Die Manns:Eine Weltfamilie

Manfred Flügge erzählt noch einmal das "Jahrhundert der Manns" - er tut dies solide und zuverlässig, aber leider auch sehr konventionell. Das Jahrhundert selbst kommt nicht zur Sprache. Auch fehlt es an eigenständigem Urteil.

Von Gustav Seibt

Von Thomas Manns "Buddenbrooks", erschienen 1901, bis zu Heinrich Breloers halbdokumentarischer Filmsaga im Jahre 2001 spannt sich das Jahrhundert der Manns. Manfred Flügge, der diese Geschichte jetzt zu einem kleinen Gedenkjahr - 2015 ist an den 140. Geburtstag Thomas Manns zu erinnern und an seinen 60. Todestag - ein weiteres Mal erzählt, betritt keineswegs unbeackerten Boden. Das Material zu allen Beteiligten, den Brüdern Heinrich und Thomas ohnehin, aber auch zur hochbegabten zweiten Generation, ist überreich. Das wichtigste Lob, das man Flügge geben muss: Sein Buch ist kurz und übersichtlich geblieben, ohne dass er viel Wichtiges ausgelassen hätte.

Ob seine Erzählung allerdings Lesern viel sagt, die nicht wenigstens ein paar der Wälzer gelesen haben, mit denen die Manns sich in die Literaturgeschichte eingetragen haben, kann man bezweifeln. Solche Leser aber werden eher die biografischen Übersichten schätzen, während die summarischen Werkbeschreibungen für sie überflüssig sind. Die Josephs-Romane von Thomas Mann werden einmal mehr als "Gebirge" bezeichnet: "Die Lesenden müssen das Satzgelände in eigene Lebenszeit verwandeln, nachdem der Autor seine Arbeitszeit darin verdichtet hat." Solcher Zeitstoffwechsel findet beim Lesen übrigens meistens statt.

Flügge, der eine lesenswerte Biografie von Heinrich Mann verfasst hat, bleibt immerhin durchweg zuverlässig. Zuweilen hat er auch eigene Meinungen, so findet er Thomas Manns Klimakteriums-Novelle "Die Betrogene" im Gegensatz zu einem verbreiteten Urteil kühn und gelungen. Wir schließen uns gern an. Recht hat der Chronist, wenn er feststellt, dass erst das Exil seit 1933 die Manns zu einem Clan zusammengeschweißt und dann auch zu einer "Weltfamilie" gemacht habe. Ohne die große Geschichte des Jahrhunderts ist diese Familiengeschichte nicht zu verstehen.

Leseprobe

Einen Auszug des Geschichtsbandes stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Doch leider kommt das Jahrhundert dann doch nicht recht zur Sprache. Das Zeitalter wird nicht besichtigt. Gelegentlich denkt man, der Autor hätte besser getan, nicht die gut bekannten Lebensbahnen der Protagonisten nachzuzeichnen, sondern seine Geschichten nach Jahrhundertproblemen zu sortieren: Bürgerlichkeit, Krieg, Republik, Juden, Sexualitäten, Deutschland und die Deutschen. Zu jeder dieser Fragen haben die Manns die unterschiedlichsten Antworten entworfen - für eine solche prismatische Sicht hat Flügge nur Ansätze. Für solche formale Herkömmlichkeit aber liefert seine solide Bestandsaufnahme dann doch zu wenig eigenständiges Material und Urteil. Wer die Häufung psychischer Katastrophen vor allem unter den Kindern Thomas Manns bedenkt, wird Flügges Ton sogar unangemessen harmlos finden.

Manfred Flügge: Das Jahrhundert der Manns. Aufbau-Verlag, Berlin 2015. 416 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 17,99 Euro.

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