Die CDs der Woche - Popkolumne:Herrlich dämlich

Der Rock hat seine Zähne verloren, aber Aerosmith machen mit Gebiss weiter. Die Bandmitglieder wollten mal die Wildesten von allen sein, heute sitzt Sänger Steven Tyler als Juror in der US-Version von "Deutschland sucht den Superstar". Ihr neues Album und weitere neue Rockmusik - hören Sie selbst in unserer aktuellen Popkolumne in Kooperation mit Spotify.

Max Fellmann

Popkolumne - die CDs der Woche

Mehr Hall aufs Schlagzeug, mehr Gitarrenspuren, größere Chöre, mehr kuriose Instrumente: Aerosmith übt sich auf dem neuen Album "Music from another dimension" im Neuschwanstein-Rock.

(Foto: Sony)

Aerosmith

Wie geht's eigentlich dem Rock? Gibt's den überhaupt noch? Dieses crazy old Breitbein-Ding mit schweren Gitarren und großer Geste? Pop erfindet sich immer wieder mal neu, aber der Rock dümpelt nur so dahin, verkommen zum Accessoire.

Eine Zeit lang war das Motörhead-Logo bei schicken Mädchen beliebt, Tschibo verkaufte Ramones-T-Shirts, und die Sängerin Pink hat sich vom Rock gerade so viel Aggression geklaut, dass ihr Mehrzweckhallenpop hübsch angeraut ist.

Der Rock hat seine Zähne verloren, Aerosmith, immerhin, machen mit Gebiss weiter. Die fünf Amerikaner wollten früher die Wildesten von allen sein, heute sitzt der Sänger Steven Tyler als Juror in der amerikanischen Version von "Deutschland sucht den Superstar". Angeblich konnte die Band ihre Plattenverkäufe dadurch noch mal um die Hälfte steigern.

Jetzt kommt nach vielen Jahren Pause das neue Album "Music From Another Dimension" (Sony). Herrlich dämlicher Titel. Die Single "Legendary Child" ist die Art von Stampfrock, mit der Aerosmith immer versuchen, Hits zu landen, bevor sie das dann doch wieder nur mit Balladen schaffen.

Die Entsprechung zu früheren Großhits wie "Crying" oder "Amazing" ist hier "What Could Have Been Love", eines dieser Lieder, bei denen man zugleich weinen möchte und ständig lachen muss vor lauter Plastikpathos. Und auch wenn die Refrains dieses Mal nicht so richtig zünden, das Spektakulärste an der Band ist weiterhin der Gesang: Wie Tyler es mit 64 Jahren hinkriegt, so zu schreien und zu quietschen, zu knarren und zu krächzen, während andere seines Kalibers (David Lee Roth, David Coverdale) längst bremsen müssen, kann einem wohl nur ein guter Hals-Nasen-Ohren-Arzt erklären.

Überlebensstrategien für den Rock, Teil 1: einfach weitermachen, einfach noch mehr übertreiben. Mehr Hall aufs Schlagzeug, mehr Gitarrenspuren, größere Chöre, mehr kuriose Instrumente. Neuschwanstein-Rock.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Black Country Communion

Bei Black Country Communion geht's genau in die andere Richtung: humorfrei, virtuos. Lauter Musiker, die ständig in Musiker-Fachmagazinen auftauchen: Joe Bonamassa gilt als Ausnahmegitarrist; der Bassist und Sänger Glenn Hughes war mal Mitglied von Deep Purple und Black Sabbath; der Schlagzeuger Jason Bonham ist der Sohn von John Bonham. Von "supergroup" ist die Rede. Das lässt Schlimmstes erwarten. Aber nein - es rockt.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Sogar ein Bandlogo mit Flügeln dran: Black Country Communion hat auf "Afterglow" alles richtig gemacht.

Sogar ein Bandlogo mit Flügeln dran: Black Country Communion hat auf "Afterglow" alles richtig gemacht.

(Foto: Mascot Records)

Auf "Afterglow" (Mascot Records) sitzt jedes Riff, bei den Gitarrensoli ist man schon nach zwei Takten voller Zweiundreißigstel benommen, und die Refrains sind so altbacken, dass sie einem sofort vertraut erscheinen.

Bei "The Circle" möchte man im Wohnzimmer mit dem Feuerzeug wedeln, "This Is Your Time" könnte ein verlorenes Led-Zeppelin-Stück sein (dieses Riff!), "Crawl" ist eine passgenaue Verneigung vor Black Sabbath, und Glenn Hughes beherrscht immer noch dieses Gipfelgeschrei, das wie das Echo einer anderen, härteren Ära klingt.

Dieses Album wird den Rock nicht retten, hier ist einfach alles, wie es immer war. Aber genau darum geht es ja im konservativsten aller Genres. Und die Band hat sogar ein Bandlogo mit Flügeln dran. Also bitte: alles richtig gemacht.

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Bob Mould

Die CDs der Woche - Popkolumne: Bob Mould plus Bassist und Schlagzeuger: Wie auf "Silver Age" endlich alles wieder aufgeht, das ist bewegend.

Bob Mould plus Bassist und Schlagzeuger: Wie auf "Silver Age" endlich alles wieder aufgeht, das ist bewegend.

(Foto: Edsel Records)

Zuletzt eine ganz andere Ecke: Alternative Rock. Worum ging's da noch? Genau: Die Posen des Schweinerock ablehnen, aber die Wucht bewahren. Der Pate war da über Jahre der Sänger und Gitarrist Bob Mould. Kurt Cobain hat betont, ohne Moulds Band Hüsker Dü hätte es Nirvana nie gegeben.

Nach Hüsker Dü, Anfang der Neunziger, gründete Mould die großartige Band Sugar, danach experimentierte er mit Elektronik, schrieb lauwarme Songs und verbrachte seine Zeit damit, Wrestling im Fernsehen zu verfolgen.

Jetzt, genau 20 Jahre nach dem Sugar-Meisterwerk "Copper Blue" wieder ein Album in klassischer Besetzung: Mould plus Bassist und Schlagzeuger. Und wie auf "Silver Age" (Edsel Records) endlich alles wieder aufgeht, das ist bewegend: prägnante Songs, die auch in Wandergitarrenversionen nicht verlieren würden, viel Wucht, offene Akkorde, elegische Melodiebögen, kreisend um wenige Töne, die von der Begleitung immer wieder geschickt umgedeutet werden.

Vor allem "The Descent" ist eine Mould-Hymne, die es mit seinen großen Stücken der letzten 30 Jahre aufnehmen kann. Wie schön, dass das nochmal geklappt hat. Es ist, als würde (hier bitte Ihren Lieblingsfußballverein einsetzen) nach 17 vergeigten Saisons wieder Meister.

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