waren liefern können, auf die Konsumenten angesichts der fallenden Einkommen so dringend angewiesen sind.

Alles, was die Linke uns verspricht, ist das immer Gleiche, nur ein bisschen besser

Nein, die Rhetorik von der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit hat im Kern des Wirtschaftspopulismus des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu suchen. Eine viel bessere Agenda für linke Populisten wäre, darauf zu bestehen, dass Daten entscheidender Bestandteil einer Infrastruktur sind, die allen gehören sollte. Natürlich müssen Firmen ihre Dienste auf diesen Daten aufbauen dürfen, aber nur, wenn sie dafür auch bezahlt haben. Daten und KI, die auf ihnen aufbaut, müssen öffentlicher Besitz bleiben. Nur so können Bürger und öffentliche Einrichtungen sichergehen, dass Firmen sie nicht mit Kosten für Dienste erpressen, die ja letztlich die Öffentlichkeit selbst geschaffen hat. Statt Amazon für die KI-Dienste zu bezahlen, die mit unser aller Daten konstruiert wurden, sollte Amazon verpflichtet werden, diese Gebühr an uns zu entrichten. Das zeigt aber auch ein Defizit des linken Populismus, das tiefer geht. Alles, was er uns - Utopia hin oder her - verspricht, ist das immer Gleiche, nur etwas besser. Das Kartellrecht soll härter werden. Arbeitsplätze kommen zurück. Der Sozialstaat wird so großzügig sein wie in den Sechzigerjahren. Die Arbeitsplätze werden aber nicht zurückkommen, weil sie nie "fortgegangen" sind, sondern einfach wegautomatisiert wurden. Große Datenfirmen zu schrumpfen, ist auch kein Programm, mit dem man irgendjemanden begeistern könnte, der auch nur eine ungefähre Ahnung davon hat, was diese Firmen so effektiv und ihre Produkte so billig macht. Und dem höchst aufdringlichen Sozialstaat nachzuweinen, während die Silicon-Valley-Eliten das ach so flexible Grundeinkommen bejubeln, ist geradezu selbstzerstörerisch.

Die Unfähigkeit der Linken, die neue populistische Sprache zu beherrschen, ist umso rätselhafter, da doch Technologie eines der wenigen Themen ist, zu dem Rechtspopulisten wie Trump, Ukip und AfD nichts zu bieten haben. Datenpopulismus wäre also ein ganz entscheidender Vorteil, wenn die Linke nur verstehen würde, dass die traditionelle progressive Agenda von digitalen Technologien genauso nachhaltig erschüttert wurde wie alles andere auch. Anstatt das zu verdrängen, sollten progressive Populisten die Datendebatte als Chance begreifen, in den entscheidenden Wirtschaftsdebatten unserer Zeit wieder neu an Relevanz zu gewinnen.

Der Autor hat mehrere Bestseller wie "The Net Delusion" und "Smarte neue Welt" verfasst. Derzeit forscht er an der Harvard University über die Frühzeiten der digitalen Welt.

Aus dem Englischen von Andrian Kreye

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