Die CDs der Woche - Popkolumne:Von Ingolstadt nach Rom

Album "Alienation" von Slut

Auf "Alienation" weicht der überquellende Pomp der letzten Slut-Alben endlich wieder konzentrierten Elegien mit beklemmender Tiefe.

(Foto: Cargo Records)

Auf ihrem Album "Alienation" versuchen Slut an Zeiten anzuknüpfen, als unpeinliche Rockgesten auch aus Bayern kamen, und der Soundtrack zum Rom-Film "La Grande Bellezza" versprüht Lebensfreude, Sex und Begehren. Ebenso wie John Mayer, der nicht nur eine beachtliche Liste von Ex-Freundinnen hat, sondern auch perfekte Songs zum Autofahren schreibt. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Scharnigg

Slut

Die Band Slut aus Ingolstadt prägte vor annähernd 15 Jahren eine unorganisierte Cool-Bavaria-Bewegung, zusammen mit den Bands Miles (Würzburg), Nova International (Augsburg) und natürlich The Notwist (Weilheim). So unterschiedliche Nischen diese Gruppen bespielten, gemeinsam sorgten sie doch kurz für ein Gefühl, dass es all das auch in Bayern geben könnte: Popkultur, unpeinliche Rockgesten, schöne Prügeleien.

Das Ganze zerfaserte aber schnell. Slut spielten Brecht, musizierten mit Juli Zeh und wurden vor allem so still, dass diese neue Platte "Alienation" (Cargo Records) schon fast Züge eines Comebacks hat. Sie klingt tatsächlich auch wie eine zarte Variation über die hoffnungsvollen Anfänge einer Rockband: Da ist das immer schöne, immer wehmütige Englisch von Christian Neuburger, das einem doch sehr gefehlt hat, genau wie die Slut-Songs, die hier ganz befreit von Kunstkram zur Abholung an die Bordsteinkante gestellt werden. Sie haben ja immer schon die Rockhymnen gehabt, auch wenn das blöde Wort den komplexen kleinen Kammerspielen bestimmt Unrecht tut.

Der überquellende Pomp der letzten regulären Platte "Still No.1" ist hier wieder konzentrierten Elegien gewichen, die teils eine beklemmende Tiefe bekommen. Es gibt auch Experimente auf dieser Platte, wie das artifiziell-urbane "Broke My Backbone", die aber weniger Eindruck hinterlassen als das ehrliche Song-Handwerk. Irgendwo zwischen Radiohead in der Vor-Computer-Phase und Muse sortiert sich Slut wieder ein und hinterlässt das warme Gefühl, dass es wieder alles geben kann. Ein Fingerschnippen.

La Grande Bellezza

Ein Soundtrack ist dann ein guter Soundtrack, wenn er seinen Film um ein Kapitel erweitert. Ein Kapitel, von dem man im Kino noch nicht genau weiß, dass man es erlebt. Nun ist der Film des Regisseurs Paolo Sorrentino schon für sich ein einziger Sog - Rom als Gully, durch den die ewige, manchmal auch nur sekundenlange Schönheit rauscht, er bräuchte überhaupt keinen Ton. Die Kamera sucht zwei Stunden lang das Flimmern des Tiber, sie inspiziert den Zauber der Nächte und feiert die leeren Straßen. Was kann da für Musik passen?

Soundtrack zu dem Film "La Grande Bellezza" von Paolo Sorrentino

Dem Soundtrack zu dem Film "La Grande Bellezza" strömt Begehren, Sex und unsinnige Freude am Dasein aus jeder Pore.

(Foto: Universal)

Sorrentino entschied sich für einen Mix, der Lebenslust und Harmonia Caelestis vereint, und hat so eine berührende Compilation für Rom-Reisende geschaffen. Da sind respondierende Choralgesänge, die die alten Mauern wunderbare luzide wirken lassen, auf die Renaissance setzt er noch das tränenreiche "My Heart is in the Highlands". So viel Hoffen und Sehnsucht liegt in diesen Sommertagen und dann, ja, dann bricht der Soundtrack diese allzu würdevolle Stimmung und entlädt sich in dem Zumba-Bouncer "Mueve La Colita".

Dazu tanzt die elitäre Partygesellschaft auf den Dächern, so schön und animalisch, die Frauen links, die Männer rechts, und aus jeder Pore pulst Begehren, Sex und unsinnige Freude am Dasein. Diese Marriage aus hitzigem Clubsound und mittelalterlichen Weisen, aus Chor, Mendelssohn und Mambo hätte man so in einer Playlist nie recht verstanden. Zusammen mit den Bildern formen sie genau das, was sie soll: La Grande Bellezza!

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John Mayer

Album "Paradise Valley" von John Mayer

Für das Album "Paradise Valley" hat John Mayer perfekte Songs für lange Autofahrten geschrieben.

(Foto: Sony)

Stop! Bevor man sich das neue Album von John Mayer anhört, sollte man kurz die Liste seiner Lebensgefährtinnen memorieren: Jennifer Love Hewitt, Jessica Simpson, Jennifer Aniston und Katy Perry. Von welcher Warte aus man es auch betrachtet, das ist eindrucksvoll. Mit der aktuellen On-Off-Liebe Perry hat er nun auch ein etwas käsiges Duett auf "Paradise Valley" (Sony) gewagt, das mit der nachdenklichen Zeile ausklingt: "It's who you love, who you love, oooh, your love, yeah yeah yeah."

Ohne gemein sein zu wollen, das ist so ungefähr die durchschnittliche Werktiefe, die der Songwriter Mayer in seinen Texten erreicht. Die Mittel, die er dabei wählt, sind aber durchaus ehrbar. Das ist verspielter Folkpop, sehr eingängig, aber nicht willfährig, Mayer zupft, akzentuiert, zärtelt seine Gitarre und lässt dazu viele Besen über die Snare streichen. Keinesfalls schindet er Hits, und die Bescheidenheit macht ihn natürlich noch sympathischer - nur wenn er allzu rootsklampfig und staubstiefelig vor sich hin jammt, ist es irgendwie ein bisschen zu viel der Introvertiertheit.

"Einen wunderschönen Geist" habe er, attestiert ihm Freundin Perry. Das ist auf dieser Platte nachzufühlen. Und auch, warum ihm die berühmten Damen so ausgeliefert sind. Er hat etwas Bübisches, überhaupt keine Neigung zum Exzess. Diese Kombination schreibt durchaus gute Songs für lange Autofahrten.

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