Die CDs der Woche - Popkolumne:Hintersinn aus dem Off

Die CDs der Woche - Popkolumne: Hercules & Love Affair machen ganze heiße Musik - und zuweilen eher mäßig geschmackvolle PR.

Hercules & Love Affair machen ganze heiße Musik - und zuweilen eher mäßig geschmackvolle PR.

(Foto: Imago Stock&People)

Andrew Butler, Kopf von Hercules & Love Affair, ist stolz darauf, was sich Gastsänger John Grant auf der neuen Single "I Try To Talk To You" traut. In dem Lied wird Grant tatsächlich ziemlich persönlich, obwohl der Hörer das erst gar nicht merkt. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Fellmann

Was der New Yorker Andrew Butler unter dem Namen Hercules & Love Affair produziert, gilt seit Jahren regelmäßig als die ganz heiße neue Musik. Ende des Monats erscheint nun ein neues Album seines Indie-Disco-Projekts, und für das Lied "I Try To Talk To You", jetzt schon im Internet zu hören, hat er den ebenfalls schwer umjubelten Indie-Crooner John Grant ans Mikrofon gebeten.

Der Song schwankt seltsam zwischen Schwermut und Übermut - vor allem aber ist Butler stolz darauf, wie viel sich er und sein Sänger trauen: "Ich habe John gebeten, beim Text richtig in die Tiefe zu gehen. Jetzt singt er darüber, wie er HIV-positiv wurde." Das hat in den Musikblogs für Aufregung gesorgt. Offensichtlich genau der Effekt, den Butler erreichen wollte. Denn hätte er nichts erzählt, der harmlose Herzschmerz-Text allein hätte niemanden etwas ahnen lassen. Eher mäßig geschmackvoll, dieser PR-Stunt.

Manchmal genügt ein verblüffend simpler Kniff, um einen Klassiker auf den Kopf zu stellen. Zurzeit macht ein schon etwas älteres Internet-Video die Runde, in dem jemand die Single "Jolene" von Dolly Parton einfach in langsamerer Geschwindigkeit laufen lässt (gut zu finden mit den Stichworten "Jolene" und "33 rpm"). Und das Ergebnis ist nicht albern, sondern ergreifend: Im Original war "Jolene" ein etwas zu hektisches Lied, dessen hibbelige Country-Energie gar nicht richtig zum traurigen Text ("Jolene, nimm mir nicht den Mann weg") passen wollte.

Langsamer abgespielt wird Dolly Partons Piepsstimme zum rauchigen Alt, die gebremsten Gitarren verbreiten herbes Americana-Gefühl, und das Lied verströmt plötzlich eine Wehmut, als hätte die zermürbte Dolly den Kampf gegen Jolene schon vor vielen Jahren verloren. Viel besser als im Original.

Tune-Yards

Kurzer Hype-Check: Was taugen eigentlich die Tune-Yards wirklich? Bei dem kalifornischen Duo riecht es so sehr nach Hipstertum, dass einem schon beim Aufzählen der Eckdaten ein Schnurrbart wächst: erstes Album mit einem tragbaren Kassettenrecorder aufgenommen; eine Live-Besetzung mit Computer, Ukulele, Bass und Bläsern; Rolling Stone, Time, Spin und New York Times ernannten das letzte Album "Whokill" zu einem der wichtigsten des Jahres 2011. Puh. Werden die dem Lob gerecht?

Die neue Platte heißt "Nikki Nack", will erkennbar etwas Besonderes sein und ist dann tatsächlich spannend. Merkwürdige Stop-and-go-Rhythmen, Dub-Bässe, Gesang und Percussion stark von afrikanischer Folklore geprägt, dazu schräg reinschwebende Doo-Wop-Chöre und bratzige Synthesizer aus dem Kästchen mit den 80er-Zitaten. Ziemlich sperrig, oft etwas arg gekünstelt - und doch rätselhaft eingängig, vom ersten Moment an. Es wird sich lohnen, das so lange zu hören, bis es einem völlig selbstverständlich erscheint.

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Kürzlich ging es an dieser Stelle um die Pixies und ihr erstes neues Album nach 23 Jahren. Und so schön es ist, die Independent-Helden zurückzuhaben - dass die Bassistin und Sängerin Kim Deal nicht mehr mitmachen will, ist ein Jammer. Aber welche Kriterien müssen eigentlich erfüllt sein, damit eine Reunion als gelungen gilt? Van Halen: alle wieder dabei, aber nicht der Originalbassist. Nun ja. The Specials: sechs von sieben Mitgliedern dabei - aber ausgerechnet Jerry Dammers, der Erfinder der Band, nicht. Punktabzug.

Ton Steine Scherben

Ton Steine Scherben: diesen Sommer wieder live unterwegs, obwohl Rio Reiser längst tot ist. Absurd. Eins aber ist auf jeden Fall klar: Bei all diesen Wiedervereinigungen geht es um die Romantisierung der Vergangenheit. Der Fan will, dass für einen Moment noch mal alles (vielleicht auch sein Leben) so ist wie früher. Also muss die Rekonstruktion möglichst detail- und personalgetreu ausfallen. Aber selbst wenn alle brav mitmachen, kann alle Romantik sofort dahin sein, da reichen im Zweifel schon ein paar falsche Worte im richtigen Moment.

Die Libertines werden im Sommer im Londoner Hyde Park in Originalbesetzung auftreten, Sensation, aber Pete Doherty, der für den Auftritt angeblich eine halbe Million Pfund kassiert, verkündete jetzt in einem Interview: "Natürlich machen wir das wegen des Geldes, wir haben doch auch unsere Platten nur wegen des Geldes aufgenommen, warum sonst?" Anders gesagt: Wenn ein Star so demonstrativ auf den Idealismus seiner Fans pfeift: Dann ist das möglicherweise trauriger, als wenn von der Originalbesetzung nur noch der Tontechniker dabei ist.

Zuletzt noch Neues von den Roots, die man nicht genug rühmen kann für ihre nimmermüden Bemühungen, das Hip-Hop-Vokabular zu erweitern. Im Frühsommer wird ein neues Album erscheinen, die erste Single ist jetzt schon zu hören, sie heißt "When The People Cheer" und überrascht mit melancholischem Klavier und einem Rap, der fast schon richtiger Gesang ist. Ein Stück, das nie richtig loszulegen scheint - und gerade deshalb eine neue Farbe ins Spiel bringt. Zurückhaltung gehörte schließlich bisher nicht gerade zu den Primärtugenden des Genres.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

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