Trauerfeier für Günter Grass:Vom Störenfried zum Nationaldichter

Trauerfeier für Günter Grass: Im Theater der Stadt Lübeck fand die offizielle Trauerfeier zu Ehren des im April verstorbenenen Günter Grass statt.

Im Theater der Stadt Lübeck fand die offizielle Trauerfeier zu Ehren des im April verstorbenenen Günter Grass statt.

(Foto: imago stock&people)

Gleich vier Vertreter des Staates reden auf der Trauerfeier für Günter Grass in Lübeck. Das signalisiert große Anerkennung für einen Dichter, den viele Politiker zu dessen Lebzeiten als Nervensäge empfanden.

Von Till Briegleb, Lübeck

Wenn auf der Gedenkfeier für einen Dichter vor allem Politiker statt Freunde sprechen, dann handelt es sich offensichtlich um einen patriotischen Akt. Im Fall von Günter Grass hat diese Würde allerdings einen besonderen Zungenschlag, denn die meisten Politiker im Deutschland empfanden den ständig kritisierenden Autor zu Lebzeiten vor allem als Nervensäge. Aber die offizielle Abschiedsveranstaltung im Theater der Stadt Lübeck am Sonntagnachmittag begann im politisch Kleinen mit dem Lübecker Bürgermeister und erreichte mit Monika Grütters, der Staatsministerin für Kultur, die politische Bundesebene, bevor John Irving allein etwas Persönliches sagen durfte. Vier staatliche Redner, das suggeriert deutlich den große Anerkennungswandel vom Störenfried zum Nationaldichter, den Grass jetzt endgültig durchläuft, aber es klingt auch verdächtig nach postumer Domestizierung.

In Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Altkanzler Gerhard Schröder, die zwar nicht sprachen, aber dem zweistündigen Requiem im Theater der Stadt Lübeck die symbolische Dimension verliehen, wurde aber immerhin nicht aus Pietät schamlos gelogen. Sowohl die Christdemokratin Grütters wie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig von der SPD verwendeten fast gleichlautende Formulierungen, um ihr Unbehagen mit der "harschen und konfrontativen" Kritik von Grass zu benennen. "Schwer auszuhalten" sei manche Einschätzung gewesen, sagten beide, und auch das Unangenehme seiner "Sprachgewalt", wenn den Dichter mal wieder die politische Wut ergriff, fand hier wie dort Erwähnung. Selbst der Stadtpräsident von Grass' Geburtsstadt Danzig, Paweł Adamowicz, als vierter politischer Redner schloss in seine Dankesrede für dessen deutsch-polnisches Verständigungswerk das Bekenntnis ein, dass ihm der Dichter eigentlich "zu linksgerichtet" gewesen sei.

Der Widersprechkünstler

All die offenherzigen Bekenntnisse bei dieser Verstaatlichung der Autorenleidenschaft waren immer "ja, aber"-Formulierung. Dem Hinweis auf Grass' "späte Offenbarung" seiner SS-Mitgliedschaft folgte bei Grütters die Würdigung als mutiger Künstler, als "kritisches Korrektiv demokratischer Politik". Den höchsten Grad möglicher Herzlichkeit erreichte dieser Redemarathon staatlicher Repräsentanz, als die Bundesministerin mit einem Jean-Paul-Zitat Günter Grass einen "Widersprechkünstler" nannte.

Wohl im Sinne des Gestorbenen, der sich noch gewünscht hatte, dass dieser Nachmittag eine Gedenk- und keine Trauerfeier werde, verlief das Erinnern eher gelöst. Unterbrochen von einigen eher beschwingten Barockklängen, verbat sich niemand humorige Anklänge. Am wenigsten natürlich John Irving, der amüsante Erinnerungen an den Freund und das Vorbild vortrug. Aber diesem kurzen persönlichen Moment folgten keine weiteren, wenn man von den Gedichten absieht, die Mario Adorf und Helene Grass vortrugen.

Vor allem der Vortrag von Grass' Tochter, die seinen Traum vom Lebensende, "Mir träumte, ich müsste Abschied nehmen", las, schuf einen Moment, in dem die dichterische Kraft mit dem konkreten "Adieu" zusammenfloss. In diesem Gedicht gibt es die Zeile: "Vielleicht sind zum Abschied die Kirschen reif". Zumindest im Bezug auf Günter Grass' Wunsch, als politisches Gewissen der Bundesrepublik wahrgenommen zu werden, lässt sich nach dieser Gedenkveranstaltung sagen: Ja, vielleicht sind diese Kirschen inzwischen reif.

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