Die CDs der Woche - Popkolumne:Auf zur emotionalen Erdung

Keine Beats und keine Hooks: Der neuen Platte "Privateering" von Mark Knopfler fehlt vieles, was Pop heute auszumachen scheint, und trotzdem sprang sie von null auf Platz eins der deutschen Charts. Denn der begnadete Kunsthandwerker schafft ein "easy" Wohlgefühl, das längst auch das Feld von jüngeren Bands wie Colossal Gospel ist. Hören Sie selbst in unserer aktuellen Popkolumne.

Andrian Kreye

Die CDs der Woche - Popkolumne: Von null auf Platz eins der deutschen Charts: Gitarren-Veteran Mark Knopfler mit seinem siebten Solo-Album "Privateering".

Von null auf Platz eins der deutschen Charts: Gitarren-Veteran Mark Knopfler mit seinem siebten Solo-Album "Privateering".

(Foto: Mercury)

Mark Knopfler

Es war zunächst einmal erstaunlich, als Mark Knopfler in der zweiten Septemberwoche mit seinem siebten Soloalbum von null auf Platz eins der deutschen Charts einstieg, als sei er einer dieser Popstars ohne Nachnamen. "Privateering" (Mercury) fehlt so ziemlich alles, was Pop aufregend macht. Es gibt keine Beats, keine Hooks, nur reinstes Kunsthandwerk - Blues, Folk, Country und ein wenig von jenem keltischen Geflöte, das trotz Seifenwerbung und Riverdancern immer noch den Geschmack bodenständiger Trunkenheit vermitteln kann.

Solo geht Knopfler da auch noch ein paar Schritte weiter als mit seiner Band Dire Straits. Die produzierte ausgerechnet zum Höhepunkt der aufgeregten Punkjahre mit ihrem unaufgeregten Herumgeshuffle Hits für eine schweigende Mehrheit.

Wenn sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Sein aktueller Siegeszug ist allerdings keineswegs so antizyklisch wie 1977. "Privateering" zementiert die heutige Definition von Easy Listening. Was derzeit unter dem politisch korrekten Rubrum "Americana" ein Revival feiert, mag stilistisch und in der Wirkung das genaue Gegenteil von eingeführten Easy-Listening-Formaten sein. Aufwendig arrangierte Wohlklänge sollten von Frank Sinatra bis Celine Dion den Druck aus dem Alltag nehmen und eine musikalische Wohlfühlzone schaffen. Americana (und die Kelten funktionieren genauso) muss dagegen rau aufstoßen. Sie reicht in die Kindheit und Jugend der Älteren, als Bob Dylan Frank Sinatra als Leitfigur der Popkultur ablöste.

In ihren jüngsten Inkarnationen schafft die Americana Musik mit ihrem urwüchsigen Minimalismus aus den Urzeiten des Pop, mit Folk- und Slide-Gitarren, mit den Marschtrommeln des frühen Blues und den Klaviermotiven des Ragtime die emotionale Erdung des scheinbar heillos fragmentierten Selbst. Weil Pop Gefühle aber nur für ein paar Minuten schaffen kann, reduziert Americana die begehrte Authentizität zu einem "easy" Wohlgefühl.

Colossal Gospel

Das Wohlgefühl dieser Art ist aber längst nicht mehr allein das Feld von Veteranen wie Knopfler und Dylan. Immer öfter sind es gerade jüngere Bands, die solche Erdungen hinbekommen. Wilco, die Fleet Foxes oder (aus der keltischen Ecke) Mumford & Sons gehören einer musikalischen Volksbewegung an, die von Hausmusikabenden in Brooklyner Hipsterbars über Provinzlabels bis in die großen Hallen Europas wirkt.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Hymnische Choräle über träumerischen Folkmustern: Colossal Gospel auf "Circles".

Hymnische Choräle über träumerischen Folkmustern: Colossal Gospel auf "Circles".

(Foto: Autumn Tone)

Colossal Gospel aus Alabama sind zwar nur eine dieser unzähligen neuen Bands, aber sie haben die wichtigste Facette des Gefühlsspektrums, das die Americana bedient, derzeit am besten im Griff: das archaische Zugehörigkeitsgefühl. In einer Popkultur, die Vereinzelung und Entfremdung bis zur Erschöpfung vorangetrieben hat, trifft das einen Nerv.

Wenn Sie diese Songs nich hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Der musikalische Trick, den sie dabei anwenden, ist verblüffend effektiv: Sie spielen auf eine christliche Spiritualität an, die in der oft so schmerzhaften Frühgeschichte der USA bis ins 20. Jahrhundert hinein eine unerschütterliche Form von Geborgenheit schaffen konnte.

Auf "Circles" (Autumn Tone) klingen über den träumerischen Folkmustern jene hymnischen Choräle noch viel direkter an, die auch bei den Fleet Foxes dieses Gemeinschaftsgefühl der Erweckungs- und Pfingstkirchen für ein weltliches Pop-Publikum simulieren. Überzeugend.

Country Soul Sisters

Die CDs der Woche - Popkolumne: Das Londoner Label Soul Jazz Records führt auf dem Sampler "Country Soul Sisters" vor, welche gesellschaftliche Relevanz Americana haben kann.

Das Londoner Label Soul Jazz Records führt auf dem Sampler "Country Soul Sisters" vor, welche gesellschaftliche Relevanz Americana haben kann.

(Foto: Soul Jazz Records)

Und da liegt dann auch der Unterschied zum traditionellen Easy Listening. Der Eskapismus der Americana ist keine romantische Verklärung der Welt, sondern eine nostalgische Sehnsucht nach dem Echten. Das Authentische finden viele neue Bands. Und die Hörer landen oft bei den Originalen. Das stil- und zielsichere Londoner Label Soul Jazz Records hat gerade den Sampler "Country Soul Sisters" veröffentlicht, der mit 25 Songs aus den Jahren 1952 bis 1974 vorführt, welche gesellschaftliche Relevanz Americana haben kann.

In dem tendenziell reaktionären Genre aus Nashville wirkten die Befreiungsschläge, mit denen sich Dolly Parton, Bobbie Gentry oder Patsy Cline vom devoten Rollenverhalten befreiten, gerade deswegen so nachhaltig, weil sie ihren emanzipatorischen Furor in die klassischen Liebesgeschichten des Country verpackten.

Und weil die Einflüsse des Soul damals auch an Nashville nicht spurlos vorübergingen, hat ihre Musik heute noch eine Bedeutung, die weit über die Grenzen des Genres hinausreicht. Funky Bläsersätze und melancholische Slide-Gitarren passen da gut zusammen, auch wenn man annehmen muss, dass die Auswahl der Songs mit Hipster-Ohren die Relevanz hier sehr befördert hat.

Fortlaufende Popkolumne der SZ:

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: