Die wunderbare Welt der bedrohten Wörter:Dem Schlüpfer wird es blümerant

Wenn man nicht aufpasst, geht ständig etwas verloren. Leute verschwinden, Arten sterben aus, Zeit vergeht. Jetzt sind auch noch Wörter bedroht. Das kommt überraschend - aber nicht unvorbereitet. Eine Jury hat die schönsten bedrohten Wörter gekürt. Darunter: der Schlüpfer. Das Streiflicht

Die Erde ist eine Kugel, aber sie hat zu viele Ecken. Wenn man nicht aufpasst, geht ständig etwas verloren. Leute verschwinden, Arten sterben aus, Zeit vergeht. Jetzt sind auch noch Wörter bedroht. Das kommt überraschend. Schließlich wird heute derart viel geredet und geschrieben, man dachte, da wird sicher jedes Wort gebraucht. Aber offenbar eben nicht alle.

Liste der schönsten bedrohten Wörter

Scheinbar gerettet: der Schlüpfer, Platz zehn.

(Foto: Foto: dpa)

Gerade haben 2982 Leute darum einige sehr seltene Stücke aus ihrem Wortschatzkästchen herausgesucht. Sie schickten sie an eine Jury aus Journalisten und Schriftstellern, die in Berlin mittels einer Goldwaage dann die schönsten unter ihnen ermittelte. Liest man die Liste, muss man zwar sagen, dass man auch künftig ohne das Wort blümerant auszukommen hofft. Andererseits ist es jedoch auch so, dass man unter keinen Umständen auf einer Welt leben möchte, auf der einem kein Augenstern mehr strahlt.

Die Gründe, warum ein Wort vom Aussterben bedroht ist, sind verschieden. Es gibt Exemplare, die sich auf ewig an ein anderes Wort gebunden hatten. Im Falle von fernmündlich und dem Telefon kann sagen, sie schienen füreinander geschaffen zu sein. Auf einmal befreite sich das Telefon, erst aus der Zelle, dann von der Schnur, plötzlich passten sie nicht mehr zusammen. Dem Lichtspielhaus erging es mit dem Film ähnlich. Am Ende waren sie wie Ehepaare, bei denen der eine mit der Zeit gegangen und der andere zurückgeblieben war. Jetzt finden sie keine neuen Partner mehr.

Auf ewig

Unter den bedrohten Wörtern sind aber auch solche, die stets für sich blieben. Sie gingen mit Recht davon aus, dass es die Sache, die sie bezeichneten, ewig geben würde, weshalb sie einigermaßen breitbeinig in der Welt standen. Zu ihnen gehört der Schlüpfer. Ihn schien nicht nur seine Größe vor dem Aussterben zu schützen, sondern auch die Tatsache, dass nie anders in ihn hineinzufinden sein wird als eben durch Schlüpfen. Darüber hinaus tauchte er zuletzt immer häufiger außerhalb der Hose auf. Aber je mehr man von ihm sah, umso weniger hörte man von ihm, und heute sieht es so aus, als würde nach dem Stoff auch das Wort ganz verschwinden.

Es gibt zwar Möglichkeiten, Wörter zu retten. Literaturzirkel sperren gern seltene Exemplare zusammen, um sie zu vermehren. Oft scheiterte aber die Auswilderung. Bibliotheken experimentieren häufig mit Büchern, die bedrohte Wörter enthalten. Meist wirken sie darin allerdings so ausgestopft wie Tiere im Naturkundemuseum. Anders als Tiere bleiben Wörter aber lebendig, solange sich einer an sie erinnert, weshalb man einmal über einen Wörterzoo nachdenken sollte. Den Leuten fehlt von so etwas wie Labsal ja jede Anschauung. Zum schönsten aller eingesandten Wörter hat die Jury übrigens Kleinod gewählt. Dem wäre schon geholfen, es würde nicht jeder Großtaten vollbringen wollen. Doch dazu müsste wohl erst das Bauchpinseln aussterben.

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