Die Oscar-Nacht:Unter Siegern

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Etwa 150 Deutsche haben sich in der Hollywood-Villa des Regisseurs Roland Emmerich versammelt - wild entschlossen, diese Oscar-Verleihung zu ihrer zu machen.

Tanja Rest

Los Angeles, 26. Februar - Er hatte angekündigt, dass er für Deutschland die Goldmedaille holen will. Und als um kurz nach 19.30 Uhr Ortszeit oben auf der Bühne des Kodak Theatre Cate Blanchett den Umschlag öffnet, hinreißend lächelt und "Germany" sagt, "Germany with ,Lives of Others'", da erhebt sich ein paar Kilometer weiter in den Hollywood Hills ein so gewaltiger Aufschrei, als wäre gerade der Siegtreffer im WM-Finale ins Netz gegangen.

Florian Henckel von Donnersmarck und sein Oscar. (Foto: Foto: Reuters)

Früher Abend. Etwa 150 Deutsche haben sich zur Oscar-Nacht in der Villa des Regisseurs Roland Emmerich versammelt. Emmerich selbst ist noch in London, bei der Postproduktion seines nächsten Films - "aber als ich ihm gesagt habe, wir sind nominiert, wir brauchen doch einen Platz zum Feiern, da hat er sofort zugestimmt", erzählt seine Schwester. Und nun sind also alle da: Die Produzenten des Films, die Geldgeber, Schauspieler, Kostümbildner, Cutter, der größte Teil des Teams - wild entschlossen, diesen Abend zu ihrem zu machen.

Das lange Warten

Sechs Flachbildschirme sind über das Erdgeschoss und die beiden Terrassen verteilt. Draußen stehen die Menschen in luftiger Abendgarderobe am Heizstrahler, trinken Champagner und haben kaum einen Blick für die Bilder vom roten Teppich, die großen Schauspieler in den großen Roben. "Da ist der Florian!", schreit jemand.

Alle fahren hoch und klatschen - die hünenhafte Gestalt von Florian Henckel von Donnersmarck ist eine Zehntelsekunde lang hinter den nackten Schultern von Cameron Diaz aufgeblitzt. Woran man schon sehen kann, dass dies noch keine Party ist, und schon gar keine Party, die sich dem Oscar generell verschrieben hat. Sondern ein Countdown, der auf diesen einen Moment zusteuert.

Die Schauspielerin Susanne Lothar knabbert nervös an den Fingernägeln. Donnersmarcks Produzent Quirin Berg sieht ungerührt zu, wie eine glückliche Jennifer Hudson mit dem Oscar für die beste weibliche Nebenrolle von der Bühne stöckelt: "Scheiße, Leute: Wann kommen wir?"

19.30 Uhr. Fast könnte man vergessen, dass an diesem Abend nicht weniger als 25 Exemplare des wichtigsten Filmpreises der Welt vergeben werden, so hoch ist der Lärmpegel, so gering die Aufmerksamkeit für das, was auf dem Bildschirm geschieht. Und dann wird es auf einen Schlag totenstill in den Hollywood Hills. Im Salon geht die Musik aus. Einander wildfremde Menschen fassen sich bei den Händen. Und der Schauspieler Udo Kier, der den ganzen Abend noch keinen Satz geredet hat, sagt dieses eine schmale Wort: "Wahnsinn."

Das Rennen, so hat man das zuletzt in den amerikanischen Medien lesen können, wird zwischen zwei Filmen entschieden werden: "Das Leben der Anderen" und "Pans Labyrinth" - mit leichten Vorteilen für "Pan", der noch in fünf anderen Kategorien nominiert ist und zu diesem Zeitpunkt bereits zwei davon gewonnen hat. Auf dem Bildschirm surrt nun eine Zusammenschau fremdsprachiger Filme vorbei, die bereits den Oscar gewonnen haben; "Die Blechtrommel" ist dabei, "La Strada", "Die amerikanische Nacht" oder auch "Cinema Paradiso".

Es herrscht absolute Stille im deutschen Haus.

Und dann kommt Cate Blanchett, die das Publikum auf der Berlinale gerade so sehr von sich eingenommen hatte. Sie öffnet den Umschlag, liest vor, und als sie fertig ist, ist die konzentrierte Festivität im Haus von Roland Emmerich mit einem Schlag eine wirkliche Party.

Florian Henckel von Donnersmarck hat diesen Film gegen alle Widerstände durchgeboxt, vom Prinzip her fanden ihn alle gut, doch die wenigsten wollten an ihn glauben. Und nun hat der 33-Jährige tatsächlich den Oscar geholt. Während der DJ "We are the Champions" auflegt, folgt dem Jubel langsam Fassungslosigkeit. "Das gibt's doch nicht", sagt einer und zieht fiebrig an der Zigarette. Wer den Oscar für die beste Hauptrolle oder den besten Film geholt hat, kriegen die meisten nicht mehr mit. Denn nun folgt das große Warten.

Groß und atemlos

Kurz vor Mitternacht kommen die Hauptdarsteller Sebastian Koch und Ulrich Mühe. Mühe, der ungläubig lächelt, trägt einen Schokolade-Oscar in Goldpapier in der Hand. Nach einigen Schulterklopfern sitzt er draußen auf der grünumwucherten Terrasse ganz alleine auf dem Sofa und strahlt. Er sagt, dass die Amerikaner das können wie sonst niemand - eine große Show so zu inszenieren und zu feiern, dass man sich wirklich geehrt und gemeint fühle. Er sagt, dass er auf dem Roten Teppich Clint Eastwood getroffen habe, "und ich habe ihm gedankt für all die Filme, die ich von ihm sehen durfte, das war mir ein Anliegen". Da sieht er aus wie einer, der noch nicht wirklich begriffen hat, was ihm da passiert ist.

Eine Stunde später fährt die Stretch-Limousine mit Florian Henckel von Donnersmarck in der Auffahrt vor und wird sogleich von Kamerateams verschluckt. Hinter den Umrissen hektischer Bericht-erstatter kann man nur sehen, wie er sich aus dem Rücksitz schält - Anzug zerknittert, Fliege offen - und beide Arme hochreißt mit dem Oscar darin. Er lacht. Es ist ein ganz anderer Auftritt als der von Ulrich Mühe. Triumphal, extrovertiert. Sich seiner selbst und der Situation sicher. Der Auftritt eines Mannes, der für Deutschland den Pokal holen wollte und Wort gehalten hat.

Es dauert dann nochmal zwei Stunden, bis die Zurufe der Fotografen, die Umarmungen und Freudenschreie der Weggefährten verebbt sind und man neben ihm sitzt, in der schönen, stillen Bibliothek von Roland Emmerich. Er hält den Oscar umklammert, als hätte es für die Trophäe nie einen anderen Platz gegeben. Der Regisseur Werner Herzog hat ihm am Tag zuvor ein Buch geschenkt mit der Widmung: "Lieber Florian, ich gratuliere Ihnen von Herzen zum Oscar, den Sie morgen gewinnen werden - keiner hat ihn so verdient wie Sie."

Er sagt: "Es ist phantastisch." Und dass er, als dieser Zusammenschnitt der bes-ten fremdsprachigen Filme lief, begrif-fen habe, was für eine große Sache das ist. "Dass ich da womöglich in einer Reihe stehe, auf Augenhöhe mit Fellini, Tornatore, Truffaut und all den anderen." Wie er seinem großen Konkurrenten, dem Regisseur Guillermo del Toro von "Pans Labyrinth", Minuten zuvor die Hände gedrückt habe und sie sich gegenseitig Glück wünschten - "was aber natürlich nicht ganz ernst gemeint war . . ." Man sieht ihn noch einmal aus seinem Sitz aufspringen, auf die Bühne rennen, und wie er da stand, groß und atemlos. Wie er "Bayern" dankte für die Rückendeckung und Arnold Schwarzenegger zitierte, "der mir beigebracht hat, dass die Worte 'I can't' nicht existieren."

Die Schelte des Bruders

Wann er zum ersten Mal geglaubt habe, dass er den Oscar gewinnen würde, hat ihn draußen ein TV-Reporter gefragt. Der Mann meinte eigentlich: Tage oder Sekunden vor dem Sieg? Donnersmarck antwortete: "Vor elf Jahren." Zusammen mit seinem Bruder hat er damals auf der Filmhochschule einen Kurzfilm gedreht, "Das Datum" hieß er. Als der Mann, der ihnen das Kamera-Equipment lieh, den Plot hörte, sagte er: "Da will ich dabei sein, damit gewinnen Sie den Oscar."

Donnersmarck sagte: "Mit dem Film nicht, aber den Oscar hol' ich schon nochmal." Worauf ihn sein Bruder beiseite nahm und fragte: "Wie kannst du so was sagen? Das klingt wie zwei Jungs, die einen Experimentierbaukasten geschenkt bekommen haben und den Nobelpreis für Physik gewinnen wollen." Er hat sich damals geschämt und dem Bruder rechtgegeben. "Aber tief drinnen im Herzen habe ich trotzdem geglaubt, dass ich ihn gewinne, irgendwann."

Nun hat er ihn und beginnt dennoch erst zu erahnen, was das eigentlich bedeutet. Für seine Karriere, für ihn selbst. Hinterher auf dem Governor's Ball hat ihm Steven Spielberg prophezeiht: "Florian, you'll never get over this" - darüber wirst du niemals hinwegkommen. Viele andere Leute haben ihm ebenfalls gesagt, er werde in Zukunft immer der Oscar-Gewinner sein, und seine Kinder die Kinder des Oscar-Gewinners.

"Als Hypothek würde ich diesen Preis nicht bezeichnen", sagt er. "Ich hab' so viel Energie darauf verschwendet, den Film produziert zu bekommen - die Energie kann ich mir beim nächsten Film dann hoffentlich sparen für den kreativen Prozess." Dass dieser nächste Film nicht viel besser sein werde als "Das Leben der Anderen", aber bestimmt auch nicht viel schlechter, sagt er noch. Dann knallt die Tür auf, Kamerateams stürmen herein, Donnersmarck hält den Oscar hoch und lacht.

Drei Uhr morgens. Von der Südseite des Emmerich-Anwesens hat man einen spektakulären Blick über Los Angeles. Ein Lichtermeer. Bis auf die Helikopter, die noch immer knatternd über dem Kodak Theatre kreisen, scheint die Stadt völlig unberührt. Die Überreste der deutschen Siegerparty kauern nun unter dem letzten funktionstüchtigen Heizstrahler zusammen; sie haben lange auf den Star des Abends warten müssen.

Ulrich Mühe ist schon gegangen, doch auf dem Kaminsims im Wohnzimmer steht noch sein Schokolade-Oscar. Er hat unter der Nähe des Feuers ein bisschen an Statur verloren. Aber alle paar Minuten kommt jemand vorbei und küsst ihm die Goldfüße.

© SZ vom 27.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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