Dieter Bohlen und die Kunst:Die Erklärung des Gewöhnlichen

Dieter Bohlen beleidigt harmlose Kandidaten, urteilt wie es ihm passt und pöbelt schlicht herum. Dafür hat die Künstlersozialkasse für die Jahre 2002 bis 2006 mit Erfolg ganze 173.000 Euro von RTL verlangt. Und sie hat recht damit.

Jens Bisky

Der Weg scheint weit zu sein von der Kunst zu einem Satz wie diesem: "Du hast deinen ganz eigenen Stil, - aber den finde ich absolut scheiße!" Man kann gut verstehen, dass der Fernsehsender RTL für solche Sprüche keine Künstlersozialabgabe zahlen will und gegen einen Beitragsbescheid der Künstlersozialkasse klagte. Die Show "Deutschland sucht den Superstar" bewirtschaftet Teenagerträume und Schadenfreude.

Dieter Bohlen (l-r), Sylvia Kollek und Heinz Henn als Jury von "Deutschland sucht den Superstar"

"Eigenschöpferische, höchstpersönliche Leistungen" vollbringt die Superstar-Jury. Das hat sie nun schriftlich.

(Foto: Foto: dpa)

Dieter Bohlen darf darin grund- und haltlos urteilen, harmlose Menschen beleidigen, herumpöbeln. Vom Schönen, Wahren, Guten, von der "Verklärung des Gewöhnlichen", von all dem, was man landläufig mit Kunst verbinden mag, ist diese Sendung weit entfernt. Dass Dieter Bohlen als Juror "künstlerisch tätig" sei, scheint also eine besonders abwegige Vermutung zu sein.

Dennoch verlangt die Künstlersozialkasse für die Jahre 2002 bis 2006 ganze 173 000 Euro von RTL. Und sie hat recht damit. Das Sozialgericht in Köln erkannte am Montag in der Arbeit der Jury "eine freie schöpferische Gestaltung" und entschied zugunsten der Kasse. In den Verträgen zwischen dem Sender und den Juroren, so die Richter, werden "eigenschöpferische, höchstpersönliche Leistungen" erwartet. Das Niveau spiele dabei keine Rolle.

Die Künstlersozialkasse kann das Geld gut gebrauchen. Mehr als 150 000 Künstler sind in ihr versichert, vor fünfzehn Jahren waren es nur gut ein Drittel von ihnen. Diese auf der Welt einzigartige Einrichtung privilegiert selbständige Künstler und Publizisten, indem sie ihnen einen Versicherungsschutz gewährt, wie ihn Arbeitnehmer genießen. Sie bezuschusst die Beiträge ihrer Mitglieder zu einer frei gewählten Krankenversicherung sowie zur Renten- und Pflegeversicherung. Sie zahlt also gleichsam den Arbeitgeberanteil.

Künstler im Sinne des Gesetzes

Finanziert wird die Künstlersozialkasse zur Hälfte aus den Beiträgen ihrer Mitglieder. Die andere Hälfte teilen sich der Bund, der zwanzig Prozent zuschießt, und die Verwerter von künstlerischen und publizistischen Leistungen, die dreißig Prozent tragen müssen. Ihre Künstlersozialabgabe betrug im Jahr 2006 knapp 167 Millionen Euro. Zur Zeit müssen sie 5,1 Prozent des Honorars für die freien Mitarbeiter zahlen, im kommenden Jahr nur noch 4,9 Prozent.

Als der Gesetzgeber die Künstlersozialkasse in den siebziger Jahren schuf, glaubte er, dass Vermarkter und Künstler in einer engen Bindung zueinander stehen, gemeinsame Interessen haben, eine theoretisch gewiss zutreffende Annahme. Doch diese Vorstellung erwies sich bald als naiv. Viele Unternehmen kamen, manche aus Unwissenheit, mehr aber vermutlich aus Sparsamkeit, ihren Verpflichtungen nicht nach.

Seit dem Sommer dieses Jahres aber prüft die Deutsche Rentenversicherung, in welcher Höhe Abgaben nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz geleistet werden müssen. Viele Unternehmen müssen jetzt mit hohen Nachforderungen rechnen.

Künstler im Sinne des Gesetzes ist, wer eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausübt. Zugegeben, man wünschte sich schärfere, genauere Formulierungen. Aber solche Unterscheidungen kann der Gesetzgeber kaum treffen, Qualitätsmaßstäbe, Erwägungen der ästhetischen Kritik, Genreabgrenzungen haben in der Sozialgesetzgebung nichts zu suchen.

Innerliche Empfindungen

Auch ein angestellter Schlosser genießt schließlich Versicherungsschutz, unabhängig von der Qualität und Art seiner Arbeit. Und weil dies so ist, müssen sich immer wieder Gerichte mit der Künstlersozialkasse befassen: Eine Lehrerin, die argentinischen Tango lehrt, wurde mit der Begründung abgewiesen, dass dieser keine Kunstform sei, obwohl sie behauptete, "innerliche Empfindungen" darzustellen. Ein Tätowierer wurde, obwohl seiner Arbeit "eine kreative Komponente" nicht abzusprechen war, nicht in die Kasse aufgenommen, da der Schwerpunkt, wie das Bundessozialgericht befand, auf "manuell-technischen Fähigkeiten" liege und es an Anerkennung in "Fachkreisen der Kunst" fehle.

Andererseits wurde im Frühjahr eine Bank, die mit dem Basketballer Dirk Nowitzki wirbt, aufgefordert, die fällige Abgabe zu zahlen. Auch wer für Werbung Künstler beschäftigt, müsse diese entrichten. Das hessische Landessozialgericht gab auch in diesem Fall der Künstlersozialkasse recht - mit Grund, denn der Sportler trat in diesem Zusammenhang künstlerisch, als Idol, auf.

Auch bei Dieter Bohlen sind die juristischen Verhältnisse unzweifelhaft: Denn er wäre nicht Juror dieser Veranstaltung, wäre er nicht einer der erfolgreichsten Musikproduzenten Deutschlands. Und das Komponieren von noch so einfältigen Liedern, das Texten, Arrangieren und Aufführen gehört zweifellos zu den künstlerischen Tätigkeiten - da mag man über deren Qualität denken, wie man will.

Und wie schade, ja wie schlecht wäre es, wenn an diesem Punkt die Solidargemeinschaft nicht funktionierte: Künstler verdienen im Durchschnitt weniger als 1000 Euro im Monat. Die Künstlersozialversicherung ermöglicht vielen, weiterzumachen, in der Hoffnung auf den Durchbruch, den großen Erfolg. Ohne sie gäbe es noch weniger Alternativen zu RTL-Shows.

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