Die CDs der Woche - Popkolumne:Hoffnung in großen Eimern

Selten erscheinen um die Jahreswende wichtige Alben - also erinnern wir uns nochmal an das Pop-Jahr 2012. An ein kleines Wunder mit dezentem Prunk, das allerletzte Ende des Jungsseins in den Neunzigern und einen Hoffnungschimmer inmitten biedersten Mittelmaßes.

Zum Lesen und Hören in unserer Popkolumne. Von Max Scharnigg

Um die Jahreswende erscheinen selten wichtige Alben. Ein guter Zeitpunkt also, um das Pop-Jahr 2012 zu resümieren. In den vergangenen beiden Wochen bekannten sich schon Karl Bruckmaier und Max Fellmann zu ihren Platten und Pop-Momenten des vergangenen Jahres, heute ist Max Scharnigg am Zug. Es folgen Jens-Christian Rabe, Joachim Hentschel und Jan Kedves.

Bill Fay

Bill Fay

"Life is People" von Bill Fay - ein kleines Wunder.

(Foto: Dead Ocean Records)

Der britische Sänger Bill Fay nahm Ende der Sechzigerjahre zwei Platten mit schönem, zarten Klavierfolk auf. Der Erfolg hielt sich jedoch in engen Grenzen und so verschwand er in den Siebzigerjahren im Treibsand des Wohlwollens. Wäre es dabei geblieben, wäre es nur ein Künstler-Schicksal von vielen gewesen.

Aber bei Bill Fay gab es noch einen Puls, kaum zu spüren, aber irgendwas hatte von ihm überlebt, und dreißig Jahre nach seiner ersten Plattenveröffentlichung brachte 1998 das kleine Label See For Miles Records seine alten Werke auf CD heraus. Damit war Fay zwar noch lange nicht zurück auf der Agenda, aber sehr langsam klagte sich sein altes Piano bis zu den richtigen Ohren durch. Wilco luden ihn 2007 auf ihre Bühne ein und dann hatte Joshua Henry eine gute Idee.

Der junge amerikanische Produzent war mit Bill-Fay-Liedern aufgewachsen, es waren die Lieblingsplatten seines Vaters gewesen. Als Henry nun erfuhr, dass es diesen Bill Fay noch gab und er sogar niemals aufgehört hatte, Songs zu schreiben, brachte er die Dinge um den alten Mann noch mal in Bewegung. Am Ende seiner Bemühung lag mit "Life Is People" (Dead Oceans Records) im Frühherbst ein nagelneues Bill-Fay-Album vor, nach vierzig Jahren ohne einem neuen Ton von ihm - ein kleines Wunder. Und eines, das man umso mehr begrüßt, als die Platte wirklich toll geworden ist.

Fay singt leise und mit dezentem Prunk von all den Dingen, die ihm in diesen vierzig Jahren der Stille klar geworden sind. Es ist ein stellenweise sakral-andächtiges Stück Musik geworden, das trotzdem modern und zeitgemäß klingt. Ein geheimnisvoller Mann am Klavier erzählt Geschichten vom Leben - da ist die Popkultur dann doch wieder dabei.

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Adam Yauch

Als der Beastie Boy Adam Yauch aka MCA am 4. Mai des Jahres den Kampf gegen den Tumor in seiner Ohrspeicheldrüse verloren hatte, hatten auch viele andere Dinge diesen Kampf mit ihm verloren: die Skateboards unter den Betten ehemaliger Jungs; die Erinnerungen an Klassenpartys, die nur deswegen gut waren, weil MCA und seine Zeilen so radikal Spaß einforderten; die ausgewaschenen Supreme-T-Shirts und kopierten Videos, bei denen spindeldürre Typen zu "So What'cha Want" in kalifornischem Sonnenlicht von ihren Brettern auf die Schnauze knallten und danach trotzdem in die Kamera lachten.

Adam Yauch

Adam Yauch im Oktober 2010 in New York.

(Foto: AP)

Yauchs Tod war das allerletzte Ende des Jungseins in den Neunzigerjahren, das die Beastie Boys wie keine andere Band gefeiert, hinausgezögert und mühelos auf etwa fünfundzwanzig Jahre verlängert hatten. Und er war eigentlich der erste Tote einer blendenden Loser-Mannschaft, zu der auch Spike Jonze, Johnny Knoxville, Wes Anderson, Beck und Sofia Coppola gehören.

Sie alle feierten und feiern mit ihrer Kunst seit jeher das Nicht-Erwachsenwerden, die prägende Sehnsucht der letzten Generation des vergangenen Jahrtausends. Adam Yauch und seine Beastie Boys hatten immer den richtigen Beat für diese Sehnsucht parat.

Kraftklub

Es war mal wieder eine deutsche Gala von biederstem Mittelmaß, mit der sich die Musikwirtschaft im März beim "Echo 2012" im Fernsehen präsentierte: Barbara Schöneberger und Ina Müller moderierten sich hektisch durch übliche Verdächtige wie Udo Lindenberg, Helene Fischer, Rammstein und die Toten Hosen.

Und zwischendurch schwenkte die Kamera durchs Publikum und fand immer nur den milde lächelnden Dick Brave. Aber in diese gekonnt sedierte Stimmung ballerte sich im letzten Drittel die Chemnitzer Band Kraftklub mit ihrem Auftritt und es war, als würde eine Kaffeefahrt an den Klippen zerschellen.

Sänger Felix Brummer wütete sein "Songs für Liam" mit derart erfrischender Rotzigkeit zwischen die Stuhlreihen, dass man noch in der gleichen Minute Hoffnung für den hiesigen Popnachwuchs schöpfte - und zwar in großen Eimern. Kraftklub sind klug, gewitzt und gleichzeitig frei von Dünkeln, die sich Alternativ-Bands gerne selbst in den Weg legen. Ihr Sound geht gut nach vorne los und gibt tatsächlich: Kraft.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Kraftklub "Mit K"

Kraftklub "Mit K"

(Foto: Vertigo Berlin (Universal))

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