Die Rettung des Fernsehens:Zielloser Stress

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Erotisch wie Nastassja Kinski, mondän wie Monaco Franze, lustvoll schmutzig wie Schimanski: Philosoph Robert Pfaller findet, dass Fernsehen wieder mondän werden soll.

Lars Albaum

Fernsehen lügt? Altlinker Blödsinn. Fernsehen macht dumm? Althergebrachter Bildungsbürgerschmarrn. Dem Fernsehen fehlt die Lust? Interessant. Die These stammt von Robert Pfaller. Der 46-Jährige ist seit Jahren ein aufmerksamer, in der Kulturtheorie, Philosophie und Psychoanalyse gleichsam geschulter Beobachter. Pfallers Betrachtungen der Gegenwartskultur flossen 2008 in das Buch "Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft". Darin fragt der Österreicher, warum sich eine "reine Vernunft" heute so heftig gegen Dinge wehrt, die noch vor wenigen Jahren als mondän empfunden wurden? Wie vernünftig, argumentiert er, kann eine Vernunft sein, die sich in ästhetischer Hinsicht mehr und mehr um ihre Lust bringt? Konkreter: Warum ist das laszive Bitten um Feuer heute genauso verpönt wie das aparte Ritual "Einen fremden Mann im Schuhgeschäft fragen, ob die anprobierten Schuhe nicht etwa ein bisschen nuttig aussehen?"

Früher lieferte Nastassja Kinski (mit Christian Quadflieg) im Tatort "Reifezeugnis" noch erotische Mythen, heute fehlt dem Fernsehen nach Pfaller der spielerische Umgang mit Erotik. (Foto: Foto: NDR)

Und das Fernsehen? Über die mangelnde Qualität der Programme wird schon immer geklagt. Doch fehlt dem Fernsehen nur der Mut der Macher, oder ist es doch mehr: eine Kulturmisere?

Robert Pfaller schmunzelt. Das tut er gerne und oft. "Für mich vermittelt Fernsehen momentan zielloser Stress", sagt er. "Es scheint, als ob der angestrengte Versuch, Langeweile zu vermeiden, gerade erst Langeweile produziert. Es verhält sich wie in der Zwangsneurose: Genau das, was die Leute vom Switchen, dem ständigen Umschalten, abhalten soll, veranlasst sie dazu. Weil es keine Rhythmen von Spannung-Entspannung, sondern nur stagnierende Hektik gibt." Pfaller sagt, er habe in seiner Jugend auf zwei Kanälen mehr Qualität bekommen : "40 Kanäle Nichtigkeit schaffen keine Erzählbarkeit. Alle haben zwar etwas Ähnliches, aber nicht dasselbe gesehen, worüber sie sich unterhalten könnten."

1976 startete im österreichischen Fernsehen die Talkshow Club2, für Pfaller ist die Sendung bis heute ein Muster dafür, wie ein einzelner Gast relevante Probleme thematisieren konnte - Fernsehen als Ideal von Öffentlichkeit: "Da gab es zum Beispiel die Hausmeisterin, die den Minister fragte, warum sie so wenig verdient. Das Tolle daran war, dass die Sendung um 22.30 Uhr begann, und nach dem Open-End-Prinzip zur Not bis tief in die Nacht diskutiert werden konnte."

Mitte der neunziger Jahre stellte der ORF dem Club ein, 2007 kehrte er wieder ins Programm zurück, die Avantgarde wurde Teil der Beleibkeit. Die Ästhetik war anders, Pfaller erinnert sich an die "mondän" verrauchte Wohnzimmeratmosphäre von früher. Heute, sagt er, werde alles hell ausgeleuchtet, und das Gesagte wirke "unentspannter".

Überhaupt das Mondäne, sagt Pfaller. Gab es früher einen Kanzler Helmut Schmidt, der in Talkshows ketterauchend den würdevollen Weltpolitiker inszenierte, reüssierten heute nur noch politisch korrekte Kleindarsteller in mittelmäßigen Anzügen, die gepresste Allgemeinplätze verbreiten.

Auch das fiktionale Fernsehen scheint den Zauber des Mondänen verloren zu haben. Mit Wehmut blickt Pfaller zurück auf eine Figur wie den Monaco Franze. Helmut Dietls Held verkörperte in den Achtzigern den Inbegriff des nonchalanten Müßiggängers, der sich nur von seiner Libido, seinem Spatzerl und blauweißer Gemütlichkeit treiben ließ. Die Folge: Der Zuschauer konnte über den Helden lächeln, aber liebevoll. Und niemand nahm dem ewigen Stenz seine Vielweiberei auch nur ansatzweise übel.

Doch gerade dieser spielerische, lustvolle Umgang mit Erotik - nicht zu verwechseln mit Pornographie - fehlt dem erzählerischen Fernsehen inzwischen. Lieferten früher Nastassja Kinski in Reifezeugnis oder Kim Basinger in 9 1/2 Wochen noch erotische Mythen, so erscheint das gegenwärtige Fiktionale fast postsexuell. "Durch den Verlust der Erotik im Spielfilm kommt es zu einem gleichzeitigen Verlust der mythologischen Identifikation", sagt Pfaller. "Sexualität liefert plötzlich kein gesellschaftliches Modell mehr, sie verschwindet in den Nachmittags-Talkshows. Hier werden die Protagonisten dann, ähnlich den Tieren im Zoo, nur noch mit Neugier und Abscheu betrachtet."

Lesen Sie auf Seite 2, was Freud mit CSI zu tun hat.

Keine Frage: Wenn Kevin erzählt, daß er mit Jacqueline zusammen war, aber gleichzeitig mit Doreen gevögelt hat, besitzt dies nichts mehr vom lustvollen Imaginären. Sexualität verkommt vielmehr zu einem gefallenen Gut, mit dem kein kultivierter Mensch mehr etwas zu tun haben möchte. Eine in diesem Zusammenhang interessante Tatsache: Setzten die Privatsender am Anfang ihres Schaffens noch auf ein buntes, wenn auch zum Teil trashiges fiktionales Erotikprogramm, haben sie dieses heute fast vollständig aus ihrem Programm verbannt; stattdessen gibt es Bikini-Castings am Strand und Dokus aus dem Swingerclub. Ausgerechnet das ZDF hält mit den milden montäglichen Sommernachtsphantasien als letzter Sender noch an der Kraft des Erotischen fest.

Woher aber rührt die immer weiter verbreitete Genußfeindlichkeit? Hier bringt Pfaller den Wiener Vater der Seelenforschung und seine Theorien des Analen ins Spiel. Sigmund Freud behauptete, kulturelle Analität setze an die Stelle verpönter Lust eine sich als Tugendhaftigkeit aufspielende Abwehr dagegen. Diese Abwehr ist zwar nicht mehr so deutlich lustvoll, erlaubt aber auffälligerweise dasselbe Maß an interessierter Beschäftigung mit dem Schmutz.

Pfaller hat im Fernsehen ein anschauliches Beispiel parat: die äußerst erfolgreiche amerikanische Krimiserie CSI. In ihrem "Schmutz der Spuren" sieht er eine klare Brücke zu Freudschen Gesetzen der Analerotik: "Anders als in früheren Zeiten wird Verbrechen nicht mehr auf seinen sozialen Tatbestand hin überprüft, eben entsprechend dem Gedanken, daß der Verbrecher nur durch die Gesellschaft kriminell wird. Stattdessen werden naturwissenschaftlich generierte Fakten in den Mittelpunkt gerückt. Die Helden sind reine, strenge Seelen, die sich ganz der positivistisch motivierten Spurensuche hingeben. Das Sezieren sterblicher Überreste dient in Wirklichkeit der Verschließung und Abwehr weitaus ekligeren und bedrohlicheren Fragen, nämlich denen nach der gesellschaftlichen Dimension des Verbrechens."

Vorbei also die Zeiten, als die Vorzeichen im deutschen Tatort noch umgekehrt daherkamen: Ein sich lustvoll schmutzig gerierender Horst Schimanski suchte sehr vehement nach dem "sozialen" Verbrechen.

Ein weiteres, die Freude am Spielerischen einschränkendes Phänomen ist für Pfaller der zunehmende gesellschaftliche Narzissmus. Dieser rufe unter anderem eine ich-konforme, asketische Feindseligkeit gegenüber unerreichbaren Idealen hervor. Etwa dem Ideal des glamourösen Stars. Pfaller denkt an die Ära von Diven wie Gina Lollobrigida oder Sophia Loren zurück, die heute wie nostalgische Reliquien durchs Programm gereicht werden: "Im kulturellen Narzissmus wird der Star feindselig betrachtet, weil er uns etwas voraus hat. Früher gab es eine spielerische Freude, mit dem Ideal einer Brigitte Bardot zu wetteifern und, wenn nötig, zu verlieren." Eine narzisstische Gesellschaft hingegen reagiere gekränkt auf die Grandezza echter Stars. Damit aber, so Pfalle, verkneife sie sich ein wertvolles Recht: "zu träumen".

Die Konsequenz ist bekannt. Den Bildschirm bevölkern Durchschnittstypen, die selbst durch eine aufgeblasene Deutschland sucht den Superstar-Kulisse nicht ansatzweise Glamour ausstrahlen. Ähnlich, sagt Pfaller, verhalte es sich mit dem Humor. Auch hier werde nicht selten Verzicht auf Vergnügen zugunsten einer oft eitlen Vernunft geübt. Nicht nur 3sat- und Arte-Moderatoren unterliegen ihm zufolge gerne dem Trugschluß, dass Lustiges nicht wahrheitsfähig sei: "Da herrscht ein fataler Irrtum, dahingehend, daß Humor ein Privileg derer sei, die sich über das Leben keine Sorgen machen müssen. Das Gegenteil ist der Fall."

Was wünscht sich Robert Pfaller vom Fernsehen? "Mit Sicherheit eine gewisse Entschleunigung und mehr Mut zur Einfachheit auf hohem Niveau. Das augenblicklich vorherrschende schnelle, gewinnorientierte Kopieren von Erfolgsformaten schafft im Grunde nur einen geringfügigen Vorteil, aus dem schnell ein großer Nachteil werden kann."

Aber wie klug kann eine Massenkultur sein? Unterschätzen die Macher ihr Publikum, wenn sie "Fernsehen für die Bäckereifachverkäuferin" machen? Ein Satz, den Kreative in den letzten Jahren oft zu hören bekamen.

Pfaller nickt: "Ich hatte kürzlich zwei Auftritte in sehr spät ausgestrahlten, ambitionierten Kultursendungen. Auf das eine sprach mich eine chinesische Kellnerin an, auf das andere meine kroatische Hausmeisterin." Da schmunzelte Herr Pfaller und bestellte noch: einen weißen Spritzer.

© SZ vom 22.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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