Die Entdeckung der Natur in den Alltagskünsten:Vom Glück der Schwäne und Haubenmeisen

Wie können wir heute Pflanzen und Tiere erleben? Andreas Maier und Christine Büchner versuchen eine Antwort.

Burkhard Müller

Dies ist das Buch von einer Blickverwandlung, ein Buch vom Erlebnis solchen Bekehrungsglücks und auch von der Beschämung, die es bereitet, dieses Glück einzugestehen. "Versuch über die Natur" heißt das Buch im Untertitel, was zugleich zu niedrig und zu hoch greift: zu hoch, weil der Diskurs, der angekündigt scheint, nur teilweise geliefert wird; und zu niedrig, weil sich darin nichts von der Bewegung der Seele verrät, um die es doch eigentlich geht.

Die Bekehrung, die das verfassende Paar - den Schriftsteller Andreas Maier und seine Gefährtin Christine Büchner, die über die Mystik Meister Eckharts arbeitet - betroffen hat, ist die zu den Namen der Lebewesen, besonders der Pflanzen, als läge darin das Heil der Welt. Das Paar glich einst all den Anderen, die die Bäume vor lauter Wald nicht sahen. Nun aber sehen sie, weil ihnen aufging, dass alles, je für sich und einzeln, heißt:

"Man erlebt auch immer wieder, dass man mit den besten Bekannten zufällig und absichtslos irgendwo spazieren geht und diese völlig verblüfft sind, wenn man plötzlich auf Seifenkraut verweist. Seifenkraut, sie wissen gar nicht, ob es das gibt oder ob man sie in diesem Augenblick auf den Arm nimmt."

Und ebenso reagiert ein solcher bester Bekannter (es scheint, dass ihm und seinesgleichen der Ehrentitel eines Freundes nach derartigen Vorfällen so schonend wie möglich entzogen wird) geradezu mit Unwillen, als er die Erklärung erhält, der Baum, unter dem man gerade gemeinsam sitzt, sei ein Birnbaum. "Für ihn war das bis eben ein Baum gewesen, jetzt war es ein Birnbaum", fast als stieße er in einem Arbeits- oder Mietvertrag plötzlich auf eine tückische juristische Klausel, die ihm vorher verborgen war.

Nein, die beiden, Maier und Büchner, dürfen nicht darauf hoffen, dass man ihnen ihre Bemühungen dankt; und noch weniger, dass jemand das Entzücken begreift, das sich einstellt, wenn das Lernen der Naturnamen seinen Lohn findet, da ihm und ihm allein unvermutet das Genannte erscheint. "Wir haben uns damals in schlechter Stimmung befunden, niedergedrückt, verstört, schwermütig, ohne Freude an uns und unserem Weg - da kam die Haubenmeise und brachte das Glück."

Vom Glück der Schwäne und Haubenmeisen

Wirklich sehr putzig

Maier und Brückner sind nicht so naiv, dass sie nicht spürten, in die Nähe welch beklemmender Milieus sie mit solchen Äußerungen driften und aus welcher Ecke ihnen der Spott nachpfeifen wird. Sie erwidern mit einem trotzigen "Und doch!" wie einst Pascal, der sich gegen seine gebildeten Standesgenossen zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bekannte. Die Passage fährt fort: "So könnte es in einem Schlager der Kastelruther Spatzen (!) heißen, aber es ist dennoch so gewesen, daran können wir nichts ändern, auch nicht daran, dass es noch öfters so gewesen ist (kitschig!) und dass Haubenmeisen, eine eher kleine Meisenart, apart hellgrau meliert mit einer Art Federhelmbusch auf dem Kopf, tatsächlich sehr putzig sind."

Tatsächlich sehr putzig: So wirkt die Hilflosigkeit, die den angemessenen Ausdruck für das, was tief berührt hat, dermaßen verfehlt; und ein wenig traurig wirkt es auch, obwohl doch vom Glück die Rede ist. Das eingeklammerte Ausrufezeichen nach den Kastelruther Spatzen, das von den Verfassern selbst stammt, hinterlässt dagegen einen eher unangenehmen Nachgeschmack. Es klingt, als sollte ein fremdes Dasein, dem dies selber unbewusst bleibt, zum Verkünder eines Höheren umgezwungen werden: Aus dem Munde der Unmündigen vom Musikantenstadl hast du dir Lob bereitet, o Welt!

