Die CDs der Woche - Popkolumne:Schaurig wie im Fernsehgarten

Deutsche Musiker gratulieren Leonard Cohen mit einer Tribute-Compilation zum 80. Geburtstag. Doch Peter Maffay, Nina Hagen, Jan Plewka und Co. zollen allzu ehrfürchtig Tribut und stolpern zu zaghaft durch die Lieder. Solche Geschenke überreicht man ungern. Die Popkolumne.

Von Max Scharnigg

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Poem: Leonard Cohen in deutscher Sprache

Leonard Cohen wird 80

Quelle: dpa

Ein an dieser Stelle seltenes, politisches Stirnrunzeln vorab. Es ist zu bedauern, wenn der Sprachgebrauch das Wort "Alternative" plötzlich nicht mehr einen sympathischen Musikstil zuschlägt, sondern einer unsympathischen Partei.

Ein Album zum 80. Geburtstag von Leonhard Cohen, das klingt nach einer netten Idee, wenn auch zweifelhaft ist, wer eigentlich genau der Adressat einer so gut gemeinten Gabe namens "Poem: Leonard Cohen in deutscher Sprache" (Columbia) sein soll. Und wo man schon beim Zweifeln ist: Ist der Reflex, eine deutsche Tribute-Kompliation zu machen, ein richtiger, wahrhafter Reflex? Hat je jemand den Wunsch geäußert, "So Long Marianne" von jemandem anderem zu hören als dem einmaligen Cohen? Bei ihm kriegt man es auch zum hundertsten Mal wieder neu, er schafft es, dass man darin immer wieder etwas anderes findet, Weh- und mal Übermut in immer neuen Dosierungen, es reißt einen zuverlässig um. In der Version von Mrs. Greenbird, einem kurzzeitig mit TV-Ruhm bekleckertem Kölner Folkduo, ist es nicht mehr als ein kitschiges Vorantasten in Regionen, in denen den Herrschaften ein bisschen die Übersicht fehlt. Stärkstes Empfinden beim Hören dieser CD bleibt deshalb Losbuden-Spannung: Werden Maffay, Nina Hagen, Jan Plewka und Co, werden diese äh, gestandenen Kunsthandwerker ihre Aufgabe vergeigen? Oder gelingt ihnen irgendein Mehrwert in der deutschen Version? Nun, meistens nicht. Das Problem ist, dass sie allzu achtsam, allzu ehrfürchtig Tribut zollen, zu zaghaft durch die Lieder stolpern und mit den übersetzten Texten ihre Not haben. Denen fehlt sehr die larmoyante Eleganz des Englischen, nicht selten klingen sie nach etwas angejährter Predigerpoesie. Gut ist die "Democracy"-Version der Fehlfarben, und Reinhard Mey, der nüchtern und klar den "Famous Blue Raincoat" angeht. Da ist dann jeweils ein Draht zu hören, zwischen Cohen und Neu-Interpret und gleichzeitig das Selbstbewusstsein, einen eigenen Ton beizubehalten. Am schaurigsten ist leider das unsterbliche "Hallelujah", das in einer Gemeinschaftsarbeit der Mitwirkenden eingesungen wurde. Das ist dann wirklich ZDF-Fernsehgarten. Solche Geschenke überreicht man ungern.

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Wooden Arms: Tide

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Quelle: Butterfly

Lieber zu Neuem! Keine halbe Stunde lang ist das erste Lebenszeichen der Wooden Arms, einer sechsköpfigen britischen Band, die sich selbst dem Genre Alternativ Kammermusik zurechnet. Nach dem Hören von "Tide" (Butterfly) braucht man genau so viel Zeit, um aufzutauchen und Luft zu kriegen. Was sie darbieten, ist eigentlich ein gewohntes Muster der letzten zehn Jahre. Ein Instrumentarium der Klassik, mit Violine, Cello, Piano, und dazu chorale Arrangements in zeitgemäßer Songstruktur, mit aktuellen Jungmenschen-Sorgen verknüpft. Leises Crescendo, Schicht auf Schicht, Zärtelei und Hauch, Pathos und wohldosierte Wucht im rechten Moment. Jedes Lied ein epischer Aufwurf, eine Gebirge auf leisem Grundton, dessen Gipfel sacht im Nebel der Klangschwaden verschwinden. Viel Schönheit, viel Musik. Große Empfehlung für alle, die Get Well Soon und die frühen Arcade Fire vermissen.

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Die Sterne: Flucht in die Flucht

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Quelle: Staatsakt

Auch Die Sterne, deren neue Platte Ende August erschienen ist, müssen dringend noch erwähnt werden. Weil ja eben, Hamburger Urgestein, Weggefährten von Blumfeld und Tocotronic, dabei aber nie auf deren Meta-Diskursebene angelangt. Sondern handfest, was den Funk anging, immer noch die alten Tanzschuhe an, mit zuverlässig großen Momenten auf ihren Platten in den Neunzigern. Auch "Irres Licht" und "Räuber und Gedärm" waren noch strahlende Werke, die Geist und Galopp hatten, Gipsbein und irren German-Gypsie. "Flucht in die Flucht" (Staatsakt), das neue Album, hat nun den gleichen Blues, der auch schon in Frank Spilkers Debütroman durchklang. Kein guter Blues. Keiner, der dem nahen Sensenmann der Popgeschichte ins Gesicht lacht, sondern zänkisches Unzufriedensein mit der Welt und dem Älterwerden. Am schlimmsten ist dieses Selbstmitleid in dem Erzählstück "Innenstadt Illusion", bei dem Spilker lahm die Gentrifizierung beweint. Traurigsein ist okay im Pop, aber wehleidig, das funktioniert nie recht. Musikalisch drückt sich dieser Weltschmerz diesmal in Störrauschen, viel Experimental-Verzerrtem aus und der Geisterbahn-Orgelei, die sie schon immer hatten, aber diesmal eben: keine nette Geisterbahn, sondern echter Grusel. Die Moritat "Ihr wollt mich töten" hat zusammen mit dem schnellen "Flucht in die Flucht" noch am meisten vom alten Schalk. Im Rest ist viel Durchsatz und wenig Idee, das bunte Bonbon, das die Band immer dabei hatte, scheint irgendwie gelutscht zu sein. Ausführliche Würdigung folgt zum nächsten Album.

© SZ vom 17.09.2014/tgl
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