Die CDs der Woche - Popkolumne:Endlos schlackern die Ohren

Musik, Popkolumne, Dave Sumner

Debüt-Album "Incubation" von Dave Sumner.

Dave Sumner verknüpft auf seinem Debüt-Album Erinnerungen an den Berliner Berghain-Techno mit New Yorker Disco-Sound. Wer lieber Oboen und Celli mit Elektro-Sound hört, wird Petre Inspirescu mögen. Außerdem in unserer Popkolumne: Neue Klangschnipsel von DJ Koze.

Von Alexis Waltz

Function

Mit 21 wurde Dave Sumner im New Yorker Glamour-Tempel Limelight einer der ständigen DJs. Der Club in einer ehemaligen Kirche brachte Anfang der Neunziger Techno in die Stadt. Wegen der Drogen wurde die Szene bald kriminalisiert und verschwand.

Während in Berlin die Love Parade tobte, wussten in New York viele gar nicht, dass die Musik weiterlebte. Sumner kämpfte, organisierte selbst Partys obwohl Familie und Freunde ihm rieten umzusatteln. 2006 brach er nach Berlin auf. Dort versah er den tonangebenden Berghain-Techno mit einer punkigen Unversöhnlichkeit. Techno nicht als Party-Option, sondern als Lebensform.

Auf seinem Debüt-Album "Incubation" (Ostgut Ton) kommt allerdings wieder die New Yorker Zeit ins Spiel. Sumner bewundert den brillanten, konturreichen Sound klassischer New Yorker Disco-Labels wie Salsoul, Westend oder Prelude. Dafür waren natürlich Spezialisten verantwortlich, die in Zeiten des Home Recordings kaum noch zum Einsatz kommen.

Sumner verpflichtete Tobias Freund, der im Frankfurter Studio des Produzenten Frank Farian an Hits von Milli Vanilli, La Bouche oder Boney M. gearbeitet hat. Die mächtigen Technoklänge erstrahlen so mit der Prägnanz und Reichhaltigkeit großer Pop-Produktionen.

DJ Koze

Große Popmusik glänzt, wenn man sie durch den Kakao zieht. Diese Erkenntnis machte DJ Koze zu einem der wichtigsten deutschen DJs. Er brach den spröden Indierock von Tocotronic mit den eleganten, pumpenden House Grooves von Steve Bug. Mit "Deine Reime sind Schweine" nahm er sich den infantilen, humorfreien deutschen Battle-Rap vor. Bei "Zuviel Zeit" münzte er einen Wutanfall des Schlagersängers Gunter Gabriel, der bei einem Konzert das Publikum als faule Hartz-IV-Empfänger beschimpfte, auf die Tänzer der tagelangen After-Hour-Partys seiner eigenen Szene um.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Das Album "Amygdala" von DJ Koze

Das Album "Amygdala" von DJ Koze

Der perfekte Clubtrack interessiert Koze dagegen nicht. Die Liebe zur afroamerikanischen Popmusik muss nicht wie etwa bei The XX dazu führen, den makelloseren Gil-Scott-Heron-Song zu produzieren. Diese Schlachten sind geschlagen. Dass es diese Musik überhaupt gibt, ist für ihn schon Sensation genug. Und im Koze-Universum reagiert man darauf, indem man sich noch einen Drink einschenkt und das Lieblingslied zum zehnten oder hundertsten Mal laufen lässt.

Koze komponiert deshalb nicht. Er sammelt Klangschnipsel, Melodien und Beats, die ihn nicht loslassen. Und zwar so lange, bis sich mindestens zwei Samples verhaken und an eine Nummer der Soul-Sängerin Minnie Riperton erinnern. Sein viertes Album "Amygdala" (Pampa) kreist um Stimmen wie die von Caribou, Dirk von Lowtzow oder Apparat. Auf einem der besten Tracks singt sogar Hildegard Knef. Warum? Ganz einfach: "Sie ist die wahrhaftigste Sängerin, die wir haben", sagt Koze, "Ungehörtheit, Mut und Düsterkeit - bei ihr ist alles drin. Da sind die Ohren die ganze Zeit am Schlackern."

Petre Inspriescu

Als Petre Inspriescu in den Neunzigerjahren House entdeckte, gab es in seiner Heimatstadt Bukarest keinen Plattenladen und keine Kreditkarten um Musik im Ausland zu bestellen. Also setzte er sich um neun Uhr morgens in Bukarest in den Zug nach Prag, durchkämmte dort einen Tag die Plattenläden und trat am nächsten Morgen um neun die Rückfahrt an.

2006 wurde er schlagartig international bekannt. Jenseits von Albernheiten und Retro-Romantik liefert er einen der eindrucksvollsten Afterhour-House-Entwürfe. Seinen Mix für das Label des Londoner Superclubs Fabric bestreitet er allein mit eigens für diesen Anlass produzierten Stücken. Sie sind das Ergebnis seiner Beschäftigung mit der Musik russischer Komponisten wie Mussorgsky oder Rimsky-Korsakov.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Das Album "Fabric 68" von Petre Inspirescu

Das Album "Fabric 68" von Petre Inspirescu

Inspirescus Oboen und Celli fügen sich aber nicht zu kompletten Kompositionen. "Fabric 68" (Fabric) wird vielmehr von den Rhythmen getragen. Die sind brüchig, reißen aber nie ab. Sind also eher Atmosphäre, Ambiente. Dennoch handelt Inspirescus Afterhour-Musik von mehr als der ziellosen Unlust eines Clubgängers nach Hause zu gehen.

Um das zu verstehen, muss man sich vielleicht die Filme gefeierter rumänischer Regisseure wie Cristian Mungiu oder Cristi Puiu vor Augen führen. Sie verlieren trotz ihrer unruhigen Handkamera, trotz ihrem Akzent auf das Atmosphärische ihre Protagonisten nie aus dem Auge. Und man spürt eine Melancholie, die einen doch ganz gezielt aus des Geschäftigkeit des bürgerlichen Alltags herausreißt.

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