Die Macht der Medien:Schatz, draußen stehen komische Leute

Die Bloßstellung im Fernsehen und im Internet erinnert an die Tradition des mittelalterlichen Prangers. Nur sind die Methoden der Gegenwart noch gnadenloser.

Joachim Käppner

Die Frau, die hier gefangen und gebunden steht, mit Namen Katharina Schloßstein, das eheliche Weib Hans Stetters, hat den Namen Gottes mit greulichen, erschrecklichen Flüchen, schwerer Lästerei und durch Verachtung seines heiligen Wortes, Sakraments und Predigtamts mißbraucht.

Die Macht der Medien: Guten Morgen, Herr Zumwinkel! Kameras vor der Kölner Villa des öffentlich verhafteten Postchefs.

Guten Morgen, Herr Zumwinkel! Kameras vor der Kölner Villa des öffentlich verhafteten Postchefs.

(Foto: Foto: dpa)

Darum haben die Richter und Räte dieser Stadt beschlossen, dass sie wegen solch schlechten Handelns folgende Strafe sehr wohl verdient, nämlich dass man sie jetzt bald an den Pranger stellt, damit sich andere leichtfertige, rohe und gottlose Leute in ihr wiedererkennen."

So erging es im Jahre 1574 der beklagenswerten Badersfrau Katharina Schloßstein in Schwäbisch Hall, einer reichen Stadt, die noch heute mit viel Fachwerk, engen Gassen und alten Mauern ein Spitzweg-artiges Bild der Behaglichkeit vermittelt. Für die Angeprangerte ist es ihre Heimat, in der sie nun zutiefst gedemütigt wird, wegen angeblicher Lästerung Gottes. Marktfrauen und Passanten bespucken sie, eben war sie noch die ehrbare, respektable Bürgerin, sie bewerfen sie mit fauligen Kohlköpfen, singen höhnische Lieder.

Katharina steht am Pranger. So wie Klaus Zumwinkel? Als Steuerfahnder ihn vergangene Woche vor laufenden Kameras aus seinem Haus führten, hieß es in vielen Zeitungen: "Postchef steht am Pranger." Angeprangert fühlen sich auch Lehrer, Vorgesetzte, Schüler, deren Mitmenschen sich eine Freude daraus machen, Fehlleistungen oder peinliche Situationen via YouTube im Internet vorzuführen.

In Katharinas Zeit meint man das Anprangern noch wörtlich. Der Pranger ist entweder ein Schandpfahl, von dem Eisenketten baumeln, an die der Sünder anzuschließen ist. Oder ein hölzernes, noch heute von Jahrmärkten und Erlebnisparks bekanntes Modell, bei dem Kopf und Hände durch Öffnungen aus zwei Holzplatten herausragen. Es ist noch widerwärtiger, weil der Ausgestellte nicht einmal den Kopf wenden kann, wenn ihn seine Mitbürger mit Essensresten und Speichel bedenken.

Eine Erfindung des Mittelalters

Der Begriff Pranger taucht im Spätmittelalter auf, einer der ersten Belege findet sich im Lübischen Stadtrecht von 1294. Dort ist bloßzustellen, wer mit falschen Scheffelmaßen betrügt. Im schlesischen Leobschütz gibt es einen deutsch "Schandpfahl mit Halseisen" und lateinisch "statua" genannten Pranger schon 1270. Das Mittelalter ist in seinem Spätherbst angekommen, und die Verrechtlichung des Alltags hat ein beachtliches Maß erreicht. Die Blutzeiten und Beilzeiten dunklerer Jahrhunderte, in denen kaum ein Recht galt außer dem des Stärkeren, sind lange vorüber. In einem Lobspruch heißt es: thut sich ainer im kauf vergessn, mit falsch, oder den kauf nit helt, wirdt er an selben pranger gstelt."

Der Begriff des Prangers geht bald in die Umgangssprache ein, als Synonym für peinliche Bloßstellungen. Eine schöne Stelle findet sich in Friedrich Schillers "Wilhelm Tell": Die Schergen des Landvogts sollen den Helden zu einer Ehrerbietung vor einem kaiserlichen Hut zwingen, als symbolische Demütigung der Schweizer Freiheitsbestrebungen. Am Pranger der Schande stehen die Schergen aber eigentlich selbst. Zu ihrem Leidwesen ist ihnen das Lächerliche ihrer Aktion auch sehr bewusst, und sie klagen und zagen: "Höre, Gesell, es fängt mir an zu däuchten, wir stehen hier am Pranger vor dem Hut; 's ist doch ein Schimpf für einen Reitersmann, Schildwach zu stehn vor einem leeren Hut -und jeder rechte Kerl muss uns verachten. Die Reverenz zu machen einem Hut."

Der Pranger ist nicht zufällig eine Erfindung des Mittelalters, jener Epoche, in der die persönliche Entfaltung des Einzelnen zurückzutreten hat vor dem Zwang der gemeinsamen Norm. Das ist ein großer Unterschied zu den Griechen und noch den Römern, für die das kleine Gemeinwesen der Stadt, der polis, oder die große des Imperiums Maß aller Dinge ist und die Freiräume wesentlich größer sind.

Im Rom der frühen Kaiserzeit konnte sich ein Bürger jeden Abend mit seinen Konkubinen erfindungsreichen Exzessen hingeben und doch als geachteter Mann gelten - ungeachtet der Gesetze, die Ehebruch aus Sorge vor Mangel an wehrfähigem Nachwuchs zeitweise ahndeten. Eine Affäre mit verheirateten Damen der Oberschicht mehrte eher seinen Ruhm, wenn er nicht gerade dann den Fehler beging, sich Gattinnen aus der Familie des Herrschers selbst auszusuchen. Dann allerdings...

Demütung und Scham

Aber das führt vom Thema fort. Im Mittelalter galt Ehebruch, auch wenn er noch so oft vorkam, als Sünde, wider die Mitmenschen, wider Gott, wider die Ordnung, die Gott den Menschen gegeben hatte. Im Denken des Mittelalters hat das Verhalten des Einzelnen dem Normenkatalog der Gesellschaft zu entsprechen.

Nur deshalb gelingt es der christlichen Inquisition, sich trotz ihrer unübersehbar psychopathischen Züge im Spätmittelalter durchzusetzen: Sie predigt im Namen der Norm, besetzt sie für sich, nutzt das Grundmisstrauen des mittelalterlichen Menschen gegen zu viel Individualität für ihre obsessiven Ideen und Zwecke aus.

Das Prinzip des Prangers ist es freilich nicht, den Einzelnen zu zerstören wie durch Tod oder hochnotpeinliche Befragung, sondern seinen Willen zu brechen, Demütigung und Scham über jenen zu bringen, der aus dem gemeinsamen Korsett auszubrechen wagt.

Auf der nächsten Seite: Warum der elektronische unbarmherziger ist als das Original aus dem Mittelalter.

Schatz, draußen stehen komische Leute

Die Stadt Vilsbiburg etwa erfreut sich im 13. Jahrhundert einer Flussbrücke samt einträglicher Mautstation. Doch die Brücke enthält noch eine weitere Vorrichtung; die "Bäckerschnelle". Das ist eine Art Käfig, in die der Bäcker gesetzt wird, der mit zu wenig oder zu schlechtem Mehl gebacken hat. In seinem eisernen Verschlag wird er in die Vils getaucht, bis er zu ertrinken glaubt, wieder hochgezogen, wieder getaucht, eine an neuere Verhörmethoden der CIA erinnernde Wasserfolter, über die die Umstehenden sich lebhaft amüsieren. Noch 1691 klagt der Rentmeister bei einer Prüfung des Baus, dass bei dessen Sanierung die Bäckerschnelle klammheimlich abgeschafft worden sei.

In manchen Staaten der USA werden Sexualstraftäter nach exakt demselben Muster auch nach der Entlassung aus dem Gefängnis im Internet öffentlich angeprangert - auf staatliche Weisung. Andernorts zwingt der Sheriff oder ein Richter Ladendiebe dazu, sich vor dem betroffenen Geschäft einen Tag lang hinzustellen, mit einem Schild um den Hals: "Ich habe hier Spielsachen gestohlen."

Verlust an Kraft, Macht und Gemeinsinn

Zweck des Prangers ist also die Schande, nicht so sehr die Strafe, denn über grauenhafte Strafen, vom Vierteilen und Rädern bis zum Verbrühen, gebot die Welt des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit zur Genüge. Hinrichtungen geschahen öffentlich, zum Gaudium der Gaffer und zur Abschreckung. In Münster sperrte man die Anführer der rebellischen Wiedertäufer in Käfige und ließ sie am Kirchturm hängen, bis sie verhungert waren. Schande und Tod, Hand in Hand. Noch 1828 schildert eine Moritat aus dem böhmischen Reichenberg das Ende einer Kindsmörderin:

"Bald wurd sie aufs Schaffot gebracht / Und durch der Räder Schläge /Umfing sie jene schwarze Nacht / Die sie sich bracht zuwege. / Ihr Blutiger Schädel grinst vom Rad / Vom Pfahl und spricht die Lehre / Oh Mensch, geh nur der Tugend Pfad! / Des Herrn Gebote ehre."

Die Grausamkeit des Prangers ist von anderer Art, aber auch sie entspricht der Härte der Zeit. Wer die Gemeinschaft durch Fehlverhalten belastet, der gefährdet ihre Sicherheit. Und die Gefahr ist die ständige, jedem bewusste Begleiterin des mittelalterlichen Menschen, Gefahr durch Überfälle der Räuber und Raubritter, der Grenzvölker, durch Fehden der Ritter, der Landesherrn, der um die Königskrone streitenden Feudalfamilien, konkurrierenden Städte, mörderisch verfeindeten Fraktionen innerhalb der Stadtmauern.

Das Vergehen des Einzelnen weckt Angst vor dem Verlust an Kraft, Macht und Gemeinsinn. Es ist kein individuelles Problem mehr, sondern eines der Gemeinschaft. Durch den Pranger schärft sie ihren Zusammenhalt und sendet zugleich eine warnende Botschaft aus: Hier könntest auch du stehen, wenn du dich falsch verhältst!

Momentaufnahme des Schnappschusses

Und genau dies ist die Linie vom fernen Marktplatz des 15. Jahrhunderts, auf dem der betrügerische Obsthändler mit einer Kette um den Hals dem Hohn der Menge preisgegeben wird, zum Zeitalter des Fernsehens, der öffentlichen Festnahme, des World Wide Web.

Die "da oben", vor allem die in der Wirtschaft, gelten einer rasch wachsenden Zahl von Menschen als die Bosse, die Reichen, die Arbeitsplatzvernichter und Shareholder-Propheten, die Prediger des kalten Geldes, die Nutznießer ökonomischer Macht. Häme über den Fall der Mächtigen hat es nun immer gegeben, aber darum geht es hier eigentlich nicht. In der unheimlichen, unüberschaubaren Welt der Globalisierung herrscht, dem Mittelalter darin ähnlich: Angst. Angst vor dem Verlust des Bewährten, der Sicherheiten, der Gemeinsamkeit, die eine Gesellschaft zusammenhält. Und am Pranger steht nun endlich einer, dessen Verfehlungen wie ein Epitaph auf diese, nun rasch schwindenden, Gemeinsamkeiten stehen.

Wenn einer der wichtigsten Manager der Republik, die Augen niedergeschlagen, vor laufenden Kameras zum Polizeiwagen geführt wird, ist seine Bloßstellung grenzenlos. Seltsam beschämt wirken auch die Staatsanwältinnen, die ihn abführen - aber das mag der Momentaufnahme des Schnappschusses geschuldet sein. Dennoch bleibt der Eindruck, dass sie genau wissen, was sie tun. Sie geben hier einen Mächtigen der öffentlichen Schande preis.

Das Prinzip der Endlosigkeit

Gestern hat er noch über ein Imperium geboten, galt sein Wort als Gesetz und er selbst als Mann von Ehre und Einfluss, vielleicht auch als Alphatier in der wölfischen Welt der Manager. Jetzt wird er öffentlich gedemütigt, umso leichter, je größer die Fallhöhe von einem Moment auf den anderen ist. Ob die Staatsanwälte dies beabsichtigt haben (wofür einiges spricht) oder auch nicht (vielleicht haben sie das Ausmaß öffentlicher Vorverurteilung derer "da oben" unterschätzt), Zumwinkel geht es nicht anders als einem betrügerischen Ratsherrn, den das einfache Volk an seinem Pranger mit Salatköpfen bewirft, und zwar im besten Falle.

Freilich gibt es einen, wenn auch überraschenden, Unterschied. In den Denkweisen des Mittelalters und der anschließenden Jahrhunderte ist der Pranger ein Versöhnungsangebot. Wer an ihm gestanden und gelitten hat, dem ist - im Gegensatz zum Todeskandidaten - verziehen, er darf zurückkehren in die Gemeinschaft, so traumatisch die Schande auch haften bleiben wird.

Möglicherweise ist der moderne Pranger sogar unbarmherziger als der alte Schandpfahl, der hier und da noch auf Marktplätzen und in Burgmuseen zu bewundern ist. Im Altprager Stadtrecht heißt es über den Missetäter, "das er sizen sol einen langen tag auf dem pranger". Irgendwann enden auch lange Tage, aber eben die kennt der elektronische Pranger unserer Zeit nicht mehr. Sein Prinzip ist die Endlosigkeit.

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