Die CDs der Woche - Popkolumne:Mixed-Media-Paket mit Humor

Sophie Hunger verkündet auf "The Rules of Fire" überzeugend universelle Künstler-Gebote. Auf "Pressures" von Unmap pulst Berlin neu weiter. Aber warum macht sich One Direction noch die Mühe, 18 neue Songs auf einmal auf den Markt zu werfen? Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Scharnigg

Sophie Hunger

Kein Anbiedern, kein Kleinklein, kein Größenwahn. Sophie Hunger ist extrem gut im alten, handgemachten Sinne. Darüber hinaus ist sie immens fleißig und ihr Auftritte von der Sorte, dass man als Zuhörer hinterher überlegt, mal wieder Tagebuch zu schreiben. Jetzt präsentiert die Schweizer Künstlerin mit "The Rules Of Fire" (Two Gentlemen) ein opulentes Mixed-Media-Paket, das zwar die Zielkoordinaten "Gabentisch" trägt, dabei aber zu den vernünftigen Geschenk zu rechnen ist.

Sophie Hunger The Rules of Fire

Lust, wieder Tagebuch zu schreiben: Das entfacht Sophie Hungers Album "The Rules of Fire" beim Zuhörer.

Da ist zunächst ein Werk des Filmemachers Jeremiah, der sie bei ihrer Tournee durch Europa begleitet und in seinen Bildern viel von dieser geheimnisvollen Hunger-Mischung aus zärtlicher Introvertiertheit und unbedingter Kraftentfaltung einfängt. Im Prolog des Filmes verkündet Hunger jenes Credo, das dieser ganzen Veröffentlichung Namen und Fundament gibt - ihre zehn Rules Of Fire sind universelle Gebote für Künstler, darunter Regel Nummer fünf: "Gehe niemals mit einem Drink in der Hand oder der Hand in der Hosentasche auf die Bühne" oder das allgemeingültige "Never try to please!" als letzte Regel. Diese weisen Worte erlebt man dann umgesetzt auf den beiden Platten des Pakets, ein Live-Album und eine Sammlung von B-Seiten und Sonderversionen.

Beides sind vollwertige und höchst unterhaltsame Wanderungen am Horizont der Hunger, der sich von beinah klassischer Pianoarbeit über aberwitzigen Mundart-Jazz bis hin zu feinen Folk-Blues-Irgendwas-mit-Pop erstreckt, Songwriterarbeit eben, immer hintergründig aber niemals unzugänglich. Gerade die Konzertmitschnitte offenbaren eine weitere wichtige Seite an ihrem Schaffen: Humor. Ihre heiter-kritischen Texte, ihre Bereitschaft von einem Lied aufs andere komplett neue Energien zu mobilisieren, das Polyglotte, das Dunkle bei gleichzeitiger Wahrung sympathischer Offenheit, das alles hinterlässt beim staunenden Betrachter und Zuhörer das Gefühl, mehreren Künstlerinnen zu folgen. Obwohl (oder doch: weil?) Hunger sich an ihre zehnte Regel hält, werden die Spielorte größer, die Konzerte ausverkaufter und wenn man alles Film-B-Seiten-Tralala abzieht, ist immer noch ihre wunderbare Stimme da. Große Sache.

Unmap

Was ist Berlin? Diese Frage muss sich jeder stellen, der noch ein paar wache Musiksynapsen hat. Und die Antwort ist jede Woche eine neue. Im Falle von Unmap, deren Album "Pressures" beim sympathischen Sinnbus-Label erschienen ist, ist Berlin eine düstere Ton-Projektion an Sichtbetonwände.

Pressures Unmap

Berlin ist "Pressures" von Unmap zufolge eine düstere Ton-Projektion an Sichtbetonwände.

Die Band, zu der neben der irischen Performancekünstlerin Mariechen Danz (kein Künstlername!) auch Alex Stolze von Bodi Bill gehört, hat einen Sound gefunden, der gleich weit vom aktuell hellen Clubsound wie auch vom trippig-düsteren Synth-Elektronik der 90er-Jahre entfernt ist.

Was sie hier neu aufbauen sind stringent-abgemagerte Schaltpläne aus Bitrascheln, Klimpereffekten, ungesund pulsenden Beats und Mariechens Stimme, die mal emotionslos, mal fragmentiert und oft auch liebenswert-pointiert ins Dunkle leuchtet wie eine Taschenlampe. Ja, es ist Musik und zwar sinnliche, die sich aber in eine strenges Korsett zwängt. Der Kontrast ist reizend, der Klang sehr international, Berlin pulst neu weiter, gut so.

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One Direction

One Direction Midnight Memories

Disney-Waschung unterzogen, auch auf "Midnight Memories": One Direction.

Die Radiowerbung vermeldete vorgestern, mit One Direction hätte die beliebteste Band der Welt ihr neues Album veröffentlicht. Hä, wer? Ach, die fünf süßen Jungs aus England! Die zuletzt so unverfroren waren, das eherne "Teenage Kicks" der Undertones einer Disney-Waschung zu unterziehen und damit das Grab von John Peel zu schänden. Die also sind heute mit knapp 23 Mio. Facebook-Likes und ebenso vielen Twitter-Followern tatsächlich Großkonzern in Sachen leichte Pop-Muse und wer so mannigfaltig verehrt wird, muss ja zweifellos viel richtig machen.

Die erste Single von "Midnight Memories" (Sony), vorsichtig "Best Song Ever" genannt, ist ein launiges Stückchen Knallpoprock, wie er seit Sunrise Avenue so gerne als Soundbett für alles Mögliche genommen wird. Doch, das sitzt schon, klatscht gut mit und zackbumm macht das programmierte Schlagzeug. In der Folge verwässert das Ganze recht zügig, was einfach an der schieren Länge liegt.

Warum nur machen sich derart hochgezüchte Bands noch die Mühe, 18 neue Songs auf einmal auf den Markt zu werfen, statt wieder den guten alten Single/Monat-Rhythmus aufzugreifen, mit den schon andere Jungsbands aus England vor sehr langer Zeit die Welt in Atmen hielten? Ach egal, Radiowerbung on!

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