Die CDs der Woche - Popkolumne:Zeichen der Euphorie

Single "Best Song Ever" von One Direction

"Best Song Ever" von One Direction beginnt mit einem Gitarrenriff, das von The Who stammen könnte.

(Foto: Sony Music)

Ein richtiger Sommerhit muss nichts mit Sonne und Strand zu tun haben. Er kann auch abgründig, rebellisch oder eben doch euphorisch sein, was immer das über die Lebenssituation der Hörer aussagt. Ein Überblick über die besten Sommerhits des Jahres. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Joachim Hentschel

One Direction

"Best Song Ever" (Sony Music) sollte man sich schon deshalb anhören, weil das Lied für viele Teenager der alleinseligmachende Sommerhit sein wird. Auf der Plattform Vevo wurde der Song in den ersten 24 Stunden fast elf Millionen Mal angeklickt, in derselben Woche geriet die britische GQ in einen unglaublichen Internet-Shitstorm, nachdem sie eine schlüpfrige Coverzeile über einen der fünf Sänger gedruckt hatte.

Als Phänomen ist der Rummel um One Direction schnell wegerklärt - aber was ist das für Musik? Überraschenderweise beginnt "Best Song Ever" mit einem Gitarrenriff, das von The Who stammen könnte. Nachdem der Jugendpop einige Jahre ins Schwermütige, Kajalgeränderte tendierte, ist ein Song wie dieser ein Zeichen der Euphorie - was immer das über die Lebenssituation der Hörer aussagt. Dass der Junge in der Geschichte mit einer Zahnarzttochter knutscht, die ihn wegen seines schmutzigen Mundes rügt: Es könnte auf ein Sozialdrama hindeuten. Dreckiger Eskapismus. Wir müssen mehr hören.

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Those Darlins

Zum Glück ist der Sommerhit noch immer keine industrielle Kategorie, sondern eine, die aus der menschlichen Intuition kommt: Ein Lied nimmt man sich mit, um mit ihm die schönsten Tage zu verbringen, oder man bleibt gemeinsam mit ihm irgendwo kleben. Mit Sonne und Strand muss das nichts zu tun haben.

Single "Oh God" von Those Darlins

Bisher hat man von Those Darlins bloß braven Sixtiesrock gehört. "Oh God" aber ist ein abgründiges Sommerlied geworden.

(Foto: Oh Wow Dang Records)

Wie diese unglaubliche Entdeckung, die kürzlich im Internet auftauchte - "Oh God" (Oh Wow Dang Records), ein Stück über ein kaputtes T-Shirt, in dem sich jemand die Haare abtrocknet, eine geheime Passion, einen Telefonanruf. Ein Roadsong über den Weg durch die Assoziation, gesungen von einer aufrichtigen, erzählbereiten, trotzdem kirschroten Frauenstimme. Die zu der Gitarrenband Those Darlins aus Nashville gehört, von der man bisher höchstens braven Sixtiesrock gehört hat. Ihr neues, abgründiges Sommerlied kann man auf der Website thosedarlins.com umsonst herunterladen. Irgendwann soll auch ein Album kommen, das aber nicht mal ein Zehntel so großartig sein kann.

FKA Twigs

Die Single "Water Me" von FKA Twigs

"Water Me" gibt es bisher nur bei Youtube. Doch sicher dauert es nicht mehr lange, bis FKA Twigs zur nächsten Modeikone ausgerufen wird.

(Foto: Young Turks/Indigo)

Natürlich muss es auch für das Gespenstische des Sommers einen Song geben. Nicht alles wird ja gleich klar und durchsichtig, nur weil die Sonne stundenlang draufscheint. "Water Me" (Young Turks/Indigo) von der jungen englischen Künstlerin FKA Twigs klingt so, wie man sich den Raumklang in einer dieser Wurzelhöhlen vorstellt, in denen unwillige Geister gefangen sind, an einem Tag, an dem sie miteinander singen wollen. Und trotzdem körperlos bleiben, gefangen in der Mitte zwischen Stimme und Instrument.

Die Isländerin Björk, mittlerweile ins Kunsthandwerk abgedriftet, hat früher ähnliche Collagen angefertigt. Das Tolle bei Twigs ist, dass sich in ihren Ohren ein Popsong offenbar genau so anhört. Nach einigen Durchläufen kann man sogar mitsingen und sich vorstellen, was Janet Jackson wohl daraus gemacht hätte. Bisher gibt es "Water Me" nur bei Youtube. Es ist sicher die letzte Gelegenheit, die Musik noch schnell zu hören, bevor FKA Twigs mit ihrer Micky-Maus-Frisur und dem Nasenring zur nächsten Modeikone ausgerufen wird.

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Desaparecidos

Vinylsingle "Te Amo Camila Vallejo" von der Punkband Desaparecidos

Auch das Aufbegehren gehört zum Sommer: Conor Oberst hat seine Punkband Desaparecidos wiederbelebt und eine Reihe von Protestsongs auf Vinyl erstellt.

(Foto: Saddle Creek Records)

Der August 2013 ist auch ein Sommer des Unbehagens, und wer als Künstler nicht von der Flamme des Protests in Brand gesetzt wird (das sind ja die wenigsten), darf seine Solidarität auch gern als Programmmusik ausdrücken. Wie Conor Oberst, früher mal das lungenkranke Darling-Bürschlein des US-Indierock, dem man mit seiner Gruppe Bright Eyes keine drei Jahre mehr gegeben hätte.

Heute, mit 33, ist er ein vielseitiger, belastbarer, lebenskluger Liedermacher. Nun hat er seine Punkband Desaparecidos wiederbelebt und erstellt mit ihr eine Art Katalog des musikalischen Aufbegehrens: eine Protestsongreihe auf Vinylsingles, die man nur auf der Website desaparecidosband.com bestellen kann. Jetzt, als Folge drei: "Te Amo Camila Vallejo" (Saddle Creek Records), ein umwerfendes, naives Marienlied für die chilenische Studentenführerin, mit schweren Gitarren und einem Furor, der in der Popmusik viel zu selten genützt wird, um über die Liebe zu sprechen. Auch ohne Kauf kann man das Stück auf der Homepage anhören.

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