Die CDs der Woche - Popkolumne:Ein Boxer und zwei Todesfälle

Kim Fowley

Kim Fowley, der unter anderem Songs für Kiss und Alice Cooper produzierte, starb im Alter von 75 Jahren an Blasenkrebs.

(Foto: AP)

Nach zehn Jahren bringen Sleater-Kinney ein neues Album raus und liefern die Hymne für diesen trüben Januar. Der ist auch deshalb so düster, weil mit Kim Fowley und A$ap Yams große Musiker verstorben sind. Ob Mike Tyson an der Seite von Madonna unsere Stimmung heben kann?

Von Jens-Christian Rabe

So wie ein Entertainer am Ende nicht viel mehr ist als die Summe dessen, was das Publikum über ihn denkt (daher die vielen traurigen Entertainer-Schicksale; man muss fast übermenschlich stark sein, um unter dieser Bedingung bei sich zu bleiben), so ist die Popkultur am Ende für jeden einzelnen natürlich nie viel mehr als die Summe seiner Erinnerungen. Womit man beim neuen Album "The Third" (Sunday Best/Pias) der Londoner Rhythm'n'Blues-Combo Kitty, Daisy & Lewis wäre, der prototypischen Band der Retromania.

Kein Ton von Kontrabass und Klimperklavier auf den beiden ersten Alben "Kitty, Daisy & Lewis" (2008) und "Smoking In Heaven" (2011) wollte etwas anderes, als die gute alte analoge Rumpel-Rock'n'Roll-Zeit der späten Fünfziger und frühen Sechziger beschwören. Aber es rumpelte, rumpste und rollte auf kleinen Retropop-Geniestreichen wie "Going Up The Country" wirklich hinreißend.

Und das tut es nun auf "The Third" noch immer. Man höre nur "Whenever You See Me". Kein Zweifel, die drei Londoner können Songs schreiben. Wen kümmert es da, dass die vor langer Zeit schon hätten geschrieben werden können. Zur Hölle mit dem Retrowahnsinn, es lebe die Retromania!

Es gibt keine liebenswerten Städte

Manchmal liebt man einen Song, findet die Idee dahinter aber grausig. Im Mainstream-Chart-Pop kann das vorkommen. Und manchmal ist es genau andersherum: Man findet man eine Idee sehr prima, mit der Musik dazu tut man sich aber immer wieder schwer. Beim rotzigen und immer etwas schrägen 90er-Riot-Grrrl-Punkrock der amerikanischen Band Sleater-Kinney konnte einem das so gehen. Es muss also nicht zwingend für jeden ein großes Ereignis sein, wenn zehn Jahre nach dem siebten nun das achte Sleater-Kinney-Album " No Cities To Love" (Sub Pop) erscheint.

Sleater-Kinney - No City to Love

Nach zehn Jahren bringen Sleater-Kinney mit "No City to Love" wieder ein Album raus. Ist man vom rotzigen Sound erst abgeschreckt, versöhnt der satte Bass.

(Foto: Sub Pop Records)

Aber dann hört man darauf immer wieder diesen satten, verzerrten Bass und schließlich auch noch den Titelsong samt ewiger Urlauber-Weisheit und ist fast versöhnt. Es gibt keine liebenswerten Städte, wir lieben nur das Wetter dort: "There are no cities / No cities to love / It's not the cities / It's the weather we love". Endlich sagt's mal einer. Die Hymne für diesen trüben Januar.

Trauer um große Pop-Tastemaker

Und wenn man die dann doch einmal satt hat, könnte "The Trip" helfen, dem großartigen und angeblich ersten Song über einen LSD-Trip aus dem Jahr 1965. Der amerikanische Sänger, Musiker, Produzent und Promoter Kim Fowley hat ihn geschrieben und aufgenommen, einer der großen verrückten Tastemaker und Strippenzieher der Popgeschichte (er soll für John Lennon sogar das Feuerzeug-Hochhalten bei Konzerten erfunden haben), der vergangene Woche im Alter von 75 gestorben ist.

Sollte einen dieser Tage allerdings weder "No Cities" noch "The Trip" retten können, bliebe noch A$AP Rockys grandios verschleppte "Purple Swag", für den maßgeblich ein Mann namens Steven Rodriguez alias A$AP Yams verantwortlich war, dem Kopf hinter der jüngsten Erneuerung des New Yorker Hip-Hop. Rodriguez ist traurigerweise der andere, nur viel jüngere große tote Pop-Tastemaker dieser Tage. Er starb am vergangenen Sonntag überraschend im Alter von gerade einmal 26 Jahren.

Madonna hat soeben weitere Neuigkeiten zu ihrem neuen Album "Rebel Heart" verlauten lassen, das alsbald erscheinen soll: Auf "Iconic" soll demnach nicht nur der gefeierte Chance The Rapper mitgewirkt haben, sondern auch Mike The Boxer Tyson, einst "Undisputed Heavyweight Champion Of The World", dann Beißer, Mao-Zedong-Verehrer, Alkoholiker, Veganer und Cameo-König in Hollywood.

Noch so einer, der sich von den Erinnerungen des Publikums mindestens so sehr lebt, wie er sich von ihnen gejagt fühlen dürfte. In welcher Funktion Tyson genau auf dem Song zu hören ist, ist im Übrigen noch unklar. Wir vermuten: als er selbst. Was auch immer das gerade heißen mag. Get'em, Mike!

Entdeckung im Vernachlässigten: Elderbrook

Weil die ersten Wochen jedes neuen Jahres im Pop ja traditionell auch die Zeit sind, in denen man entlang der Bestenlisten, Resümees und Erinnerungen der anderen auch noch einmal echte Entdeckungen macht im Vernachlässigten, Überhörten, Versäumten, sei nun endlich auch hier auf den britischen Sänger und Produzenten Alex Kotz alias Elderbrook hingewiesen und damit auch auf seine Debüt-EP "Simmer Down" (Black Butter Records).

Minimalistischer Indie-Club-Pop im Kielwasser von jungen Helden wie The xx, James Blake oder Alt-J. Besonders das wirklich ganz zauberhaft elastisch dahingeschnipste "Rewinding" muss man wirklich immer und immer wieder zurückspulen. Ein besseres musikalisches Beruhigungsmittel ist gerade gar nicht vorstellbar. Get it, Mike!

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