Die CDs der Woche - Popkolumne:Geflüsterte Hymnen

Purity Ring - Cover Another Eternity

Wie überraschend oft im zeitgenössischen Pop der Fall, liegen auch auf dem Album "Another Eternity" von Purity Ring Avantgarde und Mainstream nah beieinander.

(Foto: OH)

Sachte, ohne wehleidig zu werden - Matthew E. Whites neues Album "Fresh Blood" ist wieder ein kleines Opus magnum geworden. Die Frontfrau von Pollyester gibt sich hingegen lässig gelangweilt und Purity Ring machen Fahrstuhlmusik für Hipster.

Von Jens-Christian Rabe

Diese Poptage sind noch immer überschattet von der Studie zur Verteilung der Streaming-Einnahmen, die der Verband der französischen Musikindustrie beim Wirtschaftsprüfer Ernst & Young in Auftrag gegeben hatte. Ergebnis: Von den 9,99 Euro, die ein Kunde eines Dienstes wie Deezer oder Spotify monatlich überweist, landet nur ein erschreckend geringer Teil direkt bei den Künstlern, was erklärt, warum ihr Unmut zuletzt immer größer wurde.

Für die Künstler bleiben von den knapp 10 Euro nicht mehr als 0,68 Cent, die Labels können dagegen stattliche 4,56 Euro unter sich aufteilen. So viel zur Popökonomie.

Ach so, stimmt, Gott sollte ihm ja helfen

Lohnender, als auf die paar Cent von den Streaming-Diensten zu warten, erscheint da heutzutage, um jeden Preis das ganz große Spektakel zu veranstalten. Womit wir direkt bei Kanye West wären, der irre fleißig für sein neues Album wirbt, das für seine Verhältnisse seltsam bescheiden "So Help Me God" heißen soll.

War er nicht gerade eben selbst noch ein Gott? Egal. Gerade hat er sogar eine Vorlesung in Oxford über Wirtschaft und Netzwerken gehalten. Und in den deutschen Single-Charts ist er mit Rihanna und "Fourfiveseconds" auch schon auf dem fünften Platz.

Nur wer ist der Mann, der da im Hintergrund im Video so zurückhaltend Gitarre spielt? Paul McCartney? DER Paul McCartney? Allerdings. Ach so, stimmt, Gott sollte ihm ja helfen. Konsequenter als Kanye geht das Geschäft mit dem Ruhm derzeit wirklich keiner an.

Voller toller seltsamer Widersprüche

Die Platte der Woche hat trotzdem der amerikanische Sänger und Songwriter Matthew E. White aufgenommen. Sein neues Album "Fresh Blood" (Domino) ist, wie schon der 2012 erschienen Vorgänger "Big Inner Whites", ein kleines Opus magnum des Neo-Soul-Folks, nur im Ganzen noch einmal runder und besser.

Und voller toller seltsamer Widersprüche, Hymnen werden hier zum Beispiel gerne nur geflüstert oder geraunt. Sachte, sachte, aber nie wehleidig, nur gerade so vorsichtig, dass die Gefühle nicht mit zu viel Emotionen zertrampelt werden. Fabelhaft.

Vor ein paar Tagen hat die bezaubernde Münchner Bassistin und Sängerin Polly Lapkovskaya alias Pollyester in den hiesigen Kammerspielen rauschend ihr feines neues Neo-Disco-Album "City Of O." (Disko B) vorgestellt.

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Und allein wie sie auf dem ziemlich unwiderstehlich federnd-pumpenden "In My Boots" singt und spricht, lässig gelangweilt mit leichtem osteuropäischem Akzent - allein das kann einen grauen Morgen retten. Womöglich sogar ein ganzes graues Wochenende.

Man nannte es auch Witch House

Nicht ganz so glücklich macht leider das neue Album "Another Eternity" (4AD) des kanadischen Duos Purity Ring. Wobei man fairerweise sagen muss, dass die Sängerin Megan James und der Produzent Corin Roddick in gewisser Weise Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden sind - und der Tatsache, dass Avantgarde und Mainstream im zeitgenössischen Pop oft viel enger beieinander liegen, als man im ersten Moment glauben würde. Ihr düster-sphärischer, von Dubstep-Beat-Puzzlen angeschobener elektronischer Pop mit eher verstörend-zerstörerischen Ansichten zu Nähe und Liebe wurde vor drei Jahren, da erschien das Purity-Ring-Debüt "Shrines", als die Zukunft des Pop hoch gehandelt.

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Man nannte es auch Witch House. Mittlerweile klingt die Musik regierender Highscore-Mainstream-Popstars wie Katy Perry, Rihanna, Taylor Swift oder Miley Cyrus exakt so wie Purity Ring damals. Und, gelingt es ihnen noch einmal, einen ganz neuen Sound vorzuschlagen, das Futur 2 des Pop? Tja, nicht wirklich. "Another Eternity" ist eher eine respektable Zweitverwertung der alten Ideen.

Fahrstuhlmusik für Hipster

Die Hexen schleppen sich also weiter in Zeitlupe über den Dancefloor. Ein paar Hits hätten die Sache retten können, aber die gibt es leider nicht, und so plätschert das Album auf hohem Niveau eher so vor sich hin. Fahrstuhlmusik für Hipster. Muss man aber natürlich auch erst mal so gut hinkriegen.

Der Satz der Woche stammt natürlich von Maximilian Lenz alias Westbam, dem Techno-DJ und großen Nachtlebenerzähler. Anlässlich seiner bald erscheinenden Autobiographie "Die Macht der Nacht" gab er der Welt am Sonntag ein großes Interview und schenkte der Welt bei der Gelegenheit letzte Worte zur ewigen Frage nach dem Zusammenhang zwischen Drogen und Arbeit: "Drogen beim Plattenauflegen sind ganz schlecht, die meisten.

Bei Ecstasy weißt du schlicht nicht, was du tust. Bei Kokain bist Du irgendwann zu verstört und zu sehr mit dir selbst beschäftigt. Und LSD geht natürlich auch nicht, das wussten ja schon die Hippies, dass man sich auf LSD nur unter einen Baum setzen kann."

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

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