Die "taz" und ihr WM-Boykott:Schwieriges Schweigen

PR-Coup oder Vorbildfunktion? Warum die taz die Leichtathletik-WM boykottiert und was es ihr wirklich bringt.

Marc Felix Serrao

Was macht eigentlich eine Zeitung, die eine WM boykottiert, wenn da ein neuer Weltrekord aufgestellt wird? Einer, über den alle reden? Die Berliner tageszeitung (taz) hat sich am Dienstag für etwas entschieden, das wohl ein Kompromiss sein sollte, im Vergleich zu ihrer sonstigen Berichterstattung aber arg verdruckst wirkte. "100 Meter in 9,58 Sekunden: Kann das mit rechten Dingen zugehen?", stand auf dem Titel - auf vier Zeilen im Inhaltsverzeichnis. Sonst nichts. Auf der Sportseite folgte ein Bericht zu Leichtathletikrekorden im Allgemeinen und ein Interview über das Glaubwürdigkeitsproblem des Sports im Besonderen. Zwei der Fragen betrafen "Usain Bolts neuen Weltrekord". Als wäre die spektakuläre 100-Meter-Bestzeit vom Sonntagabend eine sportjournalistische Randnotiz.

Die "taz" und ihr WM-Boykott: Goldmedaille für Usain Bolt, der 100 Meter in 9,58 Sekunden gelaufen ist: ein Weltrekord, der in dertaznur am Rande erwähnt wurde.

Goldmedaille für Usain Bolt, der 100 Meter in 9,58 Sekunden gelaufen ist: ein Weltrekord, der in der

taz

nur am Rande erwähnt wurde.

(Foto: Foto: Getty Images)

Dass die taz als einziges Medium die Leichtathletik-WM in Berlin boykottiert, ist seit Monatsbeginn bekannt. Nun sieht man die Folgen. Die kleine linke Zeitung (Verkaufsauflage 59.000 Stück), die für provokative, mitunter auch geistreiche Berichte bekannt ist, protestiert gegen die ihrer Meinung nach unrechtmäßige Datenüberprüfung von Journalisten. Diese, so taz-Chefredakteurin Ines Pohl, sei ein "massiver Eingriff" in die Pressefreiheit. In der Erklärung, die alle rund 3.700 akkreditierten Reporter (minus zwei von der taz und plus mehr als 13.000 weitere Leute: Athleten, Busfahrer, Elektriker u.a.) unterschreiben mussten, stimmten sie einer sehr weitreichenden Kontrolle zu, mit Abfragen von Polizei bis Bundesnachrichtendienst. Stefan Thies, Sprecher der Berlin Organising Committee 2009 GmbH (BOC), die die WM ausführt, findet das "völlig üblich".

Peking war viel strenger, die taz war dabei

Aber stimmt das? Richtig ist, dass Journalisten es inzwischen gewohnt sind, bei allen möglichen Anlässen überprüft zu werden. Mal, etwa bei der Hauptversammlung der inzwischen fast vollverstaatlichten Bank Hypo Real Estate, müssen sie nur durch die Metallschranke (dürfen danach aber nicht mitfilmen). Ein andermal, etwa bei der Akkreditierung als Parlamentskorrespondent, stimmen sie zu, dass ihre Daten "zum Zweck der Überprüfung sicherheitsrelevanter Umstände" zum Bundeskriminalamt geschickt werden.

Nimmt man solche deutschen Prüfstandards zum Maßstab, ist der Überwachungsgrad der WM sehr hoch. Nimmt man hingegen die Olympischen Spiele 2008 in Peking, ist er es eher nicht. Dort mussten die Kollegen schon täglich vorm Hotelbus durch die Sicherheitsschleuse; mal durfte das Wasserfläschchen mit, mal nicht, mal musste man einen Probeschluck nehmen. Von der totalitären Begleitmusik, Verhaftungen et cetera, ganz zu schweigen. Nun in Berlin, berichten Kollegen, könnten sie, einmal akkreditiert, fröhlich und kaum kontrolliert im Olympiastadion ein und aus gehen.

"Wir wollen ja nicht den Sport selbst totschweigen"

Auch die taz war in Peking dabei. "Wir haben das damals unter das Redaktionsmotto ,Macht und Spiele' gestellt", erklärt Andreas Rüttenauer, einer der zwei Sportredakteure der Zeitung. "Wir wollten in China beschreiben, wie dieser Staat auf uns wirkt, mit all seinen Repressionsapparaten." Berlin '09 sei damit nicht vergleichbar: "Hier geht es um unseren Rechtsstaat." Und der verdruckste Umgang mit Bolts 9,58 Sekunden? Der Boykott beziehe sich "auf das Event selbst", erklärt Rüttenauer. Er und sein Kollege Markus Völker würden dennoch weiter über Leichtathletik berichten: "Wir wollen ja nicht den Sport selbst totschweigen." Den Verdacht, der Boykott sei womöglich ein PR-Coup von und für Ines Pohl, die erst seit kurzem Chefredakteurin der taz ist, weist der Redakteur zurück. Der "Impuls" dazu sei von ihm und Völker gekommen, und zwar schon im März, als sie das WM-Schreiben erhalten hätten. Damals war Bascha Mika noch Chefredakteurin der taz und habe den Redakteuren Rückhalt signalisiert.

Den hat die Zeitung inzwischen übrigens auch aus dem Parlament erhalten. Neben Petra Pau (Linke) hat auch Hans-Christian Ströbele (Grüne) eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Darin fordert er sie auf, zu erklären, ob sie selbst oder nachgeordnete Bundesbehörden irgendwie am WM-Sicherheitscheck beteiligt gewesen seien. "Ich sehe diese Überprüfung überhaupt nicht ein", sagte Ströbele der SZ. Das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach darauf hingewiesen, dass eine verdachtslose Kontrolle unzulässig sei. Und die Fußball-WM 2006 in Deutschland, bei der auch streng geprüft wurde? Ströbele stimmt zu. Allerdings habe es damals offenbar auch eine Reihe konkreter Bedrohungen gegeben. "Aber jetzt? Weder die Stadt Berlin noch der Bund noch das Berlin Organising Committee haben von irgendwelchen konkreten Bedrohungen gesprochen." Die müssten aber vorliegen. "Ich kann doch nicht einfach sagen: ,In Deutschland ist es gefährlich, in der Welt sowieso, und deshalb müssen alle Menschen kontrolliert werden.'"

BOC-Sprecher Thies bleibt derweil dabei, dass die großangelegte Überprüfung richtig gewesen sei. Immerhin könne man sich nun sicher fühlen: Von den etwa 17.000 überprüften Antragstellern sei seines Wissens keiner abgewiesen worden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: