Die CDs der Woche - Popkolumne:Zügelloser Zwei-Mann-Blues

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Die Palma Violets klingen wie ein nostalgischer Punk-Konzertabend in Camden, bei dem sich The Clash mit Dr. Feelgood zusammentun. Aber ein Konzert von den Juke Joint Pimps lässt hysterisch tanzen und selig grinsen.

Von Max Fellmann

Die Idee, Popmusik zu einem astronomischen Preis an einen einzigen Käufer zu verkaufen, scheint zur Zeit so manche zu faszinieren. Der Wu-Tang Clan versteigerte nun sein Album "Once Upon a Time in Shaolin" in der Auflage von genau einem Exemplar. Längere Zeit hieß es, der DJ Skrillex habe bereits für fünf Millionen Dollar zugeschlagen. Das war aber nur ein Gerücht. Das Rennen ist wieder offen.

Weg von der Massenware

Jetzt hat das amerikanische Duo Future Islands eine Maxi-Single mit zwei Songs aufgenommen, die nicht in den Handel kommt, sondern am "Record Store Day" genau ein Mal verkauft wurde, ebenfalls an den Höchstbietenden. Die beiden Songs werden trotzdem bald im Internet kursieren, Fans der Band dürfen sich freuen: "The Chase" und "Haunted By You" sind genau der Achtziger-Soul-Disco-Pop, den Future Islands sonst auch machen.

Interessanter ist die These, die von den Wu-Tang-Leuten und Future Islands ganz ähnlich geäußert wurde: Durch die ungewöhnliche Verkaufsmethode soll der Wert des einzelnen Kunstwerks wieder in den Vordergrund gerückt werden. Weg von der Massenware, weg vom Niedrigpreis-Angebot. An der Idee mag etwas dran sein. Aber ist das alternative Konzept so viel erstrebenswerter? Der Künstler, der exklusiv für einzelne arbeitet: Sind wir da nicht wieder bei der höfischen Musik?

Kilometerweise alte Tonbänder

Kurt Cobain war ein wichtiger Mann, ja, Kurt Cobain hat Musikgeschichte geschrieben, ja, ja. Aber deswegen verdient nicht gleich jedes dreisekündige Ächzen von ihm, das es irgendwann mal auf ein Tonband geschafft hat, eine eigene Gedenkkapelle. Bald kommt in den USA der Dokumentarfilm "Kurt Cobain: Montage of Heck" raus, der Regisseur Brett Morgen hat sich dafür kilometerweise alte Bänder angehört, jetzt feiern amerikanische Magazine eines seiner Fundstücke: Kurt Cobain singt zu Hause den Beatles-Klassiker "And I Love Her" (zu hören etwa auf der Homepage des amerikanischen Rolling Stone).

Ach, wie minimalistisch er dabei Gitarre spiele! Oh, wie schwermütig er den Text interpretiere! Naja. Man könnte auch sagen: Wie müde! Wie schlecht gelaunt! Wie maulfaul! Aber in der Cobainkirche wäre es ein Sakrileg, solches zu sprechen. Darum also: höfliche Zurückhaltung.

So tun, als sei jetzt 1976

Und zwei Entdeckungen für Nostalgiker: Erstens die Band Bully aus Nashville. Die Sängerin Alicia Bognanno ist erkennbar mit den Pixies, den Replacements und Weezer aufgewachsen. Jetzt macht sie genau diese Art von Musik so gut wie möglich: Gitarren-Punk-Pop, halb gehauchte Strophen, wütend geplärrte Refrains. Kein Wunder, dass der Produzent Steve Albini (Nirvana, Pixies, PJ Harvey) die Band sofort mochte. Die tolle erste Single "Trying" ist schon im Internet zu hören, ein Album kommt im Sommer.

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Zweite Entdeckung: die Palma Violets, die in England gerade sehr gefeiert werden, weil sie - vier ganz junge Burschen - einfach so tun, als sei jetzt das Jahr 1976, und der britische Pubrock ginge gerade in Punk über. Ihr zweites Album "Danger In The Club" (Rough Trade) klingt wie ein Konzertabend in Camden, an dem erst Dr. Feelgood spielen, dann The Clash und dann alle zusammen. Unterhaltsam, aber - soviel Ehrlichkeit muss sein - womöglich nicht ganz so gut wie die Originale.

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Nur ein unrealistischer Abklatsch des Irrsinns

An dieser Stelle noch eine dringliche Empfehlung: Wann immer irgendwo ein Konzert der Juke Joint Pimps angekündigt wird, sofort alle anderen Termine absagen und hingehen. Vor wenigen Tagen ist das Duo in München aufgetreten, und das war der vermutlich beste Abend, den man an dem Samstag in dieser Stadt haben konnte. Zwei Kölner in geschmacklosen weißen Anzügen, die auf den ersten Blick eher wie das Unterhaltungsprogramm der Sparkassen-Sommerfeier wirken, kommen auf die Bühne, grüßen höflich - und spielen dann den rohesten, wildesten, zügellosesten und historisch genauesten Zwei-Mann-Blues, den man sich nur wünschen kann.

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Der Schlagzeuger singt, röhrt, brüllt und spielt fantastisch Mundharmonika, der Gitarrist zaubert eine antike Gitarre nach der anderen aus der Ecke und kann alles, was Robert Johnson und Elmore James sich je ausgedacht haben. Wenn die zwei in Schwung sind (durchgehend), rätselt man, warum sich die Black Keys überhaupt aus dem Haus trauen. Selten ein Club-Konzert erlebt, bei dem das gesamte Publikum ab dem zweiten Song so selig grinste und so hysterisch tanzte.

Im Internet gibt es leider nur Videos, die unrealistischer Abklatsch des Irrsinns sind. Die zwei Alben, die die Pimps bisher aufgenommen haben ("Boogie The House Down" und "Boogie The Church Down") sind ziemlich gut - aber unschlagbar sind die Pimps live. Also bitte: Konzert besuchen. Glücklich werden.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

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