Die schönsten Kino-Erlebnisse 2008:Unsere magischen Momente

Das Kino schrieb in diesem Jahr überraschende, unverbesserliche und unbequeme Geschichten: Die Tops, die Flops und die "Magic Moments" der SZ-Filmautoren in Bildern. .

8 Bilder

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Quelle: SZ

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Das Kino schrieb in diesem Jahr überraschende, unverbesserliche und unbequeme Geschichten: Die Tops, die Flops und die "Magic Moments" der SZ-Filmautoren in Bildern. .

Das Kino war kein Kinderspiel in diesem Jahr. Weiterhin Besucherrückgang, Herrschaft der Blockbuster, dazu eine unüberschaubar große Menge von Kleinstarts, die DVD-Konkurrenz. Politisches Kino war weiter gefragt, in Europa dominierte da Matteo Garrone mit "Gomorrha", der beim Europäischen Filmpreis abräumte. Was sicher auch Solidarität bekundet mit Roberto Saviano, nach dessen Buch der Film entstand, den die Mafia für seine Insider-Darstellung bedroht. Paul Newman starb 2008, Sydney Pollack und Manny Farber, große Männer des Kinos. Große Augenblicke halten die SZ-Filmautoren fest, magische Momente des perfekten Zusammenspiels und der flüchtigen Improvisation, des kreativen Chaos, der Poesie. Momente, die nur das Kino zum Leben erwecken kann, die das Kino am Leben halten. Dazu je ein Moment der Überraschung und der Enttäuschung. Es war das Jahr, in dem Indiana Jones und Abba ihr Comeback hatten, und die Alten sahen, wie gut sie noch sind im Kino-Kinderspiel.

Szene aus "Gomorrha"/Foto: Filmverleih

(SZ vom 31.12.2008/rus)

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Dialog der Schwerelosigkeit

Es war das Jahr der Männerfilme, der einsamen Krieger. Die größte Provokation aber ging von einer unbarmherzig gutgelaunten, stets bunt gekleideten Grundschullehrerin namens Poppy aus, in Mike Leighs "Happy-Go-Lucky". In einer Welt der Einzelkämpfer leistet diese Frohnatur den vielleicht größten denkbaren Widerstand, indem sie stets auf das Gute im Menschen baut. Das ist harte Arbeit, wie auch die Heiterkeit der Komödie harte Arbeit ist. Einmal läuft Poppy nachts einem betrunkenen, zornigen Penner über den Weg. Der spricht keine Sätze mehr, von seiner Sprache sind nur noch Stümpfe übriggeblieben. Die wirft er Poppy hin, und ein wenig bangt man um die junge Frau, die keine Chance hätte, wenn der Verrückte ausrasten würde. Aber Poppy erfühlt die Bedeutung der Satzstummel und beginnt mit dem fast schon Verstummten einen wunderbar choreographierten, schwerelosen Dialog der Einfühlung. Sie reagiert auch auf alles, was nicht gesagt wurde, lässt die Lebensgeschichte des Penners in sich hinein- und durch sich hindurchfließen und verwandelt so seinen Zorn in Trauer und das Gefühl, verstanden und respektiert worden zu sein. Völlig weltenthoben wirkt diese Szene, Poppy selbst mutet wie ein Findling an, ein rätselhafter Monolith in einer geologisch anders gearteten Welt.

Lust: "Waltz with Bashir", v. Ari Folman

Frust: "Der Tag, an dem die Erde stillstand", von Scott Derrickson

Text: Martina Knoben

Foto: Filmverleih

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Morgen mit drei Pferden

Zu Beginn von "Michael Clayton" gibt es eine Szene, in der George Clooney, der diesen Clayton spielt, auf einer Weide drei Pferden gegenübersteht. Man versteht da schon, dass Clayton in diesem Augenblick eine essentielle Erfahrung macht, hinter ihm ist gerade sein Auto explodiert, aber die Hintergründe erfahren wir erst später - er ist in eine mörderische Intrige geraten, mit der ein Chemiekonzern zu vertuschen versucht, dass er im Mittleren Westen Menschen vergiftet hat, und das nicht mal aus Versehen, sondern aus Gier. Der Film führt dann wieder zu diesem mystischen Moment auf der Weide im Morgengrauen: Ein Mann steht da, zurückgeworfen auf sich selbst, und betrachtet diese wunderschönen Geschöpfe - und ist wieder eins mit sich selbst. Tony Gilroy hat diesen Film geschrieben und inszeniert, aber es ist doch ein Sydney-Pollack-Moment - dieser Film gehörte zu den letzten, die Pollack als Produzent fertiggestellt hat vor seinem Tod, er selbst spielt Claytons Chef. Ein Mann, der im Angesicht eines Pferdes zu sich selbst findet ... Da hallt Pollacks "Der elektrische Reiter" nach, eine andere Geschichte vom Wahnsinn dieser Welt.

Lust: "Die Geschwister Savage", von Tamara Jenkins

Frust: "Die Mumie 3", von Rob Cohen

Text: Susan Vahabzadeh

Foto: dpa

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Requiem für eine Seele

Wie kann sie beginnen, die Geschichte einer großen Karriere, die zugleich eine Tragödie des Pop ist? Sie kann nur so anfangen wie in Thomas Roths unterschätztem biopic "Falco". In Wien, wo die Sixties spießig waren, wächst der kleine Hansi Hölzel heran. Der sensible Junge beginnt, die Schule zu schwänzen. Mit einem Freund treibt er sich in der Stadt herum, staunend verharren sie vor den im Tageslicht trist erscheinenden Reklamen der Bars und Puffs. Eine Dirne, die auch eine Philosophin der Straße ist, scheucht sie weiter mit melancholischen Worten und Blicken. Die Jungs landen dann im Kino, wo Karl Hartls Mozart-Film mit Oskar Werner läuft. Gebannt betrachtet Hansi die Szene, in der Mozart von einem Unbekannten den Auftrag bekommt, ein Requiem zu schreiben für eine Seele ohne Namen. Als der kleine Hölzel wieder zu Hause ist, weiß er mit absoluter Sicherheit, dass aus ihm ein Pop-Star wird. Falco ist geboren an diesem Tag ohne Schule, an dem er alles gelernt hat auf der Straße und im Kino. Auch, dass er in einer Reihe stehen wird mit den schmerzlich-wilden Austria-Genies Mozart und Oskar Werner.

Lust:"Tödliche Entscheidung", von Sidney Lumet

Frust: "The Women", von Diane English

Text: Hans Schifferle

Foto: Filmverleih

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Kopf oder Zahl

Niemand auf dieser Welt, mit dem Anton Chigurh (Javier Bardem) in "No Country for Old Men" noch eine Rechnung offen hat, der ihm eines Tages dumm kam, der einmal ein freches, respektloses oder allzu vertrauliches Wort an ihn gerichtet hat, lebt. Das ist sein Prinzip. Was auch der Besitzer einer Texaco-Tankstelle in West Texas erfahren muss. Er hätte nicht auf dieses Nummernschild schauen, nicht versuchen sollen, Konversation mit dem Fremden zu machen. Jetzt muss er wählen: Kopf oder Zahl. Die Münze liegt schon, von einer schweren Pranke verdeckt, auf dem Tresen. "Ich muss doch wissen, was ich zu gewinnen habe", sagt der Mann. "Alles", sagt der Fremde. Zwei ernstglühende schwarze Augen. Sie starren unter dieser irren Helmfrisur hervor. So also sieht das Schicksal aus, wenn es dir gegenübertritt. Die Szene stammt, Wort für Wort, bis ins Timing der Schauspieler hinein, aus dem Roman von Cormac McCarthy. Auch das ist das Genie der Coen-Brüder: zu wissen, wann man Perfektion nicht verbessern kann.

