Die Drei-Groschen-Oper in Berlin:Die Nerven so blank wie die Elektrokabel

Sie schlagen und vertragen sich: Mitten in einem Baustellenchaos versuchen, Klaus Maria Brandauer, Lukas Leuenberger und Campino Brechts Klassiker zu stemmen. Wenn es denn heute zur Premiere im Berliner Admiralspalast kommt.

Christine Dössel

Lukas Leuenberger ist ein früh ergrauter Mann aus dem Emmental, dem man ansieht, wie löchrig sein Nervenkostüm inzwischen ist. Von Tag zu Tag wirkt der Schweizer Impresario schmächtiger und übernächtigter. Im Restaurant bestellt er zum Kaffee "eine Zyankali, bitte", und es genügen zwei, drei Stichworte, damit er explodiert. Lukas Leuenberger ist in den letzten Tagen sehr oft explodiert, und er hat dazu auch allen Grund.

Leuenberger ist Initiator und Produzent der millionenschweren "Dreigroschenoper", die der Film- und Burgtheaterstar Klaus Maria Brandauer als "Räuberhäuptling" und Regisseur mit einem illustren Ensemble zum 50. Todestag von Bertolt Brecht im einst glorreichen Berliner Admiralspalast stemmt. Den Mackie Messer spielt Campino, der Sänger der Punkband Die Toten Hosen - das ist allein schon ein Coup. Als Bettlerkönig Peachum ist Gottfried John zu sehen, schon bei Fassbinder ein großartig zerknautschter Charakterkopf und wie Brandauer ein Hollywood-erfahrener James-Bond-Bösewicht. Dessen Frau, die Mrs. Peachum, gibt Katrin Saß, einst DDR-Publikumsliebling und seit ihrem Comeback in "Good Bye, Lenin!" nicht nur eine Ost-Ikone. Birgit Minichmayr ist Polly, Maria Happel die Spelunkenjenny, Michael Kind der Polizeichef Tiger Brown, Jenny Deimling seine Tochter Lucy.

Das 3,5 Millionen Euro teure Projekt, gesponsert von der Deutschen Bank, hat ein Medienecho ausgelöst wie seit Jahren keine andere Theaterproduktion. Der Vorverkauf läuft auf Hochtouren, die Berliner Presse berichtet täglich, selbst Angela Merkel ließ es sich nicht nehmen, mit Brandauer ein staatstragendes Gespräch über Brecht zu führen, aufgezeichnet von der Welt, die als Medienpartner dient. Eigentlich könnte sich der Produzent Leuenberger händereibend zurücklehnen und jubilieren. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Die heiß erwartete Premiere, mit welcher der Berliner Admiralspalast am S-Bahnhof Friedrichstraße "glanzvoll" wiedereröffnet werden soll, stand bis zuletzt auf der Kippe, und wenn sie am Freitagabend nach viel Ach und Krach doch über die Bühne geht, dann "ganz bestimmt nicht wegen der Betreiber des Hauses, sondern trotz ihnen", wie Leuenberger schäumt.

Zwischen Schutt und Masche

Die fünf Gesellschafter des geschichtsträchtigen Vergnügungspalasts, zu denen an führender Stelle der Berliner Kulturunternehmer Falk Walter gehört, sind mit den Sanierungsarbeiten an dem maroden Gebäude derart in Verzug, dass der Komplex, innen wie außen, noch immer eine Baustelle ist. Man muss es mit eigenen Augen gesehen haben, um das Chaos zu fassen. Seit drei Tagen wird jetzt immerhin der Innenhof gepflastert, der einem gewaltigen Kies- und Schuttloch gleicht. Das Foyer zum großen Theatersaal mit seinen drei Rängen war noch gestern ein einziger Verhau. Bis zuletzt fehlten Lampen, Fensterscheiben, Toiletten. Kabel hingen wie Galgenstricke von der Decke, überall Gerüste, Baulöcher, Absperrungen, Schutt. Die Umgänge und die neu eingebaute Treppe, die alle drei Ränge verbindet, befinden sich, nun ja, im Rohzustand, ganz zu schweigen von den provisorischen Notausgängen und Brandschutzvorkehrungen.

Kein Wunder, dass die Bauaufsicht am Dienstag bei ihrer sechsstündigen Begehung des Gebäudes auf "hunderte kleiner Mängel" stieß und den Spielbetrieb "aus sicherheitstechnischen Gründen" zunächst nicht freigab. Erst nach einer zweiten Begehung, 24 Stunden vor der Premiere, kam des Bauamts reitender Bote und gab grünes Licht - in letzter Minute, wie in der "Dreigroschenoper", wo der Verbrecher Mackie bereits unterm Galgen steht, als er die wundersame Nachricht von seiner Begnadigung erhält. Im Fall des Admiralspalasts ist allerdings nur von einer "vorläufigen Inbetriebnahme" die Rede.

Leuenberger hat inzwischen Anwälte eingeschaltet und kündigt Schadensersatzforderungen an - die Boulevardzeitung B.Z. spricht von einem "Drei-Groschen-Krieg". Man kann es dem tobenden Produzenten nicht verdenken, wenn er von einem "Desaster für die Künstler" und von "grober Fahrlässigkeit" spricht. Er, der zuletzt Schillers "Tell" auf dem Schweizer Rütli produzierte, einem Ort, der nur per Schiff und Hubschrauber zugänglich war, hatte in Berlin zu Probenbeginn mit einem "Theater in marktüblicher Ausstattung" gerechnet, so wie es ihm die neuen Admiralspalast-Betreiber im Mietvertrag zugesichert hatten. Stattdessen habe das Ensemble einen Schutthaufen vorgefunden, es sei grotesk.

Dass die geladene Prominenz am Abend statt Glanz und Gloria "Berlins dreckigste Premiere" erleben wird, wie ein Boulevardblatt titelte, ist nicht das Problem. Campino findet das sogar "großartig", die Berliner sind solche Provisorien ohnehin gewohnt, und auch Regisseur Klaus Maria Brandauer hält das schmutzige Baustellenambiente bei einem Stück wie Brechts "Dreigroschenoper", das im Huren- und Bettlermilieu spielt, für mehr als passend: "Eigentlich eine feine Sache, besser geht's nicht."

Das Problem waren die Proben und die Nerven der Beteiligten, die durch die Bauarbeiten und die technischen Mängel im Haus permanent beeinträchtigt wurden. Es mussten Abendproben angesetzt werden, die zum Teil bis zwei Uhr morgens gingen. "Bis man danach bei einem Bier wieder runterkommt, ist die halbe Nacht vorbei", sagt Katrin Saß. Den ewigen Baulärm und das halsbrecherische Kabelgewirr auf den Gängen empfindet man schon beim Probenbesuch als Zumutung. Wie muss es da erst den Künstlern ergehen? Neulich wurde der Theatersaal während einer Probe mit Songs von Whitney Houston beschallt, weil der TÜV irgendwelche Anlagen prüfte. Da hat sich dann schon niemand mehr aufgeregt.

Trotzdem liegen nicht nur die Kabel, sondern auch die Nerven blank. Brandauer, der natürlich auch hier - Regie hin oder her - die Hauptrolle spielt, vermeldete an besseren Tagen "Kacko dampfo", an schlechteren legte er ein paar seiner berüchtigten Ausbrüche hin oder ließ seine Laune an unliebsamen Journalisten aus, die er kurzerhand rauswarf. Am Tag vor der Generalprobe spielt er in der Tex-Mex-Kneipe um die Ecke, die zur nächtlichen Kantine des Ensembles geworden ist, den Gelassenen, der seinem Trupp mit Zuversicht und einer Runde für alle vorangeht: "Wir brauchen Ruhe vor der Premiere, sonst nichts!" Seine Gemütsverfassung, behauptet Brandauer säuselnd, sei glänzend, was er mit ein paar Anekdoten aus seinem reichen Schauspielerleben zu unterstreichen versucht, um kurz darauf dann doch wieder mit seinem Produzenten aneinander zu geraten, der wütend abdampft.

