Die Documenta in ihrer Frühphase:"L'art pour le snob"

Lesezeit: 3 min

Die ersten Documenta-Ausstellungen fielen in die hohe Zeit des Kalten Krieges, was die Bewertungen in Ost und West deutlich beeinflusste. Jenseits des Eisernen Vorhangs galt das Kasseler Faible für abstrakte Kunst als überheblich und versnobt. Der Westen sah hingegen keinerlei Notwendigkeit, der Kunst in den sozialistischen Ländern die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

Laura Weissmüller

In Kassel bringen sie sich gerade wieder in Stellung. Ein Heer aus Kunstkritikern und anderen Journalisten wird heute an der Pressekonferenz für die 13. Documenta teilnehmen und wird, nachdem es das Kunstareal mehr oder weniger gründlich durchforstet hat, sein Urteil fällen über eine Kunst, die mindestens so global geworden ist wie die Welt.

Das war in den Anfängen der Documenta noch ganz anders. Damals gab es eine klare Frontlinie zwischen West und Ost, zwischen BRD und DDR, zwischen abstrakter und gegenständlicher Kunst. Geschossen wurde mit der scharfen Munition der Kalten Kriegs-Rhetorik. Was die eine Seite zeigte, konnte die andere nur in Bausch und Boden verdammen. In der Kassler Ausstellung sahen die ideologischen Gegner einen Spiegel der jeweiligen Wirklichkeit.

Für die West-Presse hieß das: uneingeschränkte Begeisterung für die Documenta-Premiere, die zunächst nur als Anhängsel einer Bundesgartenschau geplant war. Doris Schmidt schrieb am 26. Juli 1955 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Hier öffnet sich das Panorama unseres Jahrhunderts in den Zeugnissen der bildenden Kunst. Die 'Documenta' zieht auf der Höhe des Jahrhunderts eine Bilanz, in der Kontinuität und Vielschichtigkeit der Kunst fast lückenlos vor unseren Augen ersteht."

In der abstrakten Malerei erkannten die westdeutschen Berichterstatter nahezu geschlossen "die Sprache der Zeit", die Präsentation in dem noch halb zerstörten Museum Fridericianum - ein Coup des Gründers Arnold Bode - empfanden sie als das sprechende Symbol für den Zustand Europas und ihrer zeitgenössischen Kunst.

Walther Kiaulehn erklärte im Münchner Merkur den Ausstellungsort zum "bestmöglichen Hintergrund der modernen Kunst, dieser unbehausten, gejagten und jagenden abenteuerlichen Romanze, dieser ahasverischen Suche nach der Seele."

"Gemalte Kakophonie"

Das klang auf Seiten der DDR ganz anders. Unter dem Titel "Irreführende documenta" schrieb Kurt Schifner am 11. September 1955 im Sonntag: "Die Diskrepanz zwischen dem alten Außen und dem neuen Innenbau ihrer Bastion ist ein Charakteristikum für die Ausstellung selbst. Hier fand die mangelnde Achtung vor dem ehrwürdigen Bau, der einsam das anglo-amerikanische Bombardement überdauerte, ihren sichtbaren Ausdruck, und so vollendete sich gleichsam von innen her, was die Bomben von außen nicht geschafft haben."

Ähnlich ging Schifner mit den abstrakten Künstlern ins Gericht. Dem Maler Wols attestierte er eine "teilnahmslose Irre", Werke der Italiener Mattia Moreni und Roberto Crippa waren ihm "gemalte Kakophonie" und über die "Komposition von Blau und Gelb" des Malers Fritz Winter schrieb er: "Das Ausmaß dieses Farbfleckenspiels kennzeichnet das Ausmaß der Überheblichkeit."

Kein westdeutscher Kritiker monierte, dass gegenständliche Kunst auf der ersten Documenta kaum vertreten war. Genauso, wie der Verzicht auf Künstler aus der DDR, China und der Sowjetunion offenbar nicht auffiel. Bei Schifner wurde diese Auswahl jedoch zum K.O.-Kriterium: "Es ist klar, wer Opiate und Räusche liebt, meidet die Auseinandersetzung mit den echten Problemen des Lebens, verwirft die Kollwitz, Steinlen, Guttuso, Fougeron und Muchina und gibt dem einschläfernden Dada in allen Tonlagen weittragende Resonanz."

Welches Publikum angesprochen werden sollte, war für Schifner keine Frage, zeigte die Documenta für ihn doch "l'art pour le snob."

Bei der zweiten Documenta 1959 verhärtete sich Frontlinie sogar noch. Folgte diese doch Werner Haftmanns Diktum "Die Kunst ist abstrakt geworden" und versuchte dies vor allem mit US-amerikanischen Vertretern des Abstrakten Expressionismus' und Beispielen des europäischen Informel zu belegen.

Gegenständliche Positionen fehlten fast völlig. Der dogmatischen Auswahl widersprachen zwar auch zahlreiche BRD-Journalisten, wie etwa Susanne Carwin in der Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung: "Offenbar ging es von Anfang an um eine These, die bewiesen werden sollte. Könnte aus der Freiheit, die wir allzu konformistisch handhaben, nicht schon eine Art Diktatur geworden sein, die zu ähnlicher Zweckentfremdung im Künstlerischen zu führen droht wie etwa das Diktat des 'sozialistischem Realismus' im 'feindlichen Lager'?"

Doch viele Kritiker begrüßten gerade die starke Gewichtung der gegenstandsfreien Malerei als adäquaten Ausdruck der "historischen Lage" und als "wünschbaren Nachdruck an genau der Stelle, die einem solchen Dokumentieren ihren verpflichtenden Namen entlehnt."

Der Spiegel kommentierte das Fehlen von Künstlern aus kommunistischen Ländern lapidar: "Für Vertreter des politisch befohlenen 'sozialistischem Realismus' brauchte wohl kein Platz frei gemacht zu werden."

Das sah die DDR-Kritik vermutlich anders. Doch für die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Ausstellung hatte man jetzt keine Zeit mehr. Die abstrakte Kunst musste als Symbol für den Zustand der westlichen Welt herhalten. Unter dem Titel "Inventur der Abstrakten" schrieb Lothar Lang in der Neuen Zeit: "In einem verzweifelten Radikalismus gelangen die Künstler nicht nur zum skeptizistischen Unglauben an der Erkennbarkeit der Welt, sondern neigen auch dazu, die Existenz der Realität überhaupt in Frage zu stellen."

Gute Kunst wird jetzt im Einzelkampf ermittelt

Langs Urteil über den Westen mit seiner "Kunst der epochalen Krise des Spätbürgertums" stützte ein Zitat von Paul Klee: "Je schreckensvoller die Welt, desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt."

Ein halbes Jahrhundert später ist von diesem Grabenkampf um die Kunsthoheit nichts mehr zu spüren. Jetzt geht es vielmehr darum, sich gerade nicht abzugrenzen. Die globalisierte Welt soll in die Ausstellung geholt werden. Wer das Entlegenste in der richtigen Weise installiert, projiziert, dokumentiert, ist nun gefeierter Künstler oder Kurator der Documenta. Kassel liegt nicht mehr an der Front. Was gute Kunst sei, wird jetzt im Einzelkampf ermittelt.

© SZ vom 06.06.2012/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: