Die Dramatikerin Elfriede Jelinek:Die Textflächenfrau

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Für ihre frühen Dramen kann Elfriede Jelinek den Nobel-Preis nicht erhalten haben. Damals versuchte sie noch, dem Theater zu geben, was das Theater verlangte - Dialoge, Figuren, Handlung, Psychologie. Die Werke sind engagiert, aber in ihrem Sprachgestus von überraschender und ärgerlicher Beliebigkeit. Was gab also den Ausschlag?

Von C. Bernd Sucher

Sie begann ganz konventionell: Das erste Stück von Elfriede Jelinek, "Was geschah als Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft", 1979 uraufgeführt, war eine Fortsetzung des Ibsen-Dramas. Sie versuchte in dieser misogynen und misanthropischen Farce zu erzählen, wie es Nora erging nach dem Auszug aus dem Puppenheim.

Die schwedische Botschafterin in Österreich, Gabriella Lindholm (rechts), gratuliert Elfriede Jelinek in deren Wiener Wohnung. (Foto: Foto: AP)

Schon dabei erfand die damals 33-jährige Autorin einen eigenen Stil, benutzte Ibsen nur als Folie, arbeitete Zitate von Fremdautoren ein, die kennzeichnend waren für Kapitalismus und männlichen Überheblichkeitswahn.

Dennoch hielt sie (vorerst) an der dramatischen Form fest, es gab also Rollen. Bei dieser Methode blieb sie auch in den Jahren danach, als vor allen das Bonner Schauspiel sie förderte und viele Uraufführungen präsntierte.

Überraschende und ärgerliche Beliebigkeit

Und sie blieb bei ihren Themen: Sie kämpfte für die Frauen, gegen die Männer; und sie trat - streitlustig wie Thomas Bernhard - an gegen den braunen Sumpf ihres Heimatlandes, dessen rechte Politiker sie übel verunglimpften.

Jelineks Stücke wurden uraufgeführt und rasch vergessen.

Verwunderlich war das nicht. Denn ihre frühen Dramen, in denen sie noch versuchte, dem Theater zu geben, was das Theater verlangte - Dialoge, Figuren, Handlung, Psychologie - sind zwar engagiert, benennen also (über)deutlich Freundinnen und Feinde, aber sie sind in ihrem Sprachgestus von überraschender und ärgerlicher Beliebigkeit.

Das gilt auch für "Krankheit oder Moderne Frauen" von 1987. Man muss Elfriede Jelinek schon sehr schätzen, um in dieser Horror-Blut-Banalität das Künstlerinnen-Drama zu entdecken, als das es vor allem weibliche Kritikerinnen lobten. Der feministische Ansatz erfreute sie; und für ihr Lob konnte es ihnen nur nützen, dass die Dramatikerin als Vorbild für die vampiristische Krankenschwester Emily die englische Romanschriftstellerin Emily Brontë wählte.

Schon in diesem Stück gibt es einen Jelinekschen Lieblingsort: das Klo. Es ist der Raum, in dem sich das 1994 uraufgeführte Stück "Raststätte oder Sie machen's alle" abspielt. War's eine Pornosatire? Eine moderne Auseinandersetzung mit dem Phänomen Sex? Naturgemäß übte Elfriede Jelinek auch darin Zivilisationskritik, aber so recht wurde nicht klar, ob dieses Stück, in dem zwei als Tiere verkleidete Herren den schnellen Sex suchen - und dummerweise ihre Frauen vögeln - ein Porno war oder ein Anti-Porno. Sie wollte gewiss beweisen, was längst bewiesen war: Sex gehorcht den kapitalistischen Markt-Gesetzen.

"Ich will verschmutzt werden"

Die Jelinek, die die patriarchalische Kultur immer wieder kritisiert, weil "die Frauen keinen Ort haben in ihr und sich nur als Gegenbilder definieren können", bediente (gern) Vorurteile und schuf (gern) Klischees. Sie erfand dafür die absonderlichsten, kalauerigen Sprachbilder. In "Raststätte" gibt es eine Frauen-Äußerung, die ebenso rätselhaft wie missglückt ist: "Ich will verschmutzt werden! Ich will auf dem Nest eines schnellen Bodenbrüters laut schreien!"

Für diese Stücke und andere ähnliche kann Elfriede Jelinek der Nobel-Preis nicht zuerkannt worden sein. Nicht für ihre Provokationen, ihre vehementen Angriffe auf Österreich. Es muss - zumindest was ihr dramatisches Werk angeht - etwas Anderes entscheidend gewesen sein.

Und dieses Andere ist Jelineks Verweigerung, das Theater weiterhin zu bedienen. "Wolken.Heim" (1988), "Ein Sportstück" (1998), "Bambiland" (2003) sind Vorlagen, die vom Theater erobert werden müssen, weil sie sich ihm verweigern. Bei "Bambiland" wünschte die Dramatikerin gar, ihr Stück solle hinter der Aufführung verschwinden.

Der stärkste dieser Sprachflächen-Texte ist "Wolken.Heim". Deutschland und Österreich - Groß-Deutschland - unter der Jelinekschen Zerr-Lupe. Die Jelinek seziert darin Sprache, und zum Vorschein kommen entkleidete nackte Gedanken. "Wolken.Heim" ist eine Collage aus Prosatexten. Das deutsche Wir, das in diesem Monolog spricht, ist ein Wir, das von vielen gebildet wird.

Von Fichte wird aus den "Reden an die deutsche Nation" zitiert, von Hegel aus dessen "Vorlesung über die Philosophie der Geschichte". Hölderlin, Kleist und die RAF sind vertreten. Das neue, eben das Jelinek-Wir, scheint ein endloses Selbstgespräch zu führen. Es ist aber ein Dialog, den intelligente Theatermacher entdecken. Die Brüche in den Sprachebenen erzeugen das Zwiegespräch.

Wort-Kompositionen

Die Sprachflächenstücke der Jelinek, in denen mit zuweilen harten Schnitten Fragmente aneinander montiert werden, sind gebaut wie Musikstücke. Sie sind Kompositionen ohne Musik, aber mit Dissonanzen, mit Harmonien, mit Leitmotiven und strahlenden Akkorden.

Es gibt neben dem Solo das Duett und den Chor. Der Zuhörer und der Zuschauer wird gezwungen, sich mit den toten Texten, derer sie sich bedient, auseinander zu setzen und sie in dem neuen Kontext zu bedenken. Die Textsegmente werden zu Leben erweckt, wieder vernichtet, weil in ein ungewohntes, spannungsreiches Umfeld montiert und in eine neue Bewegung versetzt. Wieder belebt.

Atome der Sprachenergie, im ständigen Austausch

Diese Jelinekschen gänzlich undramatischen Vorlagen für das Theater gleichen Atomen, in denen die einzelnen Teilchen gegeneinander stoßen, Sprach-Energien entwickeln und deshalb in ständigem Austausch bleiben. Die Manipulatorin kennzeichnet die Funde nicht als Fremdmaterial, was nichts Neues ist, dergleichen finden wir schon bei Flaubert.

Doch Jelineks Vorgehen folgt einem Programm: Nichts ist zufällig in diesem rhetorischen und poetologischen Verfahren. Die Collage als bewusst geformtes literarisches Konstrukt. Die Zitate verlieren ihr Dasein als Zitat. Den Urhebern wird ihr literarisches Eigentum streitig gemacht. Es ist ein Prozess der literarischen Amalgamation. Aus zeitlich Entferntem wird ein Kontinuum.

Wenn Elfriede Jelinek nicht zuerst eine Figur erfindet, der sie dann beim Schreiben Gedanken, Gefühle, Vorurteile, Kämpferattitüden zuordnet, sondern genau gegensätzlich arbeitet, also über die Sprache eine Figur schafft, dann ist die Jelinek groß.

Dann gelingt es ihr, ihren Zorn, ihren Ekel, ihre Kritik in eine musikalische Sprachform zu bringen, die nichts mehr hat von der Kreisdramaturgie, die sie früher einmal als eine weibliche behauptet hat, "ähnlich dem weiblichen Genital".

Nicht eine Person oder sechs suchen dann einen Autor, sondern das Sprechen sucht eine Hülle. Elfriede Jelinek, die Dramatikerin, hat sich - stärker noch als Samuel Beckett in seinen späten Texten für das Theater - vom Theater verabschiedet. Und ihm zugleich einige der stärksten Vorlagen geschenkt.

© SZ vom 8.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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