Lust: "Leg dich nicht mit Zohan an", von Dennis Dugan

Frust: "Palermo Shooting", von Wim Wenders

Text: Tobias Kniebe

Foto: dpa

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Wünschelrute des Schicksals

Unzählige Male hat das Kino von dem Augenblick erzählt, in dem ein unschuldig-naives, in ländlicher Geborgenheit aufgewachsenes Wesen in das Chaos einer Big City katapultiert wird. Mit staunenden Augen, schwankend zwischen Faszination und Erschrecken, wird das babylonische Gewirr der Großstadt wahrgenommen. Vielleicht wurde das Kino dafür erfunden, gerade dieser Schock-Erfahrung Gestalt zu geben. In seinem mystisch-erotischen Zauberspiel "Caótica Ana" formt Julio Medem solch einen Moment. Die achtzehnjährige Ana ist in einer höhlenartigen Behausung auf Ibiza bei ihrem Ex-Hippie-Vater groß geworden. Geborgen, umhegt wie eine Märchenprinzessin. Nun durchstreift sie zum ersten Mal in ihrem Leben die Straßen einer Großstadt (Madrid) und versucht, die Kakophonie der einprasselnden Eindrücke irgendwie zu bändigen. Medem filmt ihre Hände: sensorische Tentakel, die Erdmagnetfelder abzutasten scheinen, und choreographiert ihren Gang als tänzerische Trance. So wird Ana in diesem Augenblick zur Wünschelrutengängerin ihres Schicksals.

Lust: "Vicky Cristina Barcelona", von Woody Allen

Frust: "Buddenbrooks", von Heinrich Breloer

Text: Rainer Gansera

Foto: Filmverleih

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Piano der Phantasie

Dem Gefängnis eines gelähmten Körpers setzt Julian Schnabel in "Schmetterling und Taucherglocke" die Freiheit der Gedanken und die Poesie der Bilder entgegen: "Mir ist gerade aufgefallen, dass außer meinem Auge zwei Dinge nicht gelähmt sind", sagt der mit 42 Jahren nach einem Schlaganfall ans Locked-in-Syndrom ausgelieferte Elle-Redakteur Jean-Dominique Bauby in seinem Krankenbett, "meine Phantasie und meine Erinnerung. Durch sie kann ich meiner Taucherglocke entkommen." Schwerelos entschwebt die Kamera der sterilen Krankenhausatmosphäre, gleitet zu perlenden Pianotönen über Blütenmeere, wogende Wiesen, zarte Insektenkörper, wehendes Frauenhaar, verschneite Pisten, schäumende Wellen ... Aus unscharf transparenten, kippenden, sich überlagernden Bildern komponiert der sonst eher für brachial selbstbewusste Kunst bekannte Maler wie mit dem Aquarellpinsel hingetupft ein erhabenes, völlig unprätentiöses Kunstwerk, und lässt das Allerschwerste leicht und luftig erscheinen.

Lust: "Wall-E", von Andrew Stanton

Frust: "Jugend ohne Jugend", von Francis Ford Coppola

Text: Anke Sterneborg

Foto: Filmverleih

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Krümel der Liebe

Der endgültige Kuss in "My Blueberry Nights". Jude Law beugt sich über Norah Jones, die in seinem Lokal eingeschlafen ist, den Kopf auf die Theke gelegt - ein Krümel im Mundwinkel... Ein Schlüssel-Moment, hingetupft, pointillistisch, Wong Kar-Wai immer noch in the mood for love. Nur tangential kann es die Liebe geben, die Erfüllung, die Gemeinschaft, das Glück.

Lust:"Couscous mit Fisch", von Abdellatif Kechiche

Frust: "Räuber Kneißl", von Marcus H. Rosenmüller

Text: Fritz Göttler

Foto: afp

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