Die Pioniere der Wetterkunde:Wieso die Wolken schweben

In "Das Wetterexperiment" erzählt Peter Moore von den Anfängen der Meteorologie, die Wissenschaftler und Künstler vereint den Himmel studieren ließ.

Von Harald Eggebrecht

Um 1800 war das Wettergeschehen noch völlig rätselhaft und unbegreifbar: "Als Horatio Nelson vor Trafalgar auf dem Achterdeck der Victory stand, verfügte er über keine wissenschaftliche Methode, um die Windstärke zu messen." Oder: "Der junge J. M. W. Turner, der sich damals einen Namen als Landschaftsmaler zu machen begann, hatte keine Worte, um die Wolken zu beschreiben, die er malte, noch hätte er erklären können, weshalb sie in der Luft schweben konnten." Oder: "Obgleich Mary Shelley den Sturm in der Hochzeitsnacht von Viktor Frankenstein aufs Eindrücklichste beschrieb, wusste sie nicht, was ein Sturm wissenschaftlich betrachtet eigentlich war, wie er funktionierte oder wie er entstand."

Peter Moore erzählt in seinem Buch "Das Wetterexperiment" - eloquent und facettenreich übersetzt von Michael Hein, wobei der Band leider nicht druckfehlerfrei ist -, wie diese Fragen gelöst wurden und welche Personen daran beteiligt waren, aus der bis dahin hilflos poetischen Phrase vom göttlichen Firmament zu einer erkennenden Wissenschaft der Meteorologie zu gelangen, der wir den täglichen Wetterbericht in Radio, Fernsehen oder auf dem Mobiltelefon verdanken. Moores Generationen übergreifendes "Wetterexperiment" kennt vier Stufen: Sehen, Anzweifeln, Experimentieren, Überzeugtsein.

Seit 1848 haben auch Schriftsteller die Meteorologie in Romanen genutzt

Die Beobachtung des Himmels und der Wetterphänomene sowie der Blick auf die diversen Thermo-, Hygro- und Barometer leiten den Beginn schönster und wildester Theorien ein, wie es denn zu einem Sturm kommen kann, was sein Wesen sei und wie er sich bewegt. Es ist eine imponierende Phalanx von Wolkenguckern, Regenmessern, Sturmvögeln, Winderklärern und Atmosphäre-Pionieren, die im ausgehenden 18. und dann im 19. Jahrhundert gewissermaßen das Wetter erfunden haben. Aus unzähligen Eigen- und Fremdnotizen beim Betrachten der Wettergeschehnisse haben sie jene Erscheinungen zu erklären versucht, die heute Basis jeder Wetterprognose sind. Seit 1848 haben auch viele Schriftsteller die Erkenntnisse dieser großen Meteorologen in ihren Romanen benutzt, um ihren Protagonisten passendes Wetter zu bescheren, wie Friedrich Christian Delius in seiner amüsanten Untersuchung "Der Held und sein Wetter" nachgewiesen hat.

John Constable

Nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Künstler zählten zu den sorgfältigen Himmelsbeobachtern des 19. Jahrhunderts: eine Wolkenstudie in Hampstead des Malers John Constable, Royal Academy of Arts, London.

(Foto: Royal Academy of Arts, London)

Um nur ein paar Namen von Moores Wettergöttern zu nennen: Francis Beaufort und seine Windstärkentabelle von null bis zwölf, Luke Howard und seine Klassifizierung der Wolkentypen, William Redfield und seine Analyse zentrifugaler Winde, also der Wirbelstürme, William Reid und sein Buch "Law of Storms", und andere mehr. Natürlich sind nicht Portalfiguren zu vergessen wie Benjamin Franklin und sein Blitzableiter oder Alexander von Humboldt als philosophischer Feldforscher und damit Vorbild für Charles Darwin und seinen Kapitän Robert FitzRoy, den späteren Admiral britischer Meteorologie.

Es sind heroische Geschichten, die Moore von diesen Männern berichten kann, die ihr ganzes Leben dem bis dahin so unverständlichen Wettergeschehen widmeten, mit kühnen Experimenten, strapaziösen Einsätzen zu Lande und zu Wasser, dabei unbeirrbar und unverdrossen. Moore bringt diese großartigen Forscher so nahe, dass man oft die Böen zu spüren meint, denen sie sich stellen, die Nässe der Regenfälle, die sie erdulden, oder die Kälte der Schneelandschaften, denen diese "Liga außerordentlicher Gentlemen" ihre ganze Aufmerksamkeit widmete.

Moore führt auch ins Persönlich-Private der Koryphäen, soweit es für ihre "Bestimmung" wichtig ist. Er zeichnet die Beziehungsnetze zwischen ihnen nach, die sich manchmal über Jahrzehnte hin zwischen Amerika, England und dem europäischen Festland erstreckten. Er schildert die erbitterten Fehden zwischen den amerikanischen Wirbelsturmfanatikern William Redfield und James Espy, oder zwischen dem Arzt Charles T. Jackson und Samuel Morse um die Urrechte an der Idee und Erfindung der elektrischen Telegrafie. Hatte nicht Jackson einst auf der Sully Morse erstmals etwas über Elektrizität erzählt, bevor der auf den Trichter seines telegrafisch übermittelbaren Alphabets kommen konnte? Der Telegraf wird zum entscheidenden Faktor in der Entwicklung des "Wetterexperiments", weil durch ihn die Fülle von Messdaten und Beobachtungen in Sekundenschnelle über große Strecken hinweg transportiert werden kann, aus denen heraus überhaupt erst ein Bild des Wettergeschehens entstehen kann und daraus eine Prognose gewonnen wird.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch Das Wetterexperiment stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Peter Moore erzählt wahrhaft romanhafte Lebensläufe, die dennoch zu exakten wissenschaftlichen Ergebnissen führen. Sein Buch ist selbst der Roman einer allmählich sich über Kontinente, Sprachen und Zeiträume hinweg zusammenfindenden Synthese ganz unterschiedlicher Ansätze, die zum Verständnis dessen hinleiten, was Wetter denn sei. Da Moore viel zitiert aus den Schriften seiner Abenteurer der Meteorologie, aber auch ihrer zeitgenössischen Kritiker, entstehen jene suggestive Spannung und atmosphärische Dichte einer ganzen Epoche und ihres Zeitgeistes, wie sie englischsprachige Sachbuchautoren so vortrefflich erzeugen können, ohne deshalb in der Sache unscharf oder gar schlampig zu sein.

Bei seinen Kunden hatte John Constable nicht immer Glück mit seinen exakt gemalten Himmeln

So kann man also den vierzehnjährigen Francis Beaufort erleben, wie er in einem Winter in Dublin wach liegt und in die Nacht schaut: "Auf einem Pergamentschnipsel notierte er unter der Überschrift ,Beobachtung von Francis Beaufort', was er beobachtete: ,Am 12. Dez. 1788 kurz nach 11 Uhr sah ich einen Kreis um den Mond in einer Entfernung von 8 oder 9 Fuß die Breite betrug einen Halb(messer) des Mondes er bestand aus drei Tönen, wovon der nächste zum Mond von leuchtend violetter Farbe war, der nächste von hellem Rot und der nächste von grünlichem Gelb.'" Oder wir erleben den großen Landschaftsmaler John Constable, der auch Himmel und Wolken beobachtungsgetreu realistisch malte. 1814 reichte er sein Bild "Landscape Ploughing Scene in Suffolk" bei einer Ausstellung ein. Es gefiel dem Kunstsammler und Weinhändler John Allnutt, er kaufte es. Zum ersten Mal verkaufte Constable damit ein Bild außerhalb seines Freundeskreises. Er hat später Allnutt daher besonders gelobt - er hätte ihn ermuntert, weiter auf dem Weg landschaftlicher Wahrhaftigkeit zu gehen. Constable ahnte nicht, dass Allnutt ausgerechnet an dem Teil mäkelte, auf den der Maler so stolz war: "Mir gefällt die Lichtwirkung des Himmels nicht recht." Allnutt sagte Constable nichts davon, aber er ließ dessen so genau wiedergegebenen Himmel von einem anderen übermalen!

Peter Moore: Das Wetterexperiment. Von Himmelsbeobachtern und den Pionieren der Meteorologie. Aus dem Englischen von Michael Hein. mareverlag, Hamburg 2016. 560 Seiten, 26 Euro.

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