Die CDs der Woche - Popkolumne:Überirdische Promo und Altrock-Bräsigkeit

Lesezeit: 3 min

Das neue Soloalbum des ehemaligen Gitarristen der Red Hot Chili Peppers John Frusciante: "Enclosure" (Foto: Record Collection)

John Frusciante schickt sein neues Album per Satellit auf die Erde herab, Jan Delay kollidiert mit der Volkstümlichkeit und Fanfarlo stellen mit "Let's Go Extinct" eine flirrende Wunderkammer an Songs bereit. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Scharnigg

Man fragt man sich eher selten, was John Frusciante eigentlich so treibt. Hätte man mal! Jetzt trudelt die neue Soloplatte des Mannes, der einst bei den Red Hot Chili Peppers die Gitarre spielte, im Satellit Sat-JF14 auf einer Erdumlaufbahn. Soll sie Außerirdische anlocken, wie weiland Bach, Beethoven und Chuck Berry an Bord der Voyager-Sonde?

Nein, das Gegniedel von "Enclosure" (180 Records) soll nur Fans auf der Erdoberfläche beglücken, die ihr Smartphone via App zur eigenen kleinen Funkstation machen können und die dann immer, wenn oben der Satellit vorbeirauscht unten ein Stück vom neuen Frusciante-Album hören dürfen. Man ahnt: Überiridische Promo! Und die Mitarbeiter des Plattenlabel klatschen sich zufrieden ab. Was für ein Coup! Dabei ist es doch eigentlich nur so wie die Fetzen Musik, die aus den Autos an der Ampel rüberwehen - und auch etwa so weltbewegend.

Ein unnötiges Raumschiff kommt übrigens auch im Video zu Jan Delays neuem Lied "St. Pauli" vor, nebst einigen absonderlichen Lebensformen, die sich mit, äh, authentischen Kiezgestalten in einer sogenannten Kneipe tummeln. Lied und Video sind allerdings derart missraten, dass man als Betrachter lange Zeit auf irgendeine Erklärung, eine scherzhafte Auflösung des Ganzen hofft.

Die gibt es aber nicht. Delay singt wie ein bräsiger Altrocker im Leopardenhemd: "Wir nähern uns dem Sendeschluss, die Lichter gehen aus, die Träume an (. . .) / Auf St.Pauli brennt noch Licht / da ist noch lange noch nicht Schicht." Herrje, wovon redet der Mann? Sendeschluss, Träume die angehen, Schicht? Ist Kohl noch Kanzler? Der einst smarte Soulquerulant und nölende Crooner ist auf dem Höhepunkt seiner Volkstümlichkeit offenbar mit ebenjener kollidiert.

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Das Video von Jan Delay lässt sich übrigens auf einem Videoportal namens Vevo betrachten. Nicht zu verwechseln mit Musikvideo-Portalen wie Muzu, Tape, Putpat und Imuse. Man muss es mal sagen: Das Netz braucht nicht noch mehr Seiten, die es sich zur Aufgabe machen, Musikvideos zu zeigen und dabei Kunstnamen zu tragen, wie sonst nur Versicherungen oder neue Autos aus Korea.

Jedes dieser Portale schickt im Stundentakt fiese Newsletter, Premieren-Alarme, Pressemitteilungen und sonstige Aufmerksamkeitsbettelei in die Welt, und betrommelt und verstopft so alles mit einer Ware, die ohnehin schon seit zehn Jahren im Verdacht steht, abgelaufen zu sein. Die Idee jedenfalls, ausgerechnet mit Musikvideos im Netz Geld verdienen zu wollen, ist die wirklich so gut, dass es jeden Monat noch jemand versuchen muss?

Aber um auch mal was Nettes zu sagen: Von unerhörter Raffinesse und Größe ist das Album "Let's Go Extinct" der Londoner Band Fanfarlo, das soeben erschienen ist. Wer noch zu romantischen Gefühlen fähig ist, der sollte sich ein bisschen in diese flirrende Wunderkammer vergraben. Das ist genau der geistreiche Pop, wegen dem Menschen seit Jahrhunderten nach England pilgern, er wird gewonnen aus dem Steinbruch der Empfindsamkeit und geformt von schlaksigen Sängern und ihren Gitarren.

Quintett im Zwielicht: die schwedisch-englische Formation Fanfarlo. (Foto: facebook.com/fanfarlo)

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Bestimmt großartig wird auch das neue Album des Wu-Tang Clan, besser bekannt als die Supergroup des Hip-Hop und meistgetaggter Schriftzug an U-Bahnen weltweit. Der Haken an der guten Nachricht ist allerdings, dass nur eine sehr kleine Gruppe Menschen in den Genuss des Werkes kommen wird, das den schön beknackten Titel "The Wu — Once Upon A Time In Shaolin" trägt.

Lässig vorm Konterfei: Das Hip-Hop-Kollektiv Wu-Tang Clan in einer frühen Besetzung. (Foto: wutang-corp.com)

Die Rap-Legenden haben nämlich die Sache mit den Verkaufserlösen und der Musik im Netz mal durchdacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass ein Album wie ein Kunstwerk nur in einer einzigen, originalen Fassung verfügbar sein sollte. Auf einer Auktion soll die Platte deshalb samt Schmuckschatulle versteigert werden. Man kann nur hoffen, dass dabei ein paar Old-School begeisterte Scheichs am Start sind, die ein paar Millionen für die Scheibe hinlegen. Vielleicht macht aber auch einfach ein Plattenlabel ein Schnäppchen.

Womit das Ende dieser Kolumne erreicht wäre. Fast jedenfalls. Wie allgemein bekannt ist, stehen ja jedes Jahr um diese Zeit die Leser auf dem Balkon, warten auf den Satellit von John Frusciante und können sich nicht entscheiden, für welches Musikfestival sie rechtzeitig Tickets ordern sollen.

Denn ein Festival im Jahr muss sein, das ist, wie Jan Delay singen würde "Pflicht", gerade wenn man sich der Ü30-Altersgruppe stark angenähert hat. Aber wohin? Wieder Haldern? Oder mal ins Ausland? Nein. Empfohlen sei hiermit das kleine Festival "Sound Of Bronkow" in Dresden, das sich in den vergangenen Jahren zu einem Schwerpunktkiez für Folk und Singer-Songwriter entwickelt hat. Ein Festival mit Manufactum-Charakter, aber trotzdem flott. Karten sichern!

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

© SZ vom 02.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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