"Die Walküre" in Bayreuth:Wild wie Wotan durch die Weltgeschichte

"Die Walküre" in Bayreuth: Diesmal keine Esche, dafür ein Ölförderturm: Sieglinde (Anja Kampe), Hunding (Franz-Josef Selig) und Siegmund (Johan Botha).

Diesmal keine Esche, dafür ein Ölförderturm: Sieglinde (Anja Kampe), Hunding (Franz-Josef Selig) und Siegmund (Johan Botha).

(Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiel)

Bei Halbzeit des neuen Bayreuther "Rings der Nibelungen" bleibt sich Regisseur Frank Castorf treu, indem er das Publikum aufs immer Neue überrascht. Vorläufig fehlt vom germanischen Mythos jede Spur: Aufs "Rheingold" im Wilden Westen folgte eine "Walküre" im vorrevolutionären Öl-Boom in Baku.

Von Reinhard J. Brembeck

Auf geb' ich mein Werk, Nur Eines will ich noch, das Ende - - das Ende! -" Ganz ruhig steht Wolfgang Koch als Wotan mit einem Kaftan und mit einem in zwei langen Spitzen auslaufenden Bart da und singt den Abschied von seinen Machtträumen wie eine große traurige Schubert-Ballade: verhalten auf Ausdruck wie Spannung konzentriert und subtil begleitet von Dirigent Kirill Petrenko, der dem theatralischen Sinn jeder motivischen Veränderung und Neugruppierung mit lustvoller Phantasie nachspürt. Da sind zwei, die sich verstehen und gleichermaßen differenziert unaufgeregt vom Ende eines großen Traums erzählen.

Es ist dies bisher der musikalische Höhepunkt des neuen Bayreuther "Ring"-Ausbaus, der nach "Rheingold" und "Walküre" nun Halbzeit hat und szenisch einige Rätsel aufwirft. Denn Regisseur Frank Castorf, dessen freche Genialität 30 Jahre schon die Theaterwelt begeistert, lässt bisher nicht erkennen, wohin er Richard Wagners Vierteiler "Der Ring des Nibelungen" zu bringen gedenkt.

Offenbar zielt er als guter dialektischer Materialist auf eine Synthese, die sich aber wohl erst am Mittwoch in der "Götterdämmerung" zeigen darf. Bis dahin müssen die Bayreuthbesucher, die bisher bei exorbitanten Temperaturen Zuschauerschwerstarbeit verrichten durften, mit seinen Rätseln leben.

Der Regisseur zeigte den Vorabend "Rheingold" (die SZ berichtete darüber in einem Teil ihrer Wochenendausgabe) als US-amerikanischen Gangster-Showdown im einsam in der Wüstenwildnis gelegenen Golden Motel.

Das hat der in einen hinreißenden Filmrealismus verliebte Bühnenbildner Aleksandar Denic auf die bewegungsfreudige Drehbühne gestellt. Die "Walküre" dagegen führt die Zuschauer Jahrzehnte zurück, vermutlich, das deutet das Programmheft an, ins vorrevolutionäre Baku am Kaspischen Meer.

Petrenko meidet alles Raunen

Hier kontrollierten einst die Rothschilds den Handel mit dem im Kaukasus geförderten Öl, hier lernte der junge Lenin das Revolutionieren, und hier steht jetzt, wieder auf der Drehbühne, der von Denic liebevoll im Detail aufgeführte frühindustrielle Ölförderturm aus Holz. Was haben der Wilde Westen und der Kaukasus mit Wagners Walhall zu tun?

Den Bezug zu Germanenmythos und deutscher Romantik leugnen diese Locations genauso wie auch die darauf abgestimmten Kostüme von Adriana Braga Peretzki. Auch der Dirigent Petrenko meidet alles Raunen, Bedeutungsheischen und Gewabere.

Er versucht erst gar nicht, im "Rheingold" noch weniger als in der "Walküre", Wagners munter zerspleißtes Motivgeflecht als großen romantischen Musikstrom zu präsentieren. Petrenko begreift die Musik bildhaft von der Handlung abhängig. Alles was geschieht, auch in den Psychen der Protagonisten, wird von den Klängen und Motiven geschildert, kommentiert, konterkariert. So webt Petrenko mit unbändiger Lust einen fein gearbeiteten Flickenteppich aus Tönen.

Raum zum Atmen und Gestalten

Immer bleibt das Orchester dezent den Sängern gegenüber, die darüber glücklich sind, dass ihnen Petrenko Raum zum Atmen und Gestalten lässt. Doch das meist fein gedämpfte Orchester kann auch laut aus der Unsichtbarkeit des Bayreuther Grabens herausdröhnen, im Gewitter des "Walküre"-Vorspiels, im Feuerzauber.

Aber das sind nur Momente. Der Zauberer Petrenko vertraut darauf, dass sein Zauberlehrmeister Wagner genau um Stimmig- und Wirksamkeit seines bunt schillernden Motivgewirks wusste und dass ein Dirigent deshalb genauso radikal und unkonventionell wie der Komponist vorgehen muss. Das macht Petrenko, ohne je selbstherrlich, bombastisch oder rigide zu werden.

In den mythischen Szenen entwickelt er einen frühromantischen Zauberklang: beim Auftritt von Urmutter Erda, bei der Todverkündigung, wenn die Walküre dem notorischen Störenfried Siegmund klarzumachen versucht, dass es mit seinem Erdendasein vorbei ist. Es ist betörend schön, wie Petrenko solche Szenen dezent nachdrücklich gegen das ansonsten diesseitige Geschehen absetzt und so die unendliche Melancholie des "Rings" in den Mittelpunkt rückt.

Frank Castorf kann die Möglichkeiten dieses modernen Klangbilds im spielfreudigen "Rheingold" deutlich besser nutzen als in der statuarisch gespielten "Walküre". Wotan ist im "Rheingold" ein mittelständischer Gangster, der sich das Golden Motel als Räuberhöhle bauen hat lassen, um Reisende zur Kasse zu bitten. Nicht zufällig ist das Zentrum des Motels die Zapfsäule.

Wolfgang Koch staffiert Wotan von Beginn an mit der ruhigen Melancholie des Machtverfalls aus. Er ist von eifersüchtigen Frauen umgeben, hat bloß einen zwielichtigen Freund, Norbert Ernsts pragmatischen Loge, und ansonsten nur Konkurrenten: zwei derbe Bauarbeiter namens Fafner und Fasolt sowie den Underdog Alberich, den Martin Winkler grandios als Möchtegern-Wotan zeichnet.

Grotesker Sprung in den Swimmingpool

Einer, der genauso viel Erfolg bei den Frauen haben will wie sein Vorbild, doch gleich bei den aufreizend aufgetakelten Rheintöchtern abblitzt. Also bleibt ihm nichts anderes als der groteske Sprung in den Swimmingpool, wo das Rheingold lockt, das die Weltherrschaft verspricht.

Wotan knutscht derweilen mit seiner Gattin und deren Schwester, später vernascht er auch Erda. Ob da schon die neun Walküren der "Walküre" gezeugt werden, lässt Castorf offen, den andauernden sexuellen Notstand des Chefs aber macht er im Einklang mit Wagner zum Dauerthema.

Erstaunlich ist, dass das Stück den Transfer aus Wagners teutonischem Mythenmittelalter in den Wilden Westen unbeschädigt übersteht. Noch erstaunlicher ist, dass im Gangstermittelstandsmilieu die nicht lösbaren Konflikte um Macht und Liebe, Geschlechterverhältnisse und Organisation der Arbeitswelt so ungemein plastisch herauskommen.

Ein Kamerateam dokumentiert gern, was in den fürs Publikum gerade nicht einsehbaren Motelräumen vor sich geht; die Bilder sind dann auf einer Riesenleinwand über dem Bühnenbild zu sehen.

Die Brünnhilde, fremdelnd im Frack

Das erinnert an Popkonzerte, hat aber den Vorteil, dass das feine Minenspiel der Sänger sichtbar wird, das den Spannungsbogen dieser Machtstudie vertieft. Deren Ende ist bitter. Denn Wotan hat sich im Regelwerk seiner Statuten so verheddert, dass er als Herrscher wie als Playboy abdanken muss und seine Welt vergeht.

Funktioniert das Zusammenspiel von Video und Szene im "Rheingold" frappierend gut, so will es in "Walküre" nicht so recht klappen. Das liegt an der, im Vergleich zum lebendig witzigen Vorabend, konventionellen Personenführung. Nun gibt es keine Feinheiten und Geheimnisse zu filmen, die die Geschichte voranbrächten. Zudem werden Partien aus einem sowjetischen Propagandafilm eingeblendet, durch die sich vermutlich jeder Zuschauer gern vom dürren Bühnengeschehen ablenken lässt.

Johan Botha gibt Siegmund, den Wotan-Sohn, Querulanten und Beau - er wird vom Publikum stürmisch gefeiert. Der Jubel dürfte nur Bothas hell angenehmem Timbre und seinen Hochtönen gelten. Denn als Darsteller ist Botha wie immer befremdlich schlecht: Am liebsten hebt und senkt er die Arme. Auch singt er alles so ziemlich gleich, egal, ob von einem Schwert, einer Frau oder dem Frühling die Rede ist.

Mit dieser erratischen Gestalt tut sich die stimmlich wie darstellerisch sehr viel agilere Anja Kampe als Zwillingsschwester Sieglinde schwer. Der schlagartig zwischen beiden aufbrechende amour fou ist daher allenfalls als Karikatur auszumachen.

Dann wird weiter rumgestanden. Franz-Josef Selig spielt bedrohlich und eindringlich Sieglindes ungeliebt derben Unternehmergatten, die Walküren und Wotans Erstfrau Fricka gefallen sich in vermutlich aserbaidschanischer Folklore, und Catherine Foster gibt die Protagonistin, die Brünnhilde, fremdelnd im Frack.

Erst Buhrufe, dann einhelliger Jubel

Offenbar weiß sie nicht so recht, was sie im Kaukasus verloren hat und welche Rolle ihr dort der Regisseur zugedacht hat. Also geht Foster auf Nummer sicher, konzentriert sich auf ihren hellen, zu großen Ausladungen fähigen Sopran. Prompt wird sie nach dem zweiten Akt samt der Todverkündigung ausgebuht (warum?), am Ende aber, so flatterhaft ist die Gunst im Theater, einhellig bejubelt. Doch die Emanzipation der Frau, die Wagner mit der gegen ihren Vater und Weltenherrscher rebellierenden Brünnhilde auf den Weg bringt, fällt aus.

Wolfgang Kochs Wotan hat zuletzt alle Maskeraden fallen lassen. Doch noch einmal, Patriarch bleibt Patriarch, lässt er die Muskeln spielen, straft die geliebte, aufsässige Tochter. Aber dieser wunderbare Sänger lässt stets ahnen, dass er es ernst meint mit dem Verzicht auf die Macht und der damit verbundenen Weltzerstörung.

In welcher Verkleidung, in welcher Zeit, in welchem Umfeld wird er am Montag im "Siegfried" erscheinen? Die Erwartungen sind hoch an Castorfs wild wie Wotan die Weltgeschichte durchschweifende Phantasie.

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