Er habe in Berlin trotz allem eine tolle Zeit gehabt, sagt Brandauer, "das will was heißen". Er habe einen "zoologischen Garten aus lauter schönen Tieren" um sich versammelt, habe in seinem Ensemble alte Freunde und Schüler aus dem Wiener Max-Reinhardt-Seminar wiedergetroffen und "zwei wunderbare neue Freunde hinzugewonnen: Campino und Michael Kind". Dazu "der großartige Brecht, die Musik von Kurt Weill, die Beschäftigung mit diesem Stoff in einer Konstellation mit Menschen von heute -was will man mehr?" Heutig ist für Brandauer ein Stück schon dann, wenn er es heute inzeniert, man sollte in dieser Hinsicht auch von seiner "Dreigroschenoper" nichts anderes erwarten, schon gar kein Regie- oder Konzepttheater. Aktualisierungen lehnt Brandauer ab, Striche nicht. Auf seiner Bühne gibt es Zwanziger-Jahre-Kostüme und Brechtvorhang. Was an heutiger Sprengkraft in dem Text drinsteckt, muss sich schon jeder selber denken. Eine kritische Bemerkung dazu genügt, damit der Maestro wieder mal ausrastet, woraufhin der allzeit freundliche Campino vermittelt.

Alle lieben Campino

Ohnehin ist der Schauspiellaie Campino der Unaufgeregteste von allen, wiewohl er als Macheath die Hauptrolle zu schultern und ziemlich komplexe Tonfolgen zu singen hat. Aber ein Saal mit 1700 Zuschauern macht einem Rockstar keine Angst, und im Ensemble betrachtet er sich außer Konkurrenz: "Ich kann da sowieso niemandem das Wasser reichen, sondern nur mein Bestes versuchen." Wenn ringsherum mal wieder die Sicherungen durchbrennen, grinst er belustigt wie ein großer Bruder und legt sich im Notfall ins Mittel. "Das ist halt die Theaterwelt", sagt er milde über gewisse Eitelkeiten seiner neuen Kollegen. "Das brauchen die. Als Musiker ist man simpler gestrickt und daher auch nicht so entflammbar. Unser Umfeld ist sehr viel erdiger."

Wer einen Radaubruder mit Starallüren oder den Rotzattitüden eines notorischen Punks erwartet hatte, kommt aus dem Staunen über diesen liebenswürdig-charmanten, sich stets bescheiden im Hintergrund haltenden und mit kindlicher Begeisterung ins Team fügenden "Punkrocker" nicht heraus. Campino ist schlicht zum Verlieben. Es lieben ihn auch alle im Ensemble, inklusive Brandauer, der ihn in einem Interview ein "erotisches Knubbelchen" nannte, was ein unzulänglicher Diminutiv ist. "Campino ist total emphatisch", sagt der Tote-Hosen-Fan Leuenberger. "Er hält wie ein Bandleader alle zusammen", lobt Gottfried John. Und Katrin Saß bescheinigt ihm die Saugfähigkeit eines "Schwamms", der bei den Proben dankbar alles aufnimmt - was bei gestandenen Schauspielern wie John oder ihr nicht unbedingt der Fall ist.

Campino selbst sagt, er sei zum ersten Mal im Leben gerne Schüler, "sogar ein Musterschüler, fast schon ein Streber". Von seinem Lehrmeister Brandauer, diesem "erfahrenen Wolf", ist er restlos begeistert, "ich hätte für ihn auch Kaffee gekocht." Brandauer habe ihm gesagt: "Es gibt den Mackie Messer nicht, du bist es, du hauchst ihm das Leben ein." So was hilft. Wie viel Campino in dem mit Stock und Hut verkleideten Edelgangster tatsächlich noch steckt, wird bei der Premiere zu beurteilen sein. Aber das ist eine andere Baustelle.

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