Die CDs der Woche - Popkolumne:Platten, die die Welt bedeuten

Bühne frei: The Notwist und die Hamburger Jungs von Kante bringen Musik heraus, die sie fürs Theater geschrieben haben. Die klingt viel aufregender als bloße Reclam-Bändchen mit Musik.

Von Max Fellmann

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The Notwist

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Quelle: SZ

Wenn man The Notwist ganz gut findet, sollte man das auf keinen Fall öffentlich sagen. Weil sofort fanatische Fans der Weilheimer Band das Wort ergreifen, denen das nicht genügt. Sie bestehen mit so viel Furor und Ausdauer darauf, dass The Notwist nicht nur gut, sondern unglaublich überirdisch einmalig super seien, dass man garantiert irgendwann aufgibt und müde murmelt, jaja, okay, beste Band der Welt, von mir aus.

Und stimmt ja auch, The Notwist machen sehr vieles richtig, sie gehörten zu den ersten, die wilde Indie-Gitarren mit Brotkrümel-Elektronik verbanden, sie können epische Klanglandschaften malen, sie haben ein Gespür für Ohrwürmer. Aber wenn gerade kein Mitglied der Notwist-Armee im Raum ist, darf man auch mal anmerken, dass der betont blutleere Gesang einen oft kalt lässt. Dass sehr vieles von dem Computer-Geplucker als reine l'art pour l'art verlustfrei rausgekürzt gehört. Und dass einem die Anti-Pop-Attitüde der Band - "wir sind doch nur so Typen mit alten Pullovern, die in ihrem Studio ganz, ganz viel rumprobieren" - auch ein bisschen auf die Nerven gehen kann. Große Gesten demonstrativ zu vermeiden, ist schließlich auch nichts anderes als eine große Geste.

Als Kompromissangebot für gemäßigte Notwist-Sympathisanten gibt es jetzt das Album "The Messier Objects" (Alien Transistor). Darauf sind siebzehn Instrumentalstücke zu hören, aufgenommen in den vergangenen Jahren für Theaterproduktionen und Hörspiele. Kaum Songs im eigentlichen Sinne, eher Stimmungen. Verhaltene Klavierakkorde, repetitive Xylophon-Motive, Sample-Schleifen, Synthie-Flirren, ab und zu anschwellende Gitarren, die fast an Westernfilmmusik erinnern. Tonspuren, die unaufgeregt vor sich hin laufen. Das führt nicht zwangsläufig irgendwohin, natürlich, es fehlen ja die Zusammenhänge, in denen die Musik ursprünglich stand, aber auch ohne das Theatergeschehen entsteht da viel Atmosphäre, viel Melancholie, viel Weite. Ziemlich gute Musik für eine Landpartie durch den Schnee an einem grauen Spätwintertag. Ein Ausflug, bei dem es sogar die wirklich beinharten Notwist-Fans und die Nur-ganz-gut-Finder miteinander im Auto aushalten.

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Kante

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Quelle: SZ

Und dann, Zufall, diese Woche gleich noch mal Theatermusik aus Deutschland. Aber ganz anders. Die Hamburger Hamburger-Schule-Band Kante arbeitet seit ein paar Jahren mit der Regisseurin Friederike Heller zusammen, los gings mit Peter Handkes "Spuren der Verirrten" am Burgtheater Wien, Kante schrieben dafür Songs und spielten sie live im Stück. Das passte so gut, dass Projekte in Dresden, München, Berlin folgten. Jetzt haben sie die besten Lieder aus ihrer Theaterarbeit neu aufgenommen und daraus das Album "In der Zuckerfabrik" (Hook Music) zusammengestellt. Im Gegensatz zu Notwist, die fürs Theater Hintergrundmusik ohne Gesang produziert haben, bleiben Kante beim klassischen Song. Strophe, Refrain, Text. Das passt, denn etwas Theatralisches hatten auch frühere Kante-Songs wie "Die Tiere sind unruhig" schon. Die Texte des Sängers Peter Thiessen erinnerten immer an Nachkriegslyrik, an Brecht, an Celan ("Schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie morgens, wir trinken sie abends", das könnte gut auch aus einem Kante-Song stammen) - ideal für das Theater.

Für das neue Album verarbeitet Thiessen auch direkt Elemente der Literaturgeschichte, im Song "Das Erdbeben von Lissabon" zum Beispiel Voltaires "Poème sur le désastre de Lisbonne". Dass aus all dem kein Germanistik-Seminar mit Schlagzeug wird, liegt daran, dass die Band viel Spannung erzeugt, die Musik muss sich nie hinter den Texten verstecken. Man könnte das Ergebnis Erwachsenen-Pop nennen. Das heißt, der Sound ist zwar der einer handelsüblichen Gitarrenband, aber harmonisch traut sich die Band viel mehr, man muss als Hörer bereit sein, Dissonanzen auszuhalten, dann wieder Akkorde, die aus Musicals stammen könnten, schließlich schlägt das Ganze wieder um in eine Art Großstadt-Blues. Am stärksten sind Kante immer dann, wenn sie genau die Balance zwischen Eingängigkeit und Ehrgeiz halten. Wie in "Morgensonne", einem Lied, das erst mit wütenden Indie-Gitarren losbricht, über die sich dann aber Chöre in wundersamen Tonartwechseln ausbreiten. Man darf annehmen, dass Thiessen in seinem Leben eine ganze Menge Beach Boys gehört hat. Zugegeben, manchmal wird "In der Zuckerfabrik" auch ein bisschen akademisch, die Sophokles-Vertonung "Glückselige solcher Zeit" klingt dann doch eher nach Reclam-Bändchen mit Musik. Aber ein Country-Schmachtfetzen wie "Donaudelta" versöhnt einen sofort wieder.

Das ist eben der Spagat, den Kante auf diesem Album versuchen - und hinkriegen. Im Gegensatz zum Notwist-Album, das stimmungsvoll unaufgeregt im Hintergrund laufen kann, drängt sich die Zuckerfabrik aber mehr auf, will gehört werden, kann anstrengen. Schön, diese Woche die Wahl zwischen zwei so gelungenen Alben zu haben.

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