Ein Buch also, das beträchtliche Mühe hat, seinem Erlebnis und seinem Standpunkt Gestalt zu geben; ein Buch im Stimmbruch, das, wo es singen möchte, bald fistelt und bald brummt. Es möchte auch ein Buch der Liebe sein, die im gemeinsamen Welterleben erwächst und reift. In allzu spröder Andeutung spricht es davon; es löscht die Differenz von Mann und Frau und sagt stets nur "einer von uns", was im Deutschen auf peinigende Weise auch dem femininen Part maskulines Geschlecht verleiht. Nur einmal wagen Maier und Büchner es, ihr Ideal ausdrücklich beim Namen zu rufen:

"Wie elegant ist es, wie melodiös, wenn zwei Schwäne ihre Hälse umeinander tanzen lassen, in ruhigen, fließenden Bewegungen, und wie edel sieht das aus. Und wie gleich. Sie verschmelzen zu einer Einheit aus Rhythmus und Bewegung, kein Tänzer könnte es schöner als diese Schwäne. Sie werden zu einem Wir, vielleicht wie wir beide in diesem Text."

Aber der Mensch ist kein Schwan; und wo der fromme Wunsch in die Wirklichkeit tritt, da besteht das Ergebnis aus jenen grässlichen Paaren, die man in identischen Wanderschuhen und Wolverine-Jacken beim Nordic Walking sieht, dass man sich verzweifelt fragt: Wie können zwei so gezielt alle Erotik vernichten?

Hier nun wird es für den Rezensenten Zeit zu sagen: "Und doch!" Nachdem alle nötigen Einwände erhoben sind, sollte er, um dem Buch die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die es verdient, die Reserve der dritten Person aufgeben und bekennen: Mir geht's genauso; und vielleicht geht es nur so. Denn dies ist das Dilemma aller heutigen Naturbetrachtung: dass sie an das Maß des Spaziergängers gebunden ist, der im mehr als bildlichen Sinn mit dem Rücken zur Wand gegen das Automobil steht. Auf den Ratgeber vom Schlage "Was fliegt denn da?" kann er dabei nicht verzichten. Natürlich präformieren diese Führer die Erfahrung; aber bei weitem nicht so wie Veranstaltungen von der Vogelstimmenwanderung bis zur Safari im Okawango-Delta.

Vom Glück der Schwäne und Haubenmeisen

Vogelerstbegegnung

Es bleibt dabei: Wer nicht weiß, was eine Haubenmeise ist, wird nie eine Haubenmeise erblicken, sondern immer nur was kleines graues Hüpfendes am Rand seines Gesichtskreises, das er, ohne nachzudenken, irgendwo im Dreieck Amsel - Taube - Spatz ablegt. Die große helle Freude an der Natur wie an einem Gemälde, welches die Kontur verschmäht, die Sichtweise Eichendorffs, der nur zwei Vögel kannte, die Lerche und die Nachtigall, und nur eine Blume, die Rose - scheint heute nicht mehr frei zu stehen. Erreichbar ist allein noch das Aquarell, die kolorierte Bleistiftzeichnung, in der die Linie herrscht; das höchste der Gefühle knüpft sich an Dürers Kleines Rasenstück. Ihm forschen Büchner und Maier in den unerwartet lieblichen Randbezirken des Rhein-Main-Gebietes nach, in Wetterau und Odenwald, wo sich auch der titelgebende Ort Bullau befindet.

Das Buch ist bedeutsamer, als man auf Anhieb meinen möchte. Sein Wert steckt in dem, worin es selbst nicht weiterkommt. Darin ist es nun in der Tat doch ein "Versuch" über Natur, sofern beim Versuch nicht in stillschweigender Anmaßung schon das Gelingen mitgedacht wäre. Was eigentlich wirkt an der Natur, an einer "Vogelerstbegegnung" oder dem Auffinden einer Blume wie dem Ehrenpreis, so beglückend, während etwa der Anblick eines Yorkshire-Terriers kein vergleichbares Erlebnis zeitigt?

Maier/Büchner operieren etwas ungeschickt mit den Kategorien Eins (Dinge, die einfach da sind) und Zwei (Dinge, die dem Bereich des menschlichen Wollens und Planens angehören); hier macht sich Meister Eckhart geltend. Vielleicht ginge es etwas einfacher so: Ein Geschenk kann nur sein, was man nicht bezahlt hat - im weiteren Sinn, was niemand bezahlen muss oder kann. Plötzlich versteht man, was einen etwa an der schön gepflegten Münchner Innenstadt auf die Dauer so nervös macht: Hier kann man stundenlang herumlaufen, ohne ein einziges Unkraut zu sehen, mit anderen Worten, ohne auf einen Fleck zu treffen, der dieses Jahr noch kein Geld gekostet hat.

(Andreas Maier / Christine Büchner: Bullau. Versuch über die Natur. Frankfurt/M. (Heinrich und Hahn) 2006, 127 S., 17,90 Euro